Siemens baut U-Bahn in Raid Fahrerlos im Untergrund großer Metropolen

Redakteur: Sariana Kunze

Siemens hat bereits in den vergangenen Jahren für die Metropolen Algier, Barcelona, Paris und Nürnberg Gesamtanlagen für fahrerlose U-Bahnlinen geliefert. Jetzt sollen zwei fahrerlose U-Bahnlinien in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad für 1,5 Mrd. Euro gebaut werden. Die rasch wachsende Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt, die bisher im Nahverkehr vor allem auf Diesel-Omnibusse setzt, will mit der Investition einen weiteren Schritt zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur gehen.

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Die fünf Mio.-Stadt sucht nach nachhaltigen Lösungen für ihre Nahverkehrsprobleme. Denn Riad wächst rasant: Seit 1990 hat sich die Bevölkerungszahl auf mehr als fünf Millionen Einwohner verdoppelt.
Die fünf Mio.-Stadt sucht nach nachhaltigen Lösungen für ihre Nahverkehrsprobleme. Denn Riad wächst rasant: Seit 1990 hat sich die Bevölkerungszahl auf mehr als fünf Millionen Einwohner verdoppelt.
(Siemens)

Der Auftrag für Siemens umfasst Metro-Züge, Elektrifizierung sowie Signal- und Kommunikationstechnik für den fahrerlosen Betrieb. Siemens ist auch für die Systemintegration der Bahntechnik auf den zusammen rund 63 km langen Linien verantwortlich. Siemens erhielt den Auftrag von der Hohen Kommission zur Stadtentwicklung (ArRiyadh Development Authority) mit einem Anteilsvolumen von rund 1,5 Mrd. Euro im Konsortium mit der US-Firma Bechtel und den örtlichen Bauunternehmen Almabani und Consolidated Contractors Company. Der konsortiale Auftragswert beträgt insgesamt rund 7,5 Mrd. Euro.

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Automatisiert auf 175 km

Mit sechs Linien und 175 km Streckenlänge plant Riad das größte Metro-Projekt der Welt. Die Investition in die Infrastruktur der Stadt soll die Nahverkehrsprobleme lindern. Denn Riad wächst rasant: Seit 1990 hat sich die Bevölkerungszahl auf mehr als fünf Mio. Einwohner verdoppelt. Siemens stattet Linie 1 und 2 der sechs Linien aus. Siemens liefert 74 Metrofahrzeuge vom Typ Inspiro. Die aus Aluminium gefertigten Züge fahren auf Normalspur und können eine Geschwindigkeit von bis zu 90 km/h erreichen.

Die 2- und 4-teiligen Züge sind auf die klimatischen Verhältnisse der Region ausgelegt. Dazu gehört eine größere Klimaanlage, die auch bei extremer Hitze ausreichende Kühlleistung liefert. Ferner wurden die Drehgestelle, der Fahrantrieb, die Bremsen und die Türen mit speziellen Filtern und Dichtungen versehen, um das Eindringen von Sand zu vermindern.

Die Signal- und Zugbeeinflussungstechnik stellt sicher, dass Züge – vor allem während der Hauptverkehrszeiten - im 90-Sekunden-Rhythmus verkehren können. Durch diese schnelle Taktung können pro Stunde über 21.000 Fahrgäste befördert werden. Die beiden Linien werden von Siemens mit einem WLAN-basierten Zugbeeinflussungssystem für den fahrer- und begleiterlosen Betrieb ausgestattet. Daneben werden automatische Zugsteuerung, Funkübertragung sowie 31 elektronischen Stellwerke installiert. Siemens stattet auch die Betriebsleitzentralen der beiden Linien aus. Von dort werden die Strecken gesteuert und überwacht. Der Vertrag umfasst auch Schulungen für den Einsatz der neuen Technik.

Bahnstromversorgung wird mitgeliefert

Siemens ist ebenfalls für die Bahnstromversorgung der Linien verantwortlich. Die beim Bremsen der Züge gewonnene elektrische Energie wird in das Netz des Metrosystems zurückgespeist und allen elektrischen Verbrauchern zur Verfügung gestellt. Zur elektrischen Ausrüstung gehören zudem die Notstromversorgung mit Dieselgeneratoren sowie unterbrechungsfreie Stromversorgungen.

Derzeit installiert Siemens U-Bahnen weltweit: In Rennes (Frankreich) und Delhi (Indien) und ein Tramsystem für Doha (Katar). Bereits in Betrieb sind vollautomatische fahrerlose Linien in Algier (Algerien), Santo Domingo (Dominikanische Republik) und wiederum im französischen Rennes.

Wie funktioniert die automatische Steuerung im Nahverkehr?

Bei automatisch gesteuerten Zügen werden Fahrerlaubnis und Steuerungsbefehle nicht durch Signale angezeigt, sondern erfolgen über Datenkommunikation zwischen Schienenfahrzeug und Streckenausrüstung (Communication Based Train Control, CBTC). Dabei arbeiten alle CBTC-Systeme auf ähnliche Art und Weise

  • Ein streckenseitiger Rechner verfolgt alle Züge in dem zugeordneten Streckenbereich und berechnet für jeden Zug eine entsprechende Fahrerlaubnis. Die Züge werden dadurch kontinuierlich geführt und können dichter hintereinander herfahren als beim manuellen Fahren auf Signalsicht.
  • Beim vollautomatischen Betrieb werden die U-Bahnzüge von der automatischen Zugsteuerung und -sicherung ATC (= Automatic Train Control) in Verbindung mit der Steuerung und Sicherung der Strecke durch Stellwerke gefahren.x
  • Dazu tauschen die Rechner für die Strecke mit den Rechnern des übergeordneten Systems in der Leitzentrale und Rechnern im Zug per Funk ständigen Daten aus.
  • Im Zug ersetzt die Automatische Zugsteuerung (Automatic Train Operation, ATO) den U-Bahn-Fahrer und steuert die Geschwindigkeit des Fahrzeugs.
  • Der ATO-Rechner wird dabei von der automatischen Zugsicherung (ATP = Automatic Train Protection) überwacht und wenn nötig korrigiert.

Die verschiedenen Stufen der U-Bahn-Automatisierung

Es gibt unterschiedliche Stufen der U-Bahn-Automatisierung, „automatisch“ heißt nicht immer gleich fahrerlos. Die verschiedenen Automatisierungsgrade reichen von

fahrerunterstützenden Funktionen für die Steuerung der Bremsen und die automatische Geschwindigkeitsregelung des Zuges über das automatische und präzise Anhalten des Zuges in den Stationen, das Öffnen und Schließen der Zugtüren bis hin zur möglichen Fernsteuerung und dem vollautomatischen U-Bahnbetrieb ohne Fahrer.

  • Im fahrergesteuerten Betrieb fährt die U-Bahn ohne Assistenzsysteme. Der Fahrer steuert die U-Bahn auf Sicht, stationäre Lichtsignale steuern den Bahnbetrieb.
  • Beim teilautomatischen Betrieb (SCO – Supervision and Control Train Operation) fährt und bremst der Fahrer die U-Bahn noch manuell. Ein Zugsicherungssystem überwacht jedoch kontinuierlich die Geschwindigkeit. Daneben werden dem Fahrer unterstützende Informationen wie beispielsweise aktuelle Fahraufträge im Führerraum angezeigt.
  • Beim halbautomatischen Betrieb (STO – Semi-automated Train Operation) startet der Fahrer die U-Bahn zwar manuell, die präzise Steuerung der Fahrt zwischen zwei Bahnhöfen übernimmt die automatische Fahrsteuerung aber selbstständig, ebenso wie das automatische, exakte Anhalten des Zuges und das Öffnen der Türen.
  • Beim fahrerlosen Betrieb (DTO – Driverless Train Operation) wird der Fahrbetrieb ohne menschliche Unterstützung automatisch geregelt und überwacht. Ein Zugbegleiter kann in Notfällen eingreifen. Die automatische Fahrsteuerung übernimmt das Losfahren, die Fahrt zwischen zwei Bahnhöfen, das automatische und exakte Anhalten sowie das öffnen der Türen. Bei Bedarf wird die Tür erneut automatisch geöffnet. Bei hohem Passagieraufkommen werden zusätzliche Züge per Knopfdruck automatisch aus dem Depot in den Betrieb genommen.
  • Beim unbegleitetem Betrieb (UTO – Unattended Train Operation) wird der Fahrbetrieb ebenfalls automatisch geregelt und überwacht. Es ist aber weder ein Fahrer noch ein Zugbegleiter vorgesehen. Als zusätzlich automatisierte Funktionen kommen hier z.B. das Kuppeln und Entkuppeln der Züge, das Abstellen von Zügen sowie erweiterte Möglichkeiten zur Fernbedienung und Fernentstörung hinzu.

Zugausstattung für den fahrerlosen Betrieb:

Für fahrerlose U-Bahnen gibt es neben der üblichen Zuginfrastruktur wie Notbremse, Feuerlöscher, Notbeleuchtung, akustische Signale und Türüberwachung spezielle Sicherheitsrichtlinien und Sicherheitsanforderungen je nach Kundenanforderungen. Sie sind besonders sicher, da sie im übertragenden Sinn mit mehr technischen „Sinnen“ als der Fahrer ausgestattet sind. Zusätzlich sind die besonders wichtigen Systeme redundant angelegt, bei einem Ausfall greift automatisch das ergänzende System.

  • So verfügen die fahrerlosen U-Bahnen über eine spezielle Hinderniserkennung. Diese leiten eine Bremsung ein, sobald ein Hindernis erkannt wurde.
  • Außerdem verfügen sie über spezielle Entgleisungsdetektoren, die einen aus der Spur geratenen Wagen erkennen und gegebenenfalls den Zug sicher zum Halten bringen und den Vorfall an eine Leitstelle weitermelden.
  • Zwischen Bahnsteig und Bahn gibt es keinen Spalt mehr. Den schließt die Spaltüberbrückung an den Türen. Das erleichtert Mobilitäts- und Sehbehinderten das Ein- und Aussteigen. Zudem verhindert die Überbrückung, dass Fahrgäste in den Spalt zwischen Bahnsteigkante und Fahrzeug geraten.
  • Eine Türspaltüberwachung, die auch dünne und flexible Objekte erkennen kann, trägt zur Erhöhung der Sicherheit bei. Erst wenn alle Türen korrekt geschlossen sind, kann der Zug starten.
  • Sobald sich der Zug in Bewegung setzt, wird die Türnotentriegelung gesperrt. Bleibt der Zug im Tunnel störungsbedingt stehen, bleibt die diese so lange gesperrt, bis die Betriebsleitzentrale Sicherheitsmaßnahmen wie das Anhalten des Gegenverkehrs und das Spannungslos-Schalten der Stromschiene eingeleitet hat. Sobald der Fahrstrom im Tunnel abgeschaltet ist, schaltet sich automatisch die Tunnelbeleuchtung ein.
  • Alle Fahrzeuge müssen mit aktuellster Brandmeldetechnik ausgestattet sein. Eine Sprechstelle mit Notrufknopf ermöglicht eine direkte Sprechverbindung zum Fahrer bzw. beim automatischen Betrieb direkt zur Betriebsleitzentrale. So kann bereits während der Fahrt ein Notfall gemeldet werden.

Spezielle Sicherheitselemente beim fahrerlosen Betrieb

  • Nach einem Notruf oder der Betätigung einer Notbremse durch einen Fahrgast kann mit Hilfe der Fahrgastraumbeobachtung die Situation im Fahrzeug von der Leitstelle aus beurteilt werden. Notwendige Maßnahmen können sofort veranlasst werden.
  • Die Züge sind durchgehend mit Überwachungskameras ausgestattet. Die Videobilder werden mittels eines Funk-LAN in die Leitstelle übertragen. Besondere Vorkommnisse können so direkt von der Leitstelle registriert, Maßnahmen sofort eingeleitet werden.
  • Sollte im Wagen ein Feuer ausbrechen, treten die installierten Rauchmelde- und Temperatursensoren in Aktion. Sie entdecken Gefahren bereits in der Entstehung. Die Sensoren lösen in der Leitstelle Alarm aus und der Zug wird im nächsten Bahnhof automatisch angehalten. Dort erkunden Mitarbeiter die Ursache für die Brandmeldung.
  • Eine so genannte Fahrgastraumbeschallung dient zur Durchsage von betrieblichen und verkehrlichen Informationen. Neben der Fahrgastbetreuung im Notfall erfolgt hierüber die Versorgung der Fahrgäste mit Informationen.
  • Die Fahrgäste können bei Bedarf jederzeit über die Notsprechstelle mit der Betriebsleitzentrale Kontakt aufnehmen. Löst ein Fahrgast Alarm aus, wird er über Digitalsprechfunk direkt verbunden.
  • Optische und akustische Signale kündigen kurz vor dem Schließen der Türen mittels Blinklicht an den Türen und einem Piepton den Schließvorgang an. Beides in Kombination signalisiert auch Seh- und Hörbehinderten zuverlässig, dass sich die Türen schließen.
  • Die Überwachungseinrichtungen erkennen beim automatischen Betrieb, wenn die vorgeschriebene Geschwindigkeit überschritten wird. Das Fahrzeug wird dann sofort automatisch gebremst.
  • Die Wegerfassung bildet die Grundlage für wesentliche Funktionen des Zugsicherungssystems (ATP-Fahrzeugrechners) wie die Abstandshaltung, das Anfahren von Haltepunkten oder die Geschwindigkeitsüberwachung. Aus diesem Grund führt der ATP-Fahrzeugrechner kontinuierlich eine Wegmessung durch. Die Angaben über den aktuellen Fahrzeugort werden regelmäßig aktualisiert.

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