Human Machine Interface Industrial Usability Day 2014: „Steve macht alle wuschig“
Eigentlich wollte der Apple-Gründer Steve Jobs mit seinem iPhone 2007 nur das Telefon „neu erfinden“. Sieben Jahre später ist Apples „super-easy-to-use“-Philosophie fester Bestandteil der industriellen Usability und die Maschinenbauer integrieren mittlerweile schon Elemente aus Computerspielen in die Bediendisplays der Anlagen. Auf dem dritten Industrial Usability Day der elektrotechnik präsentierten die Unternehmen erste Lösungen.
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Als Jobs in Laufschuhen, Jeans und schwarzem Rolli der Weltöffentlichkeit sein erstes Smartphone vorstellte, war wohl auch Helmut Schwendele, Softwareentwickler der Homag Holzbearbeitungssysteme GmbH, von der Einfachheit der Bedienung begeistert. Ob Apple-Freund oder nicht – die Usability über das Touchdisplay suchte ihres Gleichen in der Consumer- sowie Unternehmerwelt und beim Maschinenbauer Homag reifte ein Entschluss: Ein neues Bedienfeld musste her.
„Die Steuerungen unserer Maschinen waren in der Vergangenheit sehr unterschiedlich. Das akzeptierte der Kunde nicht mehr“, erklärte Schwendele den 110 Teilnehmern des Industrial Usability Day in Würzburg.
Im Schwarzwald tüftelten die Entwickler fortan an mehr Bedienfreundlichkeit für ihre Produktfamilien. Das Ergebnis: Der Homag Konzern verabschiedete sich in den folgenden Jahren von den Knöpfen und Schaltern am Bedienpult. Die Zukunft sollte in der Power-Touch-Technik liegen. Der erste Schritt in Richtung Berührungssteuerung war eine Analyse der Bedienbarkeit. Die Ingenieure und Softwareentwickler sprachen mit Anwendern, überprüften Maschinenabläufe und stellten die bisherigen Oberflächen und Eingabegeräte auf den Prüfstand. Ein Ergebnis: „Wir mussten nicht nur die Software vereinheitlichen, sondern auch die Hardware. Die Bedienzentralen für die Maschinen sollten homogen gestaltet sein“, so Schwendele.
Auch der Vorstand kann die Maschinen bedienen
Unbewusst orientierte sich Homag dabei wieder an Apple. Jobs kündigte schon vor sieben Jahren an, dass ein „revolutionäres User-Interface immer ein Zusammenspiel von Soft- und Hardware sei.“ Wie lange die Amerikaner für diese Erkenntnis brauchten, verriet der Apple-Boss damals nicht. Er sprach nur von anstrengender Entwicklungsarbeit. Ähnlich sah es bei Homag aus. Fünf Jahre nach den ersten Planungen, präsentierte das Unternehmen 2013 seine Touch-Bedienung der Kundschaft – in Lederschuhen, mit Anzug und Krawatte.
Im Vorfeld der Präsentation durfte der Vertrieb die neue Lösung testen und „selbst der Vorstand konnte die Maschine bedienen“, erinnert sich Schwendele mit einem Lachen.
Als Sonderausstattung vermarkten die Badener seitdem die Technik. Für die Touch-Funktion muss der Kunde zwischen 750 bis 1700 Euro extra auf den Tisch legen, aber die Absatzzahlen geben den Entwicklern Recht. Mittlerweile verkauft Homag die Hälfte seiner Maschinen mit der Power-Touch-Technik. Die Parallele zu Apple: Auch das iPhone macht mittlerweile mehr als die Hälfte des Umsatzes der Amerikaner aus.
Diese Entwicklung verdanken die Kalifornier auch ihrem Marketing. In der Industrie sieht es anders aus, meint Frank Konopka von Siemens. „Usability ist verkaufbar, aber schwer vermarktbar“, behauptet der Produktmanager für HMI Software.
Aber sorgte das iPhone nicht für einen Hype? Ja, meint der VDMA. Auch er kommt nicht an Jobs-Telefon vorbei. Im Publikum geht ein Raunen durch den Saal. „Der Steve macht alle wuschig“, flüstert ein Zuhörer des Usability-Kongresses seinem Sitznachbarn zu.
Smart-Devices schlagen die Funktionen
Das würde Prof. Claus Oetter, stellvertretender Geschäftsführer des Fachverbandes Software im VDMA, wohl unterschreiben, denn er macht bei vielen Unternehmen im Maschinenbau seit einiger Zeit einen iPhone-Effekt aus. Will heißen: Durch das Smartphone von der Westküste verstehen sich Vorstand und Entwicklung das erste Mal richtig und über Funktionalität reden die Maschinen-und Anlagenbauer nicht mehr ausgiebig. Diese wird vom Kunden von jedem Anbieter erwartet, vorausgesetzt. „Gehen Sie mal auf die Messen und schauen Sie sich um, womit die Unternehmen werben – fast überall werden sie Smart-Devices-Anwendungen finden“, resümiert Oetter seine jüngsten Eindrücke von der Hannover Messe. Smart-Devices seien die Gesichter der Industrie 4.0 und die Usability ein notwendiger Baustein für die vierte industrielle Revolution, die für die deutsche Industrie zum Kassenschlager werden soll, so der Verbandsmann. „Wir verkaufen bei Usability User Experience“, bestätigt Andreas Beu von Smart HMI die VDMA-These. Deutschland könne sich einen Vorsprung erarbeiten, so Oetter, aber dafür brauche man in der Ausbildung von Ingenieuren und Informatikern noch mehr Inhalte zur Bedienbarkeit von Maschinen. Dazu kommt: Für ihn sei im Unternehmen vor allem die Kommunikation zwischen den Fachabteilungen ein wichtiger Punkt. „Teams funktionieren nicht mit Fachidioten. Usability braucht Kommunikatoren“, fordert Oetter vom Rednerpult aus. Im Zuhörerraum sitzt Helmut Schwendele und bestätigt: „Ich rede mittlerweile mehr als ich programmiere.“
Früher schuf er Imperien, heute Arbeitswelten
Wenn Joerg Niesenhaus an das Programmieren denkt, dann war er bis vor einigen Jahren vor allem auf die Gamingindustrie fokussiert. Elf Jahre lang verdiente der heutige Senior User Experience Engineer sein Geld in den Spielewelten von Blue Byte und Ubisoft. Damals drehte sich bei Niesenhaus vieles um die Klassiker „Die Siedler“ oder „Anno“ – Strategiegames, die für Ubisoft Umsatzbringer wurden. Mittlerweile erschafft Niesenhaus keine Imperien mehr an der Konsole – zu mindestens beruflich – sondern neue Arbeitswelten in der Industrie und verdient damit Geld. Sein heutiger Arbeitgeber Centigrade und er setzen auf Gamification in der Maschinenbedienung und in Produktionsprozessen. Dabei bedient sich Niesenhaus spielerischer Gestaltungselemente, um beispielsweise die Nutzerzufriedenheit oder Prozesseffizienz zu steigern. Zu den Referenzen zählen SEW, Trumpf oder SMA. In der industriellen Fertigung ist die Prozessstruktur an Maschinen orientiert, so Niesenhaus. Um einen optimalen Durchsatz, eine hohe Qualität und möglichst geringe Ausfallzeiten zu erreichen, kommt es jedoch auf das Mitwirken der Bediener und Wartungsmitarbeiter an. Neben der Mitarbeitermotivation durch Belohnungssysteme spielen auch die Förderung der Team-Arbeit sowie klare Feedback-Prozesse und eindeutige Zielformulierungen eine besondere Rolle bei der Einführung spielerischer Elemente.
Die Gamification-Entwickler setzen beispielsweise auf Punktekonten. Jeder Arbeitsschritt zahlt auf ein Teamkonto ein – erinnert an die Token, soll aber noch mehr liefern. Qualität und Effizienz und soziale Interaktion werden analysiert und gutgeschrieben. Das soll die Motivation erhöhen. Gleichzeitig kann in den Produktionsstraßen mit „Leben“ wie aus Super Mario World gespielt werden. Produziert die Mannschaft beispielsweise Ausschuss verliert sie ein „Leben“. Dazu kommt die Visualisierung von Aufgaben und Ergebnissen auf einem Display. Statische Informationen regen Mitarbeiter weniger an, als wenn der Nutzer sich an seine heimische Spielumgebung erinnert fühlt und als Wartungsingenieur schon einmal virtuell durch die Räume geführt wird – Levelvorschau á la World of Warcraft, ein Massively-Multiplayer-Online-Role-Playing-Game, das auch im Team gespielt wird. Doch Gamification ist nicht nur eine Bedien- und Motivationsmethode für junge Mitarbeiter, die im heimischen Wohnzimmer zocken. Auch ältere Kollegen schätzen den Ansatz, erklärt Niesenhaus. Er gibt aber auch zu: „Das Thema ist in Deutschland noch nicht eingeschlagen.“
Anders die Disziplin Usability: Vor allem die Region Würzburg schickt sich an zum Usability-Valley aufzusteigen. Forschung, Wirtschaft, Verbände und Fachmedien arbeiten bei der Bedienbarkeit von Maschinen in der Industrie vor Ort eng zusammen. Was mit Steve Jobs im Silicon-Valley startete, findet seine industrielle Fortsetzung in der Industrie in und um Mainfranken.
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