MicroTCA Kompakte Version ergänzt AdvancedTCA
MicroTCA-Systeme sind ein Teil der Telecommunications Computing Architecture, die für die kompakten Abmessungen von AMC-Modulen optimiert wurden. Durch zahlreiche verfügbare und zukünftigen AMC-Module, die in MicroTCA-Systemen als normale Einsteckkarten ohne Carrier genutzt werden, ergeben sich vielfältige Anwendungen für neue Applikationen.
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Die grundlegende MicroTCA Spezifikation MTCA.0 (Micro Telecommunications Computing Architecture Base Specification) wurde im Juli 2006 von der PICMG (PCI Industrial Computer Manufacturers Group) ratifiziert. War zuvor eine „Goldrauschstimmung“ zu beobachten, in der jeder seine Claims nach eignem Dafürhalten abzustecken versuchte, können ab diesem Zeitpunkt nun mit der Spezifikation konforme Anwendungen gebaut, installiert und betrieben werden. Das erschließt Zukunftschancen: Die VMEBus-Systeme beispielsweise haben in ihrer zwanzigjährigen Erfolgsgeschichte bewiesen, welche Vorteile die strenge Standardisierung allen Anwendern bietet.
Die PICMG 3.x Spezifikationen (AdvancedTCA) definieren für den Einsatz in Telefon- und Datenvermittlungszentralen Gehäuse mit relativ großen mechanischen Abmessungen. Auch die AdvancedTCA-Karten sind mit den Maßen 322,25 mm × 280 mm × 30,38 mm deutlich größer als Doppeleuropakarten, wie diese z.B. für CompactPCI eingesetzt werden. Bei der sehr großen Anzahl an Anwendungs- und Schnittstellen-kombinationen ist es recht aufwändig, die Vielfalt an Kartenvarianten in dieser großen Bauform herzustellen – zumal viele dafür erforderliche „Grundfunktionen“ identisch sind und auf jeder „großen“ Karte stets erneut bereit gestellt werden müssten.
Sinnvoll wäre es doch, so die Idee, diese „Grundfunktionen“ auf einer Karte und die spezifischen Funktionen auf getrennten Modulen abzubilden. Deshalb wurde die beim VMEbus seit über zwei Jahrzehnten bewährte Technik der Aufsteckmodule (Mezzanines) übernommen. Die AMC-Module werden nicht auf eine Trägerkarte „huckepack“ aufgesteckt, wie bei den meisten anderen Mezzanin-Karten, sondern sie sind hier eigenständige Module. Deshalb können sie im laufenden Betrieb von vorne gesteckt oder gezogen werden.
Entwicklungsziele und Anwendungsbereiche
Die Telecom Computing Architecture, als gemeinsame Basis für AdvancedTCA, AMC und MicroTCA, ist bisher ausdrücklich nur für Telekom-Anwendungen definiert und optimiert. Für andere Anwendungen sind die Voraussetzungen noch zu schaffen. Es wird bereits heiß diskutiert, diese Produkte auch in industriellen Steuerungs-, Verbindungs- und Überwachungssystemen einzusetzen und auch erste Praxistests unter realistischen Bedingungen sind erfolgreich gestartet worden.
Die Spezifikation MTCA.0 definiert MicroTCA Systeme wie folgt:
- Ergänzung zu AdvancedTCA,
- uneingeschränkte Übereinstimmung mit der AMC.0-Spezifikation,
- Systemverwaltung kompatibel zu AdvancedTCA Shelf Management,
- günstige Kosten-, Größen- und Modular-Struktur,
- niedrige Einstiegskosten,
- in weiten Bereichen wählbare Leistung und Zuverlässigkeit (Dienstegüte),
- modular, (dadurch) einfache Wartung,
- verwendbar in 19 Zoll breiten und 300 mm tiefen Standardgehäusen oder Baugruppenträgern,
- zuverlässige Entwärmung bei 20 W bis 60 W Verlustleistung je AMC-Modul (80 W für MCH MicroTCA Carrier Hub),
- einsetzbar in Temperaturbereichen von –40 bis 65 °C,
- Stromversorgung mit 12 V DC,
- geplante Einsatzdauer (life cycle) von 8 Jahren,
- bis zu 40 Gbit/s Gesamtdatenrate auf der Backplane,
- Backplane für Stern, Doppelstern und vermaschtes Netz (mesh),
- nutzbare Zuverlässigkeit wählbar zwischen 0,999 und 0,99999,
- passend für die AMC-Modulgrößen,
- Modultausch bei laufendem Betrieb (Hotswap).
In den Spezifikationen wird mehrfach auf die Kompatibilität von AMC-Modulen und MicroTCA-Systemen zur AdvancedTCA-Architektur hin-gewiesen. So sind zukünftige Einsatzbereiche, wie die Unterstützung von AdvancedTCA-Systemen mit höherer Flexibilität, die Nutzung als dezentrale Leitungsvermittlung beim Kunden oder der Einsatz als Netzknoten in einem größeren Netz vorgegeben. Wichtig ist dabei die harmonische und optimierte Zusammenarbeit mit komplexen AdvancedTCA Systemen. Durch die Vielfalt an verfügbaren und zukünftigen AMC-Schnittstellenkarten können entsprechend vielfältige Anforderungen in nahezu beliebigen Konfigurationen erfüllt werden.
Typische Anwendungen für MicroTCA-Systeme finden sich in/als Basisstationen für Mobilfunk, beispielsweise nach OBSAI-Vorgaben (Open Base-Station Architecture Initiative), Netzzugangsstationen, Netz-knoten, Leitungskonzentratoren und kleinere Netzwerke. Auch in Ver-mittlungen für WiMAX- oder Wi-Fi-Netze zur und in Knoten für Servicezugänge von großen Anlagen kann MicroTCA-Technik eingesetzt werden (Worldwide Interoperability for Microwave Access, geplantes Mikrowellenfunknetz/Wireless Fidelity, Vereinigung zur Sicherung der Kompatibilität von Wireless-Geräten).
Herkömmliche Telefonzentralen, Ethernet-Verteilerstationen und Firewall-Systeme sind in dieser Technik ebenfalls mögliche Anwendungsbereiche. Bei einer späteren Erweiterung auf schnellere Verbindungstechnik, wie 10 GBit/s Ethernet, müssen dann nur die davon betroffenen AMC-Module ausgetauscht werden, wohingegen die Aufbauarchitektur komplett erhalten bleibt.
Auch modulare PCs mit AMC-Modulen für Medienschnittstellen (Digital-TV, DVD-Spieler, Video-Kameras, Camcorder, Internet-Radio, usw.) für den privaten Hausgebrauch sind zukünftig möglich, weil bei Nutzung von HDTV auch dort viele Leitungen mit hohen Datenraten bedient werden müssen. Ein kompletter PC auf einem AMC-Modul ist schon als Katalogprodukt beim Hersteller SBS Technologies erhältlich.
Der Systemaufbau bei MicroTCA
Ein System wird aus einem Gehäuse mit Backplane gebildet. In dieses Gehäuse werden die AMC-Module als Steckkarten in gewohnter Wei-se senkrecht eingesteckt (Befestigungshebel unten). Diese Anordnung kann auch um 90° nach links gedreht werden. In diesem Fall werden die AMC-Steckkarten nebeneinander und sehr häufig in zwei Lagen übereinander eingesetzt (vergleiche hierzu auch PicoTCA).
Die AMC-Karten in MicroTCA-Systemen sind mechanisch und elektrisch identisch mit denen in AdvancedTCA-Systemen (wo sie AMC-Module genannt werden). Die zentrale Steuerung wird von einem MicroTCA Carrier Hub (MCH) durchgeführt. Zusätzlich erfüllt der MCH auch noch die Vermittlungsfunktion (Switching) für die auf den AMC-Karten vorhandenen seriellen Datenleitungen.
Alle AMC-Karten sind im Betrieb austauschbar (Hotswap). Deshalb haben sie vier verschiedene Ebenen der elektrischen Kontaktgabe, um die richtige Spannungs- und Signalreihenfolge beim Ein- und Ausstecken zu gewährleisten. Je nach Anwendung sollen MicroTCA-Systeme eine Zuverlässigkeit erreichen, die von 99,9 % (ausreichend, preiswert) bis zu 99,999 % (sehr hoch, sehr aufwändig) reicht.
Ein MicroTCA System enthält neben den AMC-Karten auch die Stromversorgung sowie Entwärmungseinrichtungen (Ventilatoren) und Tem-peraturfühler. Bis zu vier Stromversorgungen und zwei Entwärmungseinheiten (Gebläse, Ventilatoren) sind pro System vorgesehen. Die Eingangsspannungen sind wahlweise -48 und –60 V – wie bei AdvancedTCA Systemen – sowie 24 V (Industrie) oder die ortsübliche Netzspannung.
Steckplätze ohne Funktionseinschübe müssen mit Leerkarten bestückt werden. Diese sind als Luftstrombremse ausgebildet, die einen den Modulen vergleichbaren Luftwiderstand haben; denn würde ein nicht benötigter Leerplatz frei gelassen, dann ginge ein großer Teil des Luftstroms den Weg des geringsten Widerstandes, anstatt andere Karten zu kühlen.
MicroTCA Carrier Hub
Im MicroTCA System erfüllt der MCH die Vermittlungsfunktion. Der Hub schaltet die gewünschten Einzel- oder Netzverbindungen (Fabrics). MicroTCA Backplanes stellen je Steckplatz bis zu 21 symmetrische (differential) Vollduplex Signalpaare zur Verfügung. Der MCH lässt sich als das Gehirn eines MicroTCA-Chassis beschreiben. In den meisten Fällen ist der MCH ebenfalls als AMC-Modul mit einfacher Breite sowie voller Einbauhöhe aufgebaut und für das Management der Stromversorgungs-, Kühl- und anderen Systemfunktionen von bis zu 12 AMC-Karten im Chassis verantwortlich.
Er bietet gegenüber AdvancedTCA ein umfangreicheres IPMI-Systemmanagement und einen Fabric Switch mit bis zu 60 Kanälen mit verschiedenen Konfigurationen, die Ethernet, PCI Express und andere Protokolle unterstützen. Für Systeme mit hoher Verfügbarkeit werden zwei MCH-Module eingesetzt, um Redundanz zu gewährleisten.
Der MCH kann sieben Netze (Fabrics) mit maximal 12 AMC-Einsteckkarten bilden. Somit muss der MCH bis zu 84 Vollduplex-Verbindungen verwalten. In der Spezifikation ist jede Verbindung für eine Datenrate von mindestens 3,125 Gbit/s ausgelegt. Ziel ist es allerdings, diese Verbindungen zukünftig bis zu etwa 12,5 Gbit/s zu nutzen. Je nach Auslegung benötigt diese MCH-Steckkarte bis zu 680 Anschlusskontakte auf vier Kontaktzungen (Steckverbindern) zu je 170 Kontakten. Diese sind auf der Ober- und Unterseite (je 85 Kontakte) als vergoldete Leiterbahnenden angebracht. Bei redundantem Betrieb mit zwei MCHs ist nur jeweils einer aktiv, der zweite wartet im Standby-Modus.
Gehäuse
MicroTCA Gehäuse stützen sich auf die Definitionen in IEC 60297-x (19-Zoll-Technik) oder 60917-x (metrisch, ETSI). Das Breitenraster ist jeweils ein Vielfaches von 15,24 mm (HH, half-height, compact, 3 TE), 20,32 mm (mid-size, 4 TE) und 30,48 mm (FH, full-height, full-size, 6 TE). Damit können in horizontaler Richtung bis zu 29 Steckplätze mit schmalen Karten oder bis zu 14 Steckplätze mit breiten Karten genutzt werden. In vertikaler Richtung gilt das Raster der IEC-Definitionen. In der MicroTCA Spezifikation sind bis zu vier Höhenebenen mit jeweils nominell 75 mm vorgesehen: Bis zu vier Steckkartenreihen mit einfacher Höhe (SW, single) oder bis zu zwei Steckkartenreihen mit doppelter Höhe (DW, double) passen darin übereinander.
Stromversorgung
Diese besteht aus mehreren Komponenten: Der Stromquelle (mit Filterung, Spannungswandler), der Stromverteilung (mit Leistungsschaltern FETs, Steckverbindern, Stromleitungen und Backplane), der Mess- und Überwachungseinheit, den Schutzschaltungen und den Steue-rungselementen (überwacht durch den VCM). Dabei werden von der Stromversorgungseinheit folgende Funktionen wahrgenommen: Die Umwandlung der primären Eingangsspannung in die Versorgungsspannungen von 12 und 3,3 V DC, die Laststromverteilung und -überwachung auf die maximal 12 Steckkarten und 2 MCHs sowie das Schnittstellenmanagement zum VCM.
In der MicroTCA-Spezifikation sind mehrere Gleich- und Wechselstrom-Energiequellen definiert: Gleichspannungen von 24, 48 und 50 V, Wechselspannungen von 100 bis 240 V. Andere Versorgungen sind möglich, aber nicht spezifiziert. Das Stromversorgungssystem und der Carrier Manager kommunizieren über IPMI-Schnittstellen. Die Stromversorgung kann redundant auf bis zu 4 Module aufgeteilt werden.
Entwärmung
Die MicroTCA Spezifikation definiert Luftkühlung. Am Luftaustritt soll die Lufttemperatur nicht mehr als 10 °C (maximal 15 °C) über der Ein-blastemperatur liegen. Dabei wird von einer „Standardluft“ mit definierten Werten für Luftdruck (Meereshöhe), Temperatur (26 °C) und Feuchte (50 % bei 16.800 Pa Dampfdruck auf Meereshöhe) ausgegangen. Durch Luftleitbleche und entsprechend geformte Leerkarten muss erreicht werden, dass die Luft in allen Teilen des Systems gleichmäßig strömt. Auf den AMC-Steckkarten und im MicroTCA Gehäuse sind Temperatursensoren spezifiziert, die über die Systemverwaltung im MCH entsprechende Meldungen erzeugen und Aktionen auslösen. Entsprechend der nominellen Verlustleistung der Module von 20 bis 60 W muss in voll bestückten Baugruppenträgern eine Verlustleistung von rund 600 W entsorgt werden.
JTAG
Auf AMC-Karten und in MicroTCA Systemen sind fünf Signalleitungen für die JTAG-Schnittstelle (Joint Test Action Group) nach IEEE 1149.1 reserviert. Über diese Schnittstelle lässt sich direkt in die Halbleiter-bausteine „hineinschauen“. Für Testzwecke können beispielsweise Register ausgelesen oder mit bestimmten Werten belegt werden. So können Zustände auch im Chipinneren analysiert und in gewissem Umfang auch beeinflusst werden.
Bauformen
Die Größe und die Konfiguration eines Chassis für AMCs, die durch eine serielle Verbindungsstruktur miteinander verknüpft sind, können von einer kleinen Box für zwei AMCs bis zu einem großen, autonomen Chassis mit AMC in unterschiedlichen Einbaugrößen variieren. Von den zahlreichen denkbaren Typen der möglichen Gehäuseformen gibt es mindestens zwei Konfigurationen, die der MicroTCA-Ausschuss enger in Betracht zieht: Ein 19” Rackmontage-Chassis (Baugruppenträger) mit 4 HE, das bis zu 10 AMC-Module in voller Einbauhöhe unterstützen kann sowie eine kubische 8“-Chassis-Konfiguration mit bis zu 12 AMCs mit halber Einbauhöhe. Wie erwähnt, kann MicroTCA neben Gleichspannung auch mit Wechselstrom-Netzspannung versorgt werden, um über die zentralen Bürotelekommunikationsnetze hinaus weitere Anwendungen wie z.B. transportable Testsysteme zu erschließen. Alle beschriebenen Bauformen – und darüber hinaus kundenspezifisch modifizierte – werden als komplett aufgebaute und sofort lauffähige System von Rittal bereit gestellt. Wie bei allen derartigen „MPS-Systemen“ gilt auch hier die Devise der Herborner Spezialisten: Funktionskarte(n) stecken und sofort mit Messungen, Tests oder den An-wendungen starten.
*Werner Sonnabend ist bei Rittal Electronic Systems in Eckental im Produktmanagement tätig
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