Interview zu digitalem Engineering „Es gibt nicht den einen Digitalen Zwilling für alle“
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Der Digitale Zwilling ist im Schaltschrankbau zwingend erforderlich, um einen gewissen Digitalisierungsgrad in der gesamten Prozesskette zu erreichen. Ziel ist, eine durchgängige Fertigung. Warum die Corona-Pandemie dem Digitalen Zwillingen einen Schub verleiht.

Herr Winther, warum sollten Schaltschrankbauer auf den Digitalen Zwilling setzen?
Der Digitale Zwilling beschreibt ein Konzept mit dem Produkte, Maschinen und ihre Komponenten mit Hilfe digitaler Werkzeuge beschrieben oder modelliert werden. So lässt sich eine nachgelagerte Prozessoptimierung erreichen – vom Engineering bis in die Fertigung. Virtual Prototyping ist das Bindeglied. Hierzu ein paar Zahlen von Eplan: In Deutschland haben wir 6.600 Schaltschrankbauer, 9.000 Datensätze sowie Gerätedaten und es fallen 1.000 Euro Pflegekosten pro Jahr an. Nur wenn Unternehmen saubere digitale Daten haben, können alle nachgelagerten Prozesse definiert und angesteuert werden. Das Problem ist, dass laut VDMA IT & Production 51 Prozent der Unternehmen angeben, dass unzureichende und nicht aktuelle Daten stark ihre Produktion beeinflussen. Dabei verwendet ein Konstrukteur mindestens 30 Prozent seiner Zeit auf die Datenerstellung und -pflege. Mit dem Digitalen Zwilling lässt sich also Zeit und Geld sparen.
Wird das Konzept des Digitalen Zwillings immer richtig verstanden?
Nicht immer. Es gibt nicht den einen Digitalen Zwilling für alle. Es ist immer eine individuelle, maßgeschneiderte Lösung auf die jeweiligen Unternehmensprozesse.
Warum wird der Digitale Zwillinge noch nicht überall eingesetzt?
Schaltschrankbauer stehen vor diversen Herausforderungen: Zunehmender Preisdruck, Fachkräftemangel, kürzere Lieferzeiten, ineffiziente Arbeitsabläufe und Qualitätsprobleme sowie nicht reproduzierbare Prozesse. Diese Herausforderungen lassen sich unter anderem durch die Digitalisierung im Engineering bewältigen. Ich glaube, es fehlt oft einfach die Zeit, um sich einzuarbeiten. Ein Schaltschrankbauer sollte mindestens eine Person in seinem Unternehmen beschäftigen, um den Digitalen Zwilling aufzusetzen und die Durchgängigkeit herzustellen. Aus dem Tagesgeschäft heraus kann das nicht funktionieren. Dafür ist das Thema zu groß.
Mit der Corona-Pandemie schreitet die Digitalisierung von Unternehmen schneller voran. Setzen dadurch auch Schaltschrankbauer verstärkt auf den Digitalen Zwilling?
Die Corona-Pandemie hat meiner Erfahrung nach einen positiven Effekt auf die Digitalisierung bei den Schaltschrankbauern. Es tut sich momentan viel. Einige wagen jetzt einen digitalen Prozess und setzen auf den Digitalen Zwilling.
Die Grundlage jeder Schaltanlage ist eine individuelle Elektroplanung. Wago bietet dafür das Online-Tool Smart Designer an. Kommt auch hier der Digitale Zwilling zum Einsatz?
Ja. Der Anwender kann sich beispielsweise aus dem Smart Designer Stücklisten ziehen und eine Vorkommisionierung des Materials durchführen. In diesen Stücklisten sind alle Digitalen Zwillinge aufgeführt. Auch ein digitales Bestellwesen direkt aus dem Produktkonfigurator ist hier möglich.
Für wie viele Produkte bietet Wago bereits den Digitalen Zwilling an?
Wir bieten den Digitalen Zwilling für den Schaltschrankbau für 26.000 Komponenten an. Unser Anspruch ist es, dass wir für alle Komponenten, die auf die Hutschienen TS35 und TS15 gerastet werden können, Daten bereitstellen.
Und welche Daten sind das?
Bei Wago gibt es auf dem CAE-und-CAD-Produkt-Datenportal die kaufmännischen Daten, Funktionsschablonen, Bohrbilder, Anschlusspunktmuster, 3D- und 2D-Grafiken.
Es gibt einige Organisationen, die den Digitalen Zwilling in der Industrie vorantreiben wollen. Wo engagiert sich Wago?
Wir sind bestrebt Kooperationen zu schließen – mit dem Ziel, Standardisierung im digitalen Engineering zu schaffen. Dafür müssen wir mit unseren Wettbewerbern an einen Tisch. Deshalb engagieren wir uns beispielsweise bei E-Class oder in Arbeitskreisen von Automation-ML, um Standards zu entwickeln. Für Wago ist die Kundenschnittstelle wichtiger als Technologie und Wettbewerb.
Wie sieht Ihrer Meinung nach der Schaltschrankbau der Zukunft aus?
Derzeit bieten viele Unternehmen ihre eigenen Produktkonfiguratoren an. Als Anwender ist das lästig. Sie müssen sich mit vielen verschiedenen Softwaretools auseinandersetzen. Ich persönlich würde mir wünschen, dass es in Zukunft noch mehr standardisierte Schnittstellen gibt, die in die diversen Tools sprechen. Diese Vision kann nur in herstellerübergreifenden Arbeitskreisen verwirklicht werden. Das ist noch ein weiter Weg.
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