Der Preis regelt den Fortschritt

Autor / Redakteur: Reinhard Kluger / Reinhard Kluger

Der intelligente Sensor muss dem Anwender Mehrwert bringen: die Produktivität erhöhen, die Verfügbarkeit verbessern oder die Qualität steigern. Eine Expertenrunde unter Moderation der elektrotechnik-Redaktion zog Bilanz: Intelligenz bei Sensoren kostet – und wird nur dann bezahlt, wenn sie Nutzen bringt. Und nicht alles, was machbar ist, kommt auch so schnell wie erwartet.

Anbieter zum Thema

„Was wir brauchen, sind energieautarke und kommunikationsautarke Sensoren.“ Dieter Schaudel konkretisiert mit diesen Eigenschaften ein Schlagwort, das die Messtechnik schon lange handelt: intelligente Sensorik. Doch jeder versteht ein klein wenig anderes darunter, eine genaue Definition gibt es nicht. Was letztendlich zählt für Dieter Schaudel, Mitglied des Vorstands von Endress+Hauser, ist nicht die menschliche Eigenschaft ,Intelligenz‘, sondern die maschinelle Fähigkeit, Nutzen zu bringen. Schaudel zufolge holen sich energieautarke Sensoren ihre Energie aus der unmittelbaren Umwelt und sind so konzipiert, dass sie mit äußerst niedrigen Versorgungsleistungen auskommen. Kommunikationsautarke Sensoren wiederum bauen sich ihre Kommunikationswege und Kommunikationsnetze selber auf. Sie sorgen dafür, dass die Daten, die sie sammeln, auch dorthin gelangen, wo sie hinkommen sollen. Schaudel: „Das ist mit heutigen Mitteln durchaus machbar.“

Was technisch machbar ist und was die Anwender schon heute an energieautarker Sensorik kaufen können, dafür ist EnOcean, Hersteller batterieloser Funkmodule, die ihre Energie aus der Umwelt gewinnen, eine führende Adresse. Dort ist man bestrebt, vom Kabel wegzukommen. „Verkabelungen sind kosten- und zeitintensiv“, erklärt der Leiter Produktmarketing, Armin Anders. „Wir sind im Kommunikationszeitalter, und da wird es künftig Systeme mit hunderten von Funksensoren geben.“ Zur Erfüllung der geforderten Systemzuverlässigkeit werden wartungsfreie und damit batterielose Funksensor-Lösungen oftmals zwingend erforderlich sein. Essenziell für die Realisierung energieautarker Sensoren sind hocheffiziente Energiewandler einerseits sowie eine extrem energiesparsame Sensor- und Funktechnologie andererseits – für Armin Anders eine große technische Herausforderung: „In den letzten Jahren wurden in diesem Bereich bemerkenswerte Fortschritte erzielt, und rund 100 000 energieautarke Sensoren sind mittlerweile in praktischen Anwendungen verbaut.“

Auf Strom sparende Technik setzt Norbert Schuhmann, nämlich auf die Integration ganzer Sensorsysteme mit entsprechender Signalverarbeitung in CMOS-Technologie. Der Group-Manager beim Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen in Erlangen: „Wir entwickeln komplette Mikrosysteme auf einem Chip, das bringt bezüglich der Leistungsfähigkeit und der Verlustleistung deutliche Vorteile.“ Ebenfalls energieautark ausgelegt sein müssen Sensoren vom Typ ‚Digitaler Staub‘. Dass es diese Fiktion der energieautarken und selbstständig kommunizierenden Sensoren wirklich gibt, bestätigt der Erlanger Wissenschaftler. Doch fehle es im Moment am zündenden Bedarf, solche Systeme auch konkret einzusetzen. Man habe am Institut zwar einen Sensorbaukasten entwickelt, aus dem sich solche Lösungen durchaus realisieren lassen – aber, so fragt sich Norbert Schuhmann: „Wer ist bereit, für solche Entwicklungen Geld auszugeben?“ Für ihn basieren Sensoren in Zukunft eher auf einem ‚Dirty Sensor‘, also einem einfachen, aber kostengünstigen und in seiner Charakteristik nicht so perfekten Sensor. Dessen Charakteristik wird durch integrierte analoge und digitale Nachbearbeitung vor dem Verarbeiten im eigentlichen Messsystem aufbereitet und nachgebessert. „Durch dieses Nachbearbeiten“, so Norbert Schuhmann, „erhöhen wir die Signalgüte, die dann teilweise besser sein kann als bei konventionellen Sensoren.“

So wie am Anfang der Messkette der Sensor steht, kommt an deren Ende der PC. Wa-rum also nicht in jedem Sensor einen PC integrieren, um schon dort die Signale vorverarbeiten zu können? Eine Idee, die National Instruments verfolgt. Und für den Technischen Direktor Rahman Jamal ist diese schon heute teilweise Realität. „Man möchte sich die Intelligenz dort nutzbar machen, wo man auch die Signale erfasst, verarbeitet und intelligente Entscheidungen trifft.“ Prozessortechniken wie FPGA erlauben es, den Sensor oder die Erfassungseinheit so zu konfigurieren und die Funktionalität dieser Einheit per Software so zu definieren, dass sich vor Ort intelligente Entscheidungen treffen lassen. Vorbild sei der Mensch. Auch er treffe im Kopf die Entscheidungen. Deshalb die NI-Vision, die Verarbeitung dort durchzuführen, wo die Intelligenz auch benötigt werde, „und nicht die Signale über lange Messketten und weite Wege hin und her zu transferieren“, so Rahman Jamal.

Aktuelles Stichwort: Der IO-Link kommt

Wie sehr ein moderner Sensor die klassische Messkette verändert, für Peter Scholz steht fest, dass künftig die physikalisch-elektrische Schnittstelle ausgedient und man es auf einmal mit einer Bus-Schnittstelle zu tun habe – aktuelles Stichwort dazu: IO-Link. „Die Daten, die ein Messgerät dann empfängt, sind bereits gemessen. Wir interpretieren dann einen Bus, ein Protokoll, das darauf läuft, und lesen die Messdaten aus diesem Bus-System heraus“, so der Geschäftsführer der Additive GmbH. Für ihn besteht die Herausforderung eher darin, alle Busse lesen zu können. Die Messtechnik benötige dann aber einen Verstärker, der die bereits gemessenen Daten in synchroner Form in das Messgerät einliest. Der messtechnische Nutzen eines solchen Geräts bleibt für Scholz jedoch so, wie er immer war: „Man muss triggern können, man muss Speichermanagement machen können, und das Messgerät muss schlussendlich die Daten in einem für jeden lesbaren Format auch wieder zur Verfügung stellen können.“

Zum Standard drängt nicht nur die Messtechnik. Anschaulicher als Armin Anders das beschreibt, lassen sich die Gründe nicht formulieren: „Das Thema Standard lockt mit der dicken Wurst der Interoperabilität und hohem Produktions-Volumen. Was die Kosten senkt, klingt zunächst verlockend.“ Aber – der EnOcean-Mann hat da so seine Erfahrungen: Ein typisches energieautarkes Funkprotokoll hat nämlich Anforderungen, die zu keinem derzeit existierenden Standard passen. „Es wird daher nicht den einen Standard geben, sondern mehrere, entsprechend den Applikationen und Anforderungen“, ist Armin Anders überzeugt.

Dringenden Handlungsbedarf beim Thema Standard sieht die chemische Industrie, wie Dieter Schaudel beklagt. Derzeit 14 verschiedene Herstellerstandards gebe es allein beim Thema Ethernet, die nicht kompatibel seien. Hier existiere Standardisierungsbedarf. Für Schaudel setzt sich eine Lösung nämlich nur dann durch, wenn sie ganz spezifisch ein bestimmtes Problem löse, das in großer Anzahl vorhanden ist. Oder es gibt einen Standard, der auf der ganzen Welt gelte. „Eine intergalaktische Diskussion über intelligente Sensoren nützt nichts“, ist Die-ter Schaudel überzeugt. „Es kommt vielmehr darauf an, branchenspezifisch, anforderungsspezifisch und lösungsspezifisch die bestmögliche Lösung zu finden. Und die kann sehr einfach sein, der IO-Link ist ein Beispiel. Sie kann im anderen Fall aber auch sehr aufwändig sein – wie der FF-Bus.“

Einen Blick zurück bei Standards wirft Rahman Jamal, TED-Sensoren sind für ihn Beispiel einer gelungenen Vereinheitlichung. Der 1451.4-Standard automatisiere mit dem Identifizieren und Kalibrieren des Sensors die Messkette. Und so sei dieser Standard mittlerweile etabliert, denn es gebe – nicht nur von NI – inzwischen eine ganze Reihe von Produkten, die die Inbetriebnahme von Sensoren erheblich vereinfachen. „Die Bestrebungen in diese Richtung sind erfolgreich gewesen. Das ist jedoch nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung – wir sind noch lange nicht dort angekommen, wo wir mit intelligenten Sensoren hin möchten“, bilanziert Jamal.

Zusatznutzen darf nicht extra kosten

Eher zu viele denn zu wenige Standards sieht Peter Scholz. Weil sich aus seiner Sicht wohl kein Bus als einziger durchsetzen werde, führe das bei Messgeräten zu einer Multiprotokoll-Schnittstelle, die dann im Sinne eines Signalvorverstärkers und eines Signalaufbereiters funktionieren müsse. „Wir müssen einen Weg schaffen, dass ein Anwender mit einem Messgerät ähnlich wie mit einem Bus umgehen kann“, fordert Scholz.

Bei aller Standardisierung zählt letztlich das mit intelligenter Sensorik realisierte Geschäft. Machbarkeits-Überlegungen gibt es viele, und Schlagworte wie Service, Inbetriebnahme oder Condition Monitoring fallen schnell. Der Messtechnik-Alltag jedoch ist einfach, wie Rahman Jamal erkannt hat. So fehle es vielfach noch an der oft versprochenen Plug & Play-Fähigkeit oder es komme zu Schnittstellen-Problemen und Inkompatibilitäten. Und dies wiederum führe zu hohen Engineering-Kosten. „Man verbringt sehr viel Zeit, weil die Kette nicht fließt, es sind einfach noch sehr viele Brüche vorhanden“, weiß Jamal. Hier könne der intelligente Sensor beitragen, Anwenderprobleme zu beseitigen und somit messtechnischen Nutzen schaffen. „Das Erfassen, Verarbeiten und algorithmische Reagieren muss an einem Ort stattfinden, anstatt alles über eine Kette laufen zu lassen“, fordert der NI-Direktor. „Das allein ist schon ein großes Feld, auf dem man viel Geld und Engineering-Kosten sparen kann.“

Neue Technologien forcieren zugleich neue Geschäftsmodelle, die Armin Anders kommen sieht. Für die intelligente Sensorik erwartet er vermehrt neue Dienstleistungen. Fachfremde ‚Player‘ kämen auf den Markt, die bislang nichts mit Elektronik zu tun gehabt hätten. Die Firma Hoppe ist für ihn ein solches Beispiel. Ein Unternehmen, das Fenstergriffe fertigt, setze nun Funktechnik ein, um Fenster überwachen zu können. „Künftig werden Fenstergriffe intelligent sein und damit Zusatznutzen schaffen. Ein Mehrwert, der dem Unternehmen völlig neue Anwendungsfelder und Geschäftsmöglichkeiten erschließt“, so Armin Anders. Neue Geschäftsmodelle, für Dieter Schaudel sind Prozessanlagen in China, Indien und Russland ein gutes Beispiel für neue Anwendungen. Für den E+H-Vorstand ermöglichen Geräte mit zusätzlichen Diagnose-Funktionen ein Überwachen per Funk. Sie melden Fehler automatisch dem Service. Dieter Schaudel: „Ein besonderer Service, den wir weiter ausbauen und anbieten.“ Trotz des Erfolgs warnt Schaudel aber vor zuviel Euphorie. So überraschte eine Umfrage der NAMUR, der Arbeitsgemeinschaft der Prozessleittechniker in der chemischen Industrie: Unternehmen seien nicht bereit, für zusätzliche Diagnosefunktionen auch zusätzlich zu zahlen. Man erwarte von einem Sensor, dass er zuverlässig arbeitet und nicht ausfällt. Das sei seine Aufgabe. Aber wenn er denn ausfällt, dann sollte er in der Lage sein, dies selbstständig zu melden. Dieter Schaudel: „Aber kosten darf dies nichts!“ Wenn nun die Vision vom energie- und kommunikationsautarken Sensor wahr werden sollte, brechen goldene Zeiten an, prog-nostiziert Peter Scholz. Auf einen Schlag wären alle Messgeräte aufgrund der Messverstärker-Problematik veraltet und müssten ersetzt werden. „Das würde dem Geschäft einen Schub bringen, ähnlich dem, als der Siegeszug des Mikroprozessors begann, und alle ihre Dreheisen-Instrumente durch digitale Voltmeter ersetzten sowie ihre analogen Speicheroszilloskope durch digitale“, erläutert der Additive-Geschäftsführer. Bei der Vorhersage der erforderlichen Zeitspanne bleibt er jedoch ganz Realist: „Ich glaube, das dauert noch ein bisschen.“

Ebenso pragmatisch bewertet Norbert Schuhmann den Bedarf an intelligenten Sensoren. Dieser sei in Systemen für aufwändige Anforderungen gegeben, bei Standardsystemen regle er sich über den Preis. Der Fraunhofer-Forscher bringt die Zukunft auf den Punkt: „Für gehobene Anforderungen, also dort, wo es auf Zuverlässigkeit, auf Ausfallsicherheit oder auf Messgenauigkeit ankommt, haben intelligente Sensorsysteme durchaus ihre Berechtigung.“

(ID:179700)