Technologietransfer Entwicklung eines Systems zur Oberflächeninspektion von Mineralfaserplatten

Autor / Redakteur: Prof. Dr. H.-G. Stark, Dipl.-Inf. M. Rauhut, Dipl.-Inf. T. Redenbach, Dr. R. Rösch* / Reinhard Kluger

Die automatische Inspektion von Oberflächen lässt sich nur in einigen wenigen klar umgrenzten Anwendungsfällen standardisieren. Ein universelles Bildverarbeitungswerkzeug, das die Leistungsfähigkeit und insbesondere die Vielseitigkeit des menschlichen Sehsystems auch nur annähernd erreicht, ist nicht in Sicht und wird es wohl nie geben. Die komplexe Problemstellung der Oberflächeninspektion lösten Forschungseinrichtungen in Kooperation: Von den Anfängen als Förderprojekt in der angewandten Forschung über die Prototypenphase bis hin zur Anwendungsreife. Ein Musterbeispiel für gelungenen Technologietransfer.

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Im gleichnamigen Märchen lassen die Gebrüder Grimm Aschenputtel zu den Turteltäubchen, die ihm beim Verlesen der Linsen helfen sollen, den sprichwörtlichen Satz sagen: „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ . So einfach und zugleich so kompliziert ist Qualitätssicherung, denn was uns gut oder schlecht erscheint, kann auf einem äußerst komplexer Erkennungsvorgang beruhen.

Exemplarisch lässt sich das wie folgt beschreiben: Mit den Mineralfaserplatten eines namhaften Herstellers will man Decken verkleiden, verfügbar sind die Platten in zahlreichen unterschiedlichen Design-Varianten. Bei der Produktion kann es zu Fehlern auf den Plattenoberflächen kommen, die in ihrer Mehrzahl keine funktionale sondern ästhetische Auswirkungen haben. Wichtig ist vor allem die Registrierung solcher Fehler, die einen Aufschluss über driftende Parameter beim Herstellungsprozess (z.B. verstopfende Düsen bei der Lackierung) liefern. Deswegen sollte anstelle von stichprobenartigen Kontrollen ein automatisches Oberflächeninspektionssystem entwickelt werden, das mit Methoden der Bildverarbeitung eine 100%-Kontrolle erlaubt.

Besonders offensichtlich sind „globale“ Fehler, die das ganze Bild betreffen. Die Aufgabe besteht deshalb darin, ein einzelnes lokales Strukturelement als abweichend von vorhandenen und „gewollten“ Strukturelementen zu klassifizieren. Über die gezeigten Situationen hinaus gibt es noch andere Fehlerbilder, insbesondere Farbfehler.

Die geschilderte Variabilität der Fehlerausprägung unterscheidet die Prüfaufgabe von Inspektionsproblemen, die sich beispielsweise auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Dellen in glattpolierten Oberflächen spezialisieren. Während für die letztgenannte Aufgabe durchaus Systeme „von der Stange“ vorhanden sind oder mit geringem Aufwand angepasst werden können, erfordern Probleme wie das hier beschriebene in der Regel Neuentwicklungen.

Zur Projekthistorie

Zu den FuE-Aufgaben von Fachhochschulen gehört insbesondere der Knowhow- und Technologietransfer in die industrielle Praxis. Das BMBF fördert ? gegenwärtig im Rahmen des Programms FHprofUnd – in diesem Zusammenhang insbesondere Forschungsverbünde mit kleinen und mittleren Unternehmen. Die industriellen Partner können dabei davon profitieren, dass Grundlagenentwicklungen, die Voraussetzungen für Innovationen sind und ein Forschungsrisiko beinhalten, an den Hochschulen durchgeführt werden. Inwieweit sie beim Industriepartner tatsächlich zu Produkten führen, bleibt dann anschließenden Transferaktivitäten vorbehalten.

An der FH Aschaffenburg wurde in den Jahren 2001 bis 2002 ein solches vom BMBF gefördertes Projekt in Kooperation mit dem Plattenhersteller durchgeführt. Neben anderen Fragestellungen war die oben beschriebene Inspektionsaufgabe Gegenstand eines Teilprojekts. Die Ergebnisse waren so überzeugend, dass im Anschluss in einer Dreierkooperation mit dem Unternehmen und dem Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) beim ITWM ein erster Prototyp errichtet wurde. Inzwischen hat das ITWM den Prototypen weiterentwickelt und eine Produktionslinie beim Industriepartner mit diesem Inspektionssystem ausgerüstet, es werden täglich vollautomatisch ca. 100.000 Platten überprüft. Der geschilderte Ablauf zeigt, dass mit diesem Projekt tatsächlich ein Beitrag zu dem in der BMBF-Ausschreibung genannten Förderungszweck des „Ausbaus der wissenschaftlichen und technologischen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“5 geleistet wurde.

Die Projektergebnisse

Prozeduren zur Oberflächeninspektion mit Methoden der Bildverarbeitung lassen sich in der Regel in drei Phasen unterteilen:

• Festlegung der Beleuchtung und Akquisition der Bilddaten,

• Vorverarbeitung der Bilddaten und

• Klassifikation.

Im zweiten Schritt können Maßnahmen der Bildbearbeitung enthalten sein, die die Auswertbarkeit verbessern, ein weiterer wesentlicher Vorverarbeitungsschritt ist die Segmentierung, also die Einteilung des Bilds in bedeutungsvolle Regionen.

Die Gut/Schlecht-Klassifizierung kann dann auf einer (natürlich automatischen) Vermessung der segmentierten Regionen beruhen, die die „Abweichung von der Norm“ beinhaltet. Ein paralleler Auswertestrang kann Farbstatistiken des Bilds erstellen und somit Farbabweichungen detektieren.

In der Forschungsphase des Projekts – also während der Förderung durch das BMBF – wurden automatische Lösungen zur Klassifikation von Farbabweichungen und zu Segmentierung und Vermessung erarbeitet. Letztere lassen sich in Teilbildern illustrieren.

Schwerpunkt dieser Phase war die Entwicklung geeigneter Algorithmen und die Demonstration der Machbarkeit. Fragen der Bildgewinnung und der Anpassung an echte Produktionsumgebungen standen zunächst nicht im Vordergrund. Es erfolgte aber bereits eine Vorklassifikation der bearbeitbaren Fehlerarten: Strukturfehler wie Kratzer und Vertiefungen lassen sich am besten bei seitlichem Auflicht registrieren, Farbfehler bei senkrechtem Auflicht.

Der bereits erwähnte, beim ITWM errichtete, Prototyp wurde auf der Basis der im BMBF-Projekt erarbeiteten Erkenntnisse und Verfahren entwickelt. Er beinhaltete eine Fördereinrichtung zum Plattentransport, eine Beleuchtungseinrichtung für direktes und seitliches Auflicht, Kameras sowie Auswerterechner. Die Vorverarbeitung, die während des Forschungsprojekts nicht erforderlich war, weil man unter Laborbedingungen arbeitete, wurde jetzt zu einer Notwendigkeit: Mit Methoden der Kantendetektion werden Position und Ausrichtung der zu prüfenden Platte unter der Kamera erkannt.

Eine automatische Beleuchtungskorrektur kompensiert Beleuchtungsinhomogenitäten, die zu einer Verfälschung der Prüfergebnisse führen würden. Morphologische Operationen sorgen für eine Stabilisierung und Verbesserung der anschließenden Segmentierung. Die erwähnten Maßnahmen führten zusammen mit Echtzeiterfordernissen, die aus dem vorgegebenen Zeittakt resultieren, teilweise zu einem vollständigen Redesign der Algorithmen.

In der gegenwärtigen, an der Produktionslinie des Plattenherstellers installierten, Version besteht das System aus acht Kameras, acht Auswertecomputern und einem Server. Jede Kamera ist zusammen mit ihrem Auswertecomputer auf eine Fehler- und Beleuchtungsart „spezialisiert“, der Server stellt sicher, dass die unterschiedlichen Datenströme korrekt verarbeitet werden; weiterhin steuert er den gesamten Prozessablauf. Softwareseitig wird dieser Prozess durch das am ITWM entwickelte Paket MASC (Modular Algorithms for Surface Control) unterstützt.

Diese Komponente liefert eine Architektur, in die die einzelnen Verfahrensschritte eingepasst werden können. Auf der Benutzeroberfläche lassen sich die zu verarbeitenden Designs wählen. Diese Wahl führt zu einer automatischen Konfiguration der erforderlichen Auswertealgorithmen und zu einer Wertebelegung aller benötigten internen Verfahrensparameter, sodass die eigentliche Prüfung dann vollautomatisch ablaufen kann.

Das Fazit

Das beschriebene System zur Oberflächeninspektion von Mineralfaserplatten weist folgende Merkmale auf:

1. Es gibt kein einfaches und klar umrissenes Fehlerbild und es werden Fehlerausprägungen unterschiedlichster Herkunft verarbeitet, insbesondere Farbabweichungen und grobe sowie subtile Texturabweichungen von vorgegebenen Plattendesigns.

2. Dementsprechend verfügt das System über eine breite Methodenpalette, die von statistischen bis zu regionenbasierten und morphologischen Klassifikationsmaßnahmen reicht. In konsequenter Entwicklungsarbeit wurden die zugehörigen Algorithmen entwickelt, optimiert und echtzeitfähig implementiert.

3. Das System ist in der Lage, sich an raue Produktionsumgebungen anzupassen und Vorverarbeitungsschritte wie Beleuchtungs- und Positionsausgleich automatisch vorzunehmen.

Das installierte System baut auf Forschungsvorarbeiten auf, die aus Mitteln des BMBF zur Förderung der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen finanziert wurden, ist also ein Musterbeispiel für erfolgreiche Förderung praxisnaher Forschungsaktivitäten.

Um aufs erwähnte Aschenputtel zurückzukommen: Zur Simulation eines kleinen Teils der kognitiven Fähigkeiten von Turteltäubchen ist bereits ein enormer Hard- und Softwareaufwand erforderlich, man sollte also weitergehende Ansprüche der „künstlichen Intelligenz“ mit aller gebotenen Skepsis betrachten!

*Prof. Dr. H.-G. Stark, FH Aschaffenburg, Dipl.-Inf. M. Rauhut, Dipl-Inf. T. Redenbach und Dr. R. Rösch, Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik in Kaiserslautern

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