Norm EN ISO 13849-1 kommt Erste Erfahrungen mit der Anwendung der EN ISO 13849-1
Die EN ISO 13849-1 stellt neue Anforderungen an die Konfiguration des Sicherheitskreises sowie an die Auswahl und die sicherheitstechnische Bewertung von Sicherheits-Schaltsystemen. In Schulungen und Informationsveranstaltungen zu diesem Thema werden viele Fragen gestellt und beantwortet. Dabei zeigt sich, dass einige Punkte in der Praxis offenbar besonders erklärungsbedürftig sind.
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Auch wenn die Vermutungswirkung der DIN EN 954-1 noch bis Ende 2011 gilt, haben sich die meisten Konstrukteure im Maschinen- und Anlagenbau bereits intensiv mit der EN ISO 13849-1 beschäftigt. Viele haben die neue Norm bei der Konstruktion von Schutzeinrichtungen neuer Maschinengenerationen auch schon angewandt, und gerade bei der praktischen Anwendung tauchen manchmal Fragen auf, die teils sehr spezifisch, teils aber auch ganz grundsätzlicher Art sind.
Manche Fragen bleiben zunächst offen
Die Schmersal Gruppe bietet in ihrem Seminarprogramm Veranstaltungen zu neuen Richtlinien und Normen an. Zum Seminarprogramm, das im Schulungszentrum tec.nicum sowie an anderen Veranstaltungsorten stattfindet, gehören u. a. ein Workshop zur EN ISO 13849-1 mit dem Titel „Aus Steuerungskategorie wird Performance Level“, ein Seminar über die software-gestützte Berechnung des Performance Levels mit SISTEMA und ein Seminar mit dem Titel „Neue SRB/CS-Gestaltungsmöglichkeiten mit EN ISO 13849-1“, das sich mit den Auswirkungen der neuen Norm auf die sicherheitsgerichtete Steuerungstechnik befasst.
Abgrenzung von Sicherheitsfunktionen
Bei diesen Veranstaltungen kristallisiert sich eine Frage heraus, die von den Kon-strukteuren am häufigsten gestellt wird und die die Norm offenbar nicht vollkommen eindeutig beantwortet. Sie lautet: „Wie sieht das sicherheitstechnische Blockschaltbild aus und welche Sicherheitsschaltgeräte gehören zu einer bestimmten Sicherheitsfunktion?“ Die Frage betrifft also die Abgrenzung der Sicherheitsfunktionen an den Maschinen, und der Anwender benötigt eine Antwort, um die Bewertung der Sicherheitsfunktion durchführen zu können.
Ein Fall aus der Praxis zeigt, welche Aufgabe hier zu lösen ist und wie die Antwort auf die Frage lautet. Der Konstrukteur eines Unternehmens im Maschinen- und Anlagenbau hat eine Maschine mit vier Schutztüren zu bewerten, die jeweils mit einer Sicherheitszuhaltung abgesichert sind. Die Zuhaltungen werden aber von einem gemeinsam Sicherheits-Relais-Baustein ausgewertet – diese Möglichkeit bieten Geräte, die das Prinzip der CSS-Technologie nutzen. Wie viele Sicherheitsfunktionen sind zu bewerten? Die Antwort lautet: Auch wenn diese vier Zuhaltungen elektrisch in Reihe geschaltet sind und über einen gemeinsamen Sicherheits-Relais-Baustein ausgewertet werden, ergibt sich für jede Schutztür eine neue Sicherheitsfunktion. Bei der Sicherheitsbewertung nach EN ISO 13849-1 gibt es hier also vier Sicherheitsfunktionen, die zwar von baugleichen Geräten abgedeckt und von einem Sicherheits-Relaisbaustein ausgewertet werden, aber völlig getrennt betrachtet werden müssen.
Elektromechanische Sicherheitsschalter: Bis zu welchem Performance Level?
Ebenfalls oft gefragt wird, bis zu welchem Performance Level die „klassischen“ elektromechanischen Sicherheitsschaltgeräte mit getrenntem Betätiger eingesetzt werden können. Die Antwort: Geräte wie der millionenfach produzierte AZ 16 können in Verbindung mit einer sicheren Auswertung bis zum Performance Level d (zuvor bis Steuerungskategorie 3) eingesetzt werden.
Voraussetzung ist jedoch – wie schon unter EN 954-1 –, dass einige Fehleraussschlüsse möglich sind. So muss z.B. sichergestellt sein, dass der Betätiger mit der Schutzeinrichtung unlösbar verbunden und das Sicherheitsschaltgerät durch geschützten Einbau gegen Fremdeinwirkungen wie Beschädigung und Verschmutzung geschützt ist. Zudem muss das Zusammenspiel von Gerät und Betätiger „stressfrei“ sein“. Gefordert ist auch eine optimale konstruktive Einpassung, d.h. eine stabile Türführung mit stabilem Endanschlag.
Sicherheitsschalter in Reihenschaltung – welcher Diagnosedeckungsgrad?
Eng mit dem zuvor gestellten Thema in Zusammenhang steht die Frage, welchen Diagnosedeckungsgrad einfache kontaktbehaftete Sicherheitsschaltgeräte) in Reihenschaltung erreichen können. Diese Frage wird auch unter den Anbietern von Sicherheits-Schaltgeräten kontrovers diskutiert. Die Schmersal Gruppe vertritt die weit verbreitete Position, dass eine Reihenschaltung mit einem DC-Wert („Diagnostic Coverage“; Diagnosedeckungsgrad) von 60 % bewertet werden kann.
Diese Auffassung wird von den meisten Prüfstellen unterstützt. So hat der TÜV Rheinland bereits im November 2009 eine entsprechende Stellungnahme mit ausführlicher Begründung veröffentlicht. Ebenso wie nach EN 954 eine Einordnung der Reihenschaltung dieser Geräte in Steuerungskategorie 3 möglich ist, ist eine Bewertung bis Performance Level „d“ nach EN ISO 13849-1 normenkonform.
Für Anwendungen, bei denen – insbesondere bei der Überwachung mehrerer trennender Schutzeinrichtungen – eine höherer DC-Wert sowie die Aufrechterhal-tung von Performance Level e gefordert wird, stehen dem Maschinenbau Sicherheits-Schaltgeräte in verschiedenen Bauformen mit CSS-Technologie zur Verfügung – unter anderem auch der neue CSS 16, dessen Grundmaße exakt iden-tisch mit denen des AZ 16 sind (Bild 4). Diese Baureihen liefern umfangreiche Diagnose-Informationen und warnen den Anwender z. B. auch frühzeitig vor Schutztürversatz.
Aufteilung in Subsysteme
Auch die Strukturierung einer Sicherheitsfunktion für die Bewertung durch den Kunden ist immer wieder Anlass für Nachfragen. Die Frage lautet dann konkret: Wie kann man sich die Bewertung der Sicherheitsfunktion durch eine sinnvolle Aufteilung in Subsysteme vereinfachen? Die Beratungsingenieure der Schmersal Gruppe empfehlen in der Regel die Aufteilung einer Sicherheitsfunktion in min-destens drei Subsysteme: eins für die Sensorik mit den eingesetzten Sicherheits-schaltern, ein weiteres für die Sicherheitsauswertung, auch Logik genannt, und ein drittes Subsystem für die Aktorik mit den meist etwas komplexeren Verschaltungen von Antrieben oder Ventilkombinationen.
Diese Strukturierung der Sicherheitsfunktion ist auch erforderlich für die Anwen-dung von Tools zur Berechnung und Bewertung des erreichten Sicherheitsniveaus wie zum Beispiel SISTEMA. Hierzu gibt es umfangreiche Bauteilbibliotheken aller namhaften Hersteller von Sicherheitstechnik, die üblicherweise die Geräte in der Bibliothek auch in diese drei Subsystemkategorien einteilen. Bei Anwendung von SISTEMA und den Herstellerbibliotheken wird die Bewertung der Sicher-heitsfunktion für den Kunden deutlich vereinfacht.
Sicherheitsbussysteme – eine Erleichterung für die Sicherheitsbewertung?
In den Schulungen wird häufig auch die Frage diskutiert, welche Auswirkung die neue Norm auf die Anwendung von Sicherheitsbussystemen wie AS-i Safety at Work (AS-i SaW) hat. Die Antwort lautet: Mit AS-i Safety kann der Anwender nicht nur sehr einfach und flexibel seine Sicherheitsfunktionen für eine Maschine realisieren, auch die sicherheitstechnische Bewertung von AS-i Safety Systemen ist denkbar einfach. Daher dürfte dieser Kommunikationsstandard künftig noch stärker an Bedeutung gewinnen.
Beim Einsatz von Sicherheitsschaltgeräten mit integrierter AS-i Safety- Anschal-tung entfällt komplett die Problematik der Bewertung des Diagnosedeckungsgrades bei der Reihenschaltung von kontaktbehafteten Geräten. Denn die UND-Verknüpfung, d.h. die Reihenschaltung, findet ja erst im AS-i Sicherheitsmonitor statt, der für Anwendungen bis Performance Level e mit einem DC von 99% geeignet und zertifiziert ist.
Neue Gestaltungsmöglichkeiten bei sicherheitsgerichteten Teilen von Steuerungen
Die neue Normung zur Maschinensicherheit trägt der Tatsache Rechnung, dass sich programmierbare elektronische Steuerungen mit Sicherheitsfunktion stärker durchsetzen – und diese bieten neue Möglichkeiten sowohl im Hinblick auf die Sicherheit als auch mit Blick auf Produktivität, Verfügbarkeit und Bedienkomfort einer Maschine. Angesichts der EN ISO 13849-1 sollte sich der Konstrukteur also nicht nur fragen: „Welche neuen Anforderungen muss ich beachten?“ Die zweite Frage, die zu stellen ist, lautet: „Welche neuen Möglichkeiten bietet die Norm, um die Produktivität und Sicherheit der Maschine zu verbessern?“ Wer sich mit der Norm befasst, wird auch auf diese Frage schlüssige Antworten finden, die letzt-lich die Wettbewerbsfähigkeit der zu konstruierenden Maschine erhöhen.
Udo Weber, Produktmanager Sicherheitstechnik, K. A. Schmersal, Wuppertal
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