Mobile Arbeit Arbeit 4.0: Wollen Arbeitnehmer losgelöst von Zeit und Raum sein?

Redakteur: Sariana Kunze

Die zunehmende Digitalisierung macht flexiblere Arbeitsmodelle möglich. Meist ist die Vertrauensarbeitszeit der Beginn, der Vertrauensarbeitsort der Fortschritt und die daraus resultierende gesteigerte Produktivität der Erfolg. Doch wie stehen die Arbeitnehmer zu dieser Entwicklung?

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Egal, ob Schreibtisch oder auf dem Sofa, im sitzen, stehen oder liegen, mobile Arbeitskonzepte machen vieles möglich: Aufgaben können orts- und zeitunabhängig erledigt werden – wenn das Arbeitsrecht nicht wäre.
Egal, ob Schreibtisch oder auf dem Sofa, im sitzen, stehen oder liegen, mobile Arbeitskonzepte machen vieles möglich: Aufgaben können orts- und zeitunabhängig erledigt werden – wenn das Arbeitsrecht nicht wäre.
(Bild: ©DragonImages - stock.adobe.com)

Arbeit wird zunehmend nicht nur am bisherigen Arbeitsplatz im Unternehmen oder zur gewohnten Zeiten erledigt. Notebooks, Smartphones und Co machen es möglich. Berufliche E-Mails lassen sich mittlerweile im Zug, im Café oder sogar abends auf der heimischen Couch bearbeiten und beantworten. Eigentlich eine schöne Sache und ganz im Sinne von Arbeit 4.0 – wo Arbeitnehmer ihre Arbeit wann und wo sie wollen, erledigen können – wenn das in Deutschland geltende Arbeitsrecht nicht wäre. Denn wer beispielsweise abends auf der Couch noch für den Arbeitgeber tippt, der verstößt gegen die verlangte elfstündige Ruhepause nach Dienstschluss. Für Unternehmen stellt diese Gesetzeslage ein Problem dar, wenn sie flexiblere Arbeitszeitmodelle umsetzen möchten. „Durch den digitalen Wandel werden neue Arbeitszeitmodelle und -formen nicht nur möglich (wie z. B. Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice), sondern auch, wie eine Studie von Gesamtmetall [1] zeigt, zunehmend von der Mehrheit der Beschäftigten gewünscht,“ erklärt Prof. Sascha Stowasser, Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (ifaa). „Wir erleben gerade einen dreifachen Wandel: die Arbeitszeiten werden flexibler und individueller, immer mehr Beschäftigte arbeiten nicht mehr nur im Unternehmen vor Ort. Das erfordert im Zusammenschluss eine neue Kultur der Zusammenarbeit. Vertrauen ist hierfür unerlässlich und Vertrauensarbeitszeit sowie Vertrauensarbeitsort sind wichtige Säulen der Veränderung“, so Stowasser über die Entwicklung der Industrie in Deutschland. Die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland bräuchte hierfür ein entsprechendes Arbeitszeitrecht 4.0, denn die gesetzlichen Rahmenbedingungen für tägliche Höchstarbeitsdauer und Ruhezeitregelungen passen nicht mehr zu den heutigen Anforderungen. Dazu ist auch die Mehrheit (68,5 %) der Beschäftigten bereit, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitszeit bzw. Arbeitszeiträume selbst bestimmen kann.

Die Vertrauensarbeitszeit wird im Zuge der flexiblen Arbeitszeit immer beliebter. Dabei handelt es sich um ein flexibles Arbeitszeitmodell, bei dem die Beschäftigten Beginn, Dauer und Ende der täglichen Arbeitszeit selbst festlegen. Sowohl die Unternehmen als auch die Beschäftigten profitieren davon. Für die Unternehmen bedeutet Vertrauensarbeitszeit eine Steigerung der Arbeitsproduktivität. Denn es gibt keine unproduktiven Zeiten mehr. Die Beschäftigten arbeiten dann, wenn Arbeit ansteht. „Letztendlich zählt das Arbeitsergebnis, nicht die Arbeitszeit“, sagt Stowasser. Die Beschäftigten können durch selbstbestimmte Einteilung der Arbeitszeit Beruf und Privatleben besser verbinden. Beschäftigte, die Verantwortung für ihre Arbeit übernehmen, verfügen auch über mehr Leistungsbereitschaft, sind motivierter und mit ihrer Arbeit zufriedener. Bei der Studie gaben bereits 90 % der Beschäftigten an, dass sie in Unternehmen arbeiten, die über flexible Arbeitszeitmodelle verfügen und sogar zusätzliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbieten. Im gegenseitigen Einvernehmen werden so im betrieblichen Alltag individuelle Lösungen gefunden – bis hin zur betrieblichen Kinderbetreuungsmöglichkeit. Daraus lässt sich ableiten, dass Beschäftigte schon heute einen großen Gestaltungsspielraum bei ihrer eigenen Arbeitszeit haben.

Den Arbeitsort selbst bestimmen

In Zeiten von digitalen Endgeräten wie Notebooks, Tablets und Smartphones sowie Internet ist ortsunabhängiges Arbeiten insbesondere für diejenigen Tätigkeiten möglich, bei denen die Arbeit nicht immer am selben Ort erledigt werden muss. Immer mehr Beschäftigte arbeiten nicht mehr nur im Unternehmen vor Ort, sondern sie können oder wollen selbst entscheiden, an welchen Orten sie ihre Arbeit erledigen. Auch hier zählt das Arbeitsergebnis, nicht die Präsenzzeit am Arbeitsplatz. Schon heute bieten 2/3 aller Betriebe mobiles Arbeiten oder Homeoffice an. Nach Schätzungen der Unternehmen sind allerdings nur 15 % der Arbeitsplätze dafür auch geeignet. Jedoch gaben rund 20 % der Beschäftigten an, schon heute einen Teil der Arbeit außerhalb des Betriebs erledigen zu können – von denen, die es nicht bereits können, haben wiederum nur 39 % überhaupt grundsätzliches Interesse daran. Gesamtmetall prophezeit, dass mobiles Arbeiten auch zukünftig zu keinem Massenphänomen werden wird und die meisten Tätigkeiten weiterhin vor Ort am Arbeitsplatz erledigt werden.

Permanente Erreichbarkeit akzeptiert

Wer jedoch in der heutigen Zeit mit all den technischen Möglichkeiten flexibel arbeiten will, muss auch eine Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit grundsätzlich in Kauf nehmen. Diese Anforderung stellt für den Großteil der Beschäftigten, die an der Umfrage der Metall- und Elektroindustrie teilgenommen haben, kein Problem dar. 70 % gaben an, außerhalb der Arbeitszeit grundsätzlich erreichbar zu sein, aber nur bei 2 % der Arbeitnehmer fordert der Arbeitgeber die Erreichbarkeit von sich aus ein. 89 % aller Arbeitnehmer werden maximal einmal im Monat auch wirklich von ihrem Vorgesetzten kontaktiert – geringfügig häufiger von Kollegen. Allerdings empfinden die Arbeitnehmer diese Entwicklung nicht als Belastung. Der Verband begründet diese Akzeptanz mit den fairen Bedingungen am Arbeitsplatz. So dürfen die Beschäftigten in knapp der Hälfte der Unternehmen auch private Angelegenheiten am Arbeitsplatz erledigen.

Vertrauen für erfolgreiche Zusammenarbeit

Dreh- und Angelpunkt des zeit- und ortsflexiblen Arbeitens ist eine gut organisierte und erfolgreiche Zusammenarbeit. Der Schlüssel zum Erfolg sind sowohl für die Beschäftigten als auch für die Führungskräfte Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Offenheit, Verantwortungsbewusstsein, Selbstverantwortung, Eigendisziplin und beispielsweise Führung auf Distanz. Flexible Arbeitsbedingungen führen automatisch zu einem Wandel der Arbeitsbeziehungen und Zusammenarbeit, da die Beschäftigten nicht mehr unter Aufsicht des direkten Vorgesetzten stehen, sondern selbst bestimmen können, was wann und wo erledigt wird. „An unterschiedlichen Orten zu flexiblen Zeiten zu arbeiten bedeutet gleichzeitig auch mehr Verantwortung im Sinne des Arbeitsschutzes durch die Beschäftigten selbst. Die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für das Arbeiten außerhalb seiner direkten Einflussnahme würde in ein solch flexibles Konzept nicht mehr passen“, erläutert Stowasser die Hintergründe. „Die Beschäftigten und Führungskräfte müssen auf die neue Form der Zusammenarbeit vorbereitet werden. Sie müssen gezielt in ihren sozialen und kommunikativen Fähigkeiten und Kompetenzen geschult werden, um diese im Sinne der erfolgreichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit einsetzen zu können.“

[1] Im Jahr 2017 hat Gesamtmetall, die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie, 1.055 Beschäftigte und 1.153 Unternehmen der M+E-Industrie mit der Arbeitszeitumfrage „Die Arbeitszeit in der Metall- und Elektro-Industrie“ befragt.

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