IIoT-Praxis IIoT-Demonstrator aus dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Textil vernetzt

Ein Gastbeitrag von Dr. Ing. Karl-Peter Fritz, Prof. Dr.-Ing. Henning Strauß, Dr.-Ing. Christoph Rathfelder und Dipl.-Ing. André Bülau* |

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Wie gelingt der standortübergreifende sichere Datenaustausch von Sensordaten aus Retrofit-Sensorsystemen? Dieser Frage ging ein Projekt des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums Textil vernetzt nach.

Wie gelingt der Austausch von Sensordaten aus Retrofit-Systemen standortübergreifend und sicher?
Wie gelingt der Austausch von Sensordaten aus Retrofit-Systemen standortübergreifend und sicher?
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

Das nachfolgend beschriebene Praxisbeispiel wurde im Rahmen des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums Textil vernetzt von Hahn-Schickard in Kooperation mit den 3 Textilforschungseinrichtungen, Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen, Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung und Sächsisches Textilforschungsinstitut, als Demonstrator realisiert. Ziel dabei war die Demonstration eines standortübergreifenden sicheren Datenaustausches von Sensordaten aus Retrofit-Sensorsystemen. Als Sensorsystem kam dabei der im Praxisbeispiel 4 unseres Fachbuchs Digitaler Retrofit näher beschriebene Sensorknoten Senogate zum Einsatz, der die Umgebungsparameter Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchte aufzeichnet.

2.1 Quick-Check

Bildergalerie

2.2 Beschreibung des Umfelds

Das Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrum Textil vernetzt startete im November 2017 als gefördertes Projekt im Rahmen der Initiative „Mittelstand-Digital”. Mittelstand-Digital informiert kleine und mittlere Unternehmen über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Die geförderten Zentren helfen mit Expertenwissen, Demonstrationszentren, Best-Practice-Beispielen sowie Netzwerken, die dem Erfahrungsaustausch dienen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ermöglicht die kostenfreie Nutzung aller Angebote von Mittelstand-Digital. Wesentlicher Fokus des Projekts ist und war die Unterstützung von Betrieben auf dem Weg in die digitale Zukunft der Unternehmen. Dazu wurden durch die Partner sogenannte Schaufenster zu unterschiedlichen Aspekten von Industrie 4.0 und Digitalisierung aufgebaut und interessierten Unternehmen im Rahmen von zahlreichen Transferformaten zugänglich gemacht. Das Bild 2.5 zeigt die Standorte und Themen der einzelnen Schaufenster.

Mit dem IIoT-Demonstrator wurde die Herausforderung aufgenommen, alle vier Schaufenster und die Geschäftsstelle des Kompetenzzentrums in Berlin miteinander zu vernetzen und auf diesem Weg prototypisch die Vernetzung von mehreren Standorten oder Firmen zu demonstrieren.

Bild 2.5 Standorte des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums Textil vernetzt
Bild 2.5 Standorte des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums Textil vernetzt
(Bild: Fachbuch Digitaler Retrofit)

2.3 Herausforderung

Der IIoT-Demonstrator greift eine Situation auf, vor der viele Strickunternehmen am Anfang der Corona-Pandemie standen:

  • Aufgrund der unvorhersehbaren Ereignisse mussten schnell neue Produkte hergestellt werden – im konkreten Beispiel gestrickte Alltagsmasken.
  • Aufgrund des Lockdowns war die Entsendung von Spezialisten an verteilte Produktionsstandorte erschwert.

Wie gelingt es nun in einer solchen Situation, schnell und an möglichst vielen Standorten gleichzeitig das neue Produkt in guter Qualität und hoher Stückzahl herzustellen? Wie kann ein Standort von den Erfahrungen des anderen Standorts während des Produkt-Hochlaufs profitieren? Während das grundsätzliche Produktdesign sehr einfach ausgetauscht werden kann, sind es insbesondere die unterschiedlichen Umgebungsbedingungen an den Standorten, die eine 1:1- Übertragung der Produktionsparameter erschweren. Der Demonstrator zeigt auf, wie standortübergreifend relevante Informationen erfasst und zusammengeführt werden können, um in einer solchen Situation die Ursachenfindung bei Anlaufschwierigkeiten in der Produktion zu unterstützen. Für den Demonstrator wurde im ersten Schritt eine vernetzte Infrastruktur geschaffen, um die Umgebungsbedingungen und die Produktionsdaten aus unterschiedlichen Standorten an einer zentralen Stelle zu sammeln und mit den gesammelten Daten vergleichende Analysen durchführen zu können.

Ein besonderer Aspekt des IIoT-Demonstrators war in diesem Zusammenhang die Vertraulichkeit der Daten. Dies betrifft naheliegenderweise zunächst diejenigen Daten, die standortübergreifend für den IIoT-Demonstrator ausgetauscht werden sollen. Gleichzeitig muss aber sichergestellt sein, dass darüber hinaus kein Zugriff von außen in das jeweilige Netzwerk eines Standortes erfolgen kann, damit keinerlei Daten, die auf den Maschinen außerhalb des Demonstrator-Betriebes anfallen, ausgelesen werden können.

Vor eine ähnliche Situation sind Unternehmen gestellt, wenn Nachverfolgbarkeit in der Produktion für verschiedene Kunden umgesetzt werden muss, Stichwort Lieferkettengesetz. Einerseits möchte man automatisiert durch die Partner in der Lieferkette nutzbare Schnittstellen zu diesen Daten schaffen, andererseits aber auch die Schutzziele Verfügbarkeit, Vertraulichkeit und Integrität für die anderen Daten nicht aufgeben.

Nicht zuletzt stellten auch technische Details eine Herausforderung für die Realisierung des IIoT-Demonstrators dar, da an den drei Textilinstituten zwar drei Flachstrickmaschinen des gleichen Herstellers, jedoch von unterschiedlichem Typ vorhanden waren – verglichen mit einem realen Szenario eine durchaus mögliche Situation.

2.4 Lösung

Der IIoT-Demonstrator des Kompetenzzentrums Textil vernetzt stellt die verteilte standortübergreifende Datenerfassung – also aller Projektpartner – anschaulich dar. Hierbei werden moderne Kommunikationsprotokolle des Internets verwendet. Die besondere Eigenschaft des IIoT-Demonstrators ist die Verwendung des nachrichtenbasierten beziehungsweise ereignisgetriebenen Aufbaus in Kombination mit der konsequenten Verwendung etablierter Standards.

Die Daten werden an den jeweiligen Standorten mithilfe von speziell dafür entwickelten Sensorknoten, sogenannten Senogates, ermittelt und aktiv in Echtzeit an den zentralen IIoT-Server geschickt. Gemessen werden jeweils die aktuelle Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und der Luftdruck.

Auf dem Senogate läuft die Node-RED-Software, ein System zur grafischen Programmierung von Datenverarbeitungsprozessen. Diese ist über das Internet mit dem zentralen und öffentlich zugänglichen MQTT-Server, dem Broker, verbunden und sendet diesem die ermittelten Daten. MQTT ist ein offenes Netzwerkprotokoll für Machine-to-Machine-Kommunikation. Damit wird die Übertragung von Daten in Form von Nachrichten zwischen Geräten ermöglicht. Entscheidend hierbei ist, dass das Versenden der Daten aktiv aus dem jeweiligen Standort heraus geschieht und auch ausschließlich für diejenigen Daten, die zum Versand ausgewählt beziehungsweise deklariert wurden. Auf diese Weise behält jeder Standort eine vollständige Datensouveränität und definiert selbst, welche Informationen an den zentralen Server geschickt werden sollen. Der zentrale Server selbst erhält keinerlei Zugriffsrechte. Das Bild 2.6 visualisiert die Architektur des IIoT-Demonstrators.

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Die Grafik veranschaulicht, dass über den offenen MQTT-Broker auch weitere Systeme einfach angebunden werden können. Das können neben den Daten aus dem Senogate auch Daten aus einem MES-System sein oder Daten, die direkt aus der Steuereinheit einer Maschine kommen.

Für die Abfrage von Maschinendaten zeigt die Grafik zwei unterschiedliche Ansätze. Da das Senogate eine OPC-UA-Schnittstelle anbietet, besteht die Möglichkeit, entsprechende Daten bei Vorhandensein einer maschinenseitigen OPC-UA-Schnittstelle (Maschine A) sehr einfach abzufragen und via MQTT an den zentralen Server weiterzuleiten. Ist eine solche Schnittstelle nicht gegeben (Maschine B), kann die Node-RED-Software auch direkt auf den Steuer-PC einer Maschine installiert werden. Damit können dann die benötigten Datenflüsse individuell konfiguriert und via MQTT versendet werden.

Bild 2.6  Architektur des IIoT-Demonstrators
Bild 2.6 Architektur des IIoT-Demonstrators
(Bild: Fachbuch Digitaler Retrofit)

Der MQTT-Broker ist die zentrale Kommunikationskomponente und für das gezielte Weiterleiten der einzelnen Nachrichten vom Sender bis hin zur IoT-Plattform zuständig. Diese werden zwischengespeichert, bis sie an den empfangenden IoT-Server, der bei Textil vernetzt auf ThingsBoard basiert, weitergeleitet werden können. ThingsBoard ist eine Open-Source- IoT-Plattform für die Sammlung, Verarbeitung und Visualisierung der Daten. Aufgrund der Verbreitung des MQTT-Protokolls bietet die ThingsBoard-Plattform bereits Schnittstellen für dieses Protokoll an. Auf diese Weise werden die gesammelten Daten aller Standorte auf ThingsBoard transferiert. Die Daten stehen dann innerhalb der Plattform zur Verfügung und können dort verarbeitet, analysiert und visualisiert werden.

Mithilfe der ThingsBoard-Plattform lassen sich sogenannte Dashboards anlegen – grafische Benutzeroberflächen zur Visualisierung von Daten. Diese werden frei mit Elementen, Widgets genannt, befüllt, sodass jedes Dashboard individuell gestaltet werden kann. Die interne Funktionsweise der ThingsBoard-Plattform setzt für jedes physische Gerät ein virtuelles Gerät voraus, dem dann die eintreffenden Daten entsprechend zuzuordnen sind. Für den IIoT-Demonstrator von Textil vernetzt wurde deshalb für jeden Standort ein solches virtuelles Gerät angelegt. Zudem werden die Daten jedes Standorts über ein individuelles Dashboard in Echtzeit visualisiert. Dabei ist jedes Dashboard gleich aufgebaut: Die Darstellung der Daten erfolgt über analoge Uhren und Zeitwertdiagramme. Zusätzlich fasst eine weitere Oberfläche die Daten aller Standorte zusammen, um sie in einer Übersicht darzustellen. Die folgenden Bilder 2.7 und 2.8 zeigen beispielhaft die eingerichtete Visualisierung.

Durch den breitgefächerten Funktionsumfang der ThingsBoard-Plattform ist es zudem möglich, für die Daten weitere Verarbeitungsschritte zu definieren oder die eintreffenden Daten zu überwachen, sodass zum Beispiel beim Überschreiten von Grenzwerten automatisch ein Alarm ausgelöst wird.

Bild 2.7  Visualisierung der Sensordaten eines Standorts
Bild 2.7 Visualisierung der Sensordaten eines Standorts
(Bild: Fachbuch Digitaler Retrofit)

Bild 2.8 Visualisierung der Sensordaten aller vier Standorte
Bild 2.8 Visualisierung der Sensordaten aller vier Standorte
(Bild: Fachbuch Digitaler Retrofit)

2.5 Umsetzung und Zielerreichung

Der IIoT-Demonstrator des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums Textil vernetzt ist seit dem Frühjahr 2021 für interessierte Firmen zugänglich und wurde durch begleitende Transfermaßnahmen und Veranstaltungen publiziert. Die hier gezeigten Inhalte beschränken sich im Wesentlichen auf die technische Umsetzung der Übertragung der Sensorwerte für Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchte. In einer erweiterten Version des IIoT-Demonstrators wurde auch der Zugriff auf maschinenseitig vorhandene Daten über eine proprietäre und nur vom Maschinenhersteller unterstützte Schnittstelle gezeigt. Hierzu wird auf die einschlägigen Publikationen und Transferformate des Kompetenzzentrums verwiesen.

Hinweis

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Fachbuch „Digitaler Retrofit“. Das Buch bietet eine praktische Hilfestellung bei der Auswahl und Umsetzung der am besten geeigneten Retrofitlösung für Ihre spezifische Aufgabenstellung. Mittels eines digitalen Quick-Check-Tools der Autoren können Sie die passende Integrationsstufe für Ihre Maschine oder Produktionsanlage ermitteln. Im Buch werden Sie Schritt für Schritt durch die Umsetzung der jeweiligen Integrationsstufe geleitet.
Mehr Infos bei Vogel Fachbuch

* Dr.-Ing. Karl-Peter Fritz ist Leiter des Instituts für Mikroaufbautechnik der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V. in Stuttgart.

* Prof. Dr.-Ing. Henning Strauß lehrt Produktionsorganisation, Werkzeugmaschinen und digitale Fabriktechnik am Institut für Produktionstechnik und Computer Integrated Manufacturing (CIMTT) der Fachhochschule Kiel, dessen geschäftsführender Direktor er auch ist.

* Dr.-Ing. Christoph Rathfelder leitet die Gruppe Application Engineering am Institut für Mikro- und Informationstechnik der Hahn-Schickard Gesellschaft für angewandte Forschung e.V. und ist stellv. Bereichsleiter Software Solutions.

* Dipl.-Ing. André Bülau leitet die Gruppe Sensoren und Aktoren am Institut für Mikroaufbautechnik der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V.

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