Plattformökonomie Teil 1 Nachgefragt: Wie Automatisierer Prozesse neu denken können
Sie sollen das Herzstück des digitalen Wandels in der Industrie darstellen, die Plattformen. Wir haben bei drei Experten nachgefragt, welche Potenziale Industrieplattformen bieten, wie ihre Strategien aussehen und welche neuen Geschäftsmodelle definiert wurden?
Anbieter zum Thema

Das Plattformgeschäft liegt im Trend. Auch auf der Hannover Messe 2019 wird dies deutlich. Viele Automatisierer stellen ihre Lösungen hierfür vor. Wir haben bei drei Experten nachgefragt und erfahren, wie neue Geschäftsmodelle entwickelt und Prozesse neu gedacht werden können.
- Richard Habering, Geschäftsbereichsleiter Smart Plastics, Igus
- Patricia Torres, Industry Marketing Manager F&B, Omron
- Klaus Löckel, Managing Director Eurocentral, Dassault Systèmes
elektrotechnik AUTOMATISIERUNG: Plattformökonomie spielt eine immer wichtigere Rolle in der Automatisierungsbranche. Welche neuen Geschäftsmodelle bietet Ihr Unternehmen für das Plattformgeschäft an?
Richard Habering: Bei Igus gehen wir in unseren verschiedenen Produktbereichen unterschiedliche Strategien der Plattformökonomie an. Von Online-Tools zur Konfiguration von Spindeln und Energiekettensystemen über die Entwicklung von Low-Cost Steuerungen für unsere Lineareinheiten bis hin zur Anlagenüberwachung mit intelligenten Sensoren. Im Bereich der Smart Plastics arbeiten wir z.B. intern in einer neuen Kooperation aus Vertrieb, IT und Produktmanagement zusammen, um Hardware-Komponenten wie Energieketten und Leitungen durch Sensoren messbar und überwachbar zu machen. Diesen Weg gehen wir bereits seit 2016. Ziel ist es, die Anlagensicherheit dank der Sensoren zu erhöhen und die Wartung vorausschauend und damit planbar zu machen. Derzeit bieten wir zehn Sensoren für unsere Energieketten, Leitungen, Rundtischlager und auch Linearführungen an, die unter anderem Verschleiß, Kraft und Geschwindigkeit messen. Die Messdaten werden in einer Online-Variante an ein Kommunikationsmodul gesendet. Dieses nutzt die Daten, um sie an eine Cloud anzubinden und mittels Data Analytics und KI Predictive Maintenance-Informationen an den Kunden zu liefern. Wir bieten dem Anwender neben der Online-Variante weitere Möglichkeiten die Daten der Sensoren in sein Instandhaltungstool zu integrieren – von einer einfachen Ausschaltlösung bei Überschreiten eines bestimmten Grenzwertes über die Integration in kundenseitige SCADA bzw. Condition Monitoring Systeme bis hin zur angesprochenen smarten Anbindung an die Igus-Cloud zur automatischen Ersatzteilbestellung.
Patricia Torres: Omron will mit seinen Services und Neuerungen sicherstellen, dass die richtigen Daten für die Plattformökonomie von der untersten Ebene des Herstellungsprozesses gesammelt werden können. Der Aufbau einer Smart Factory mit Echtzeitkommunikation von und zu Geräten auf Maschinenebene ist nun mit dem digitalisierten I/O-Link-Protokoll von Omron möglich. Sensoren und Antriebstechnologien können mehr als nur einfache Ein- und Ausschaltsignale oder analoge Bereiche kommunizieren. Sie können auch erweiterte Status- und Diagnoseinformationen bereitstellen, die sich mit dem Controller darüber austauschen, wie sie arbeiten. Darüber hinaus kann die Steuerung auch die Parameter des Sensors ändern, was eine flexible Fertigung ermöglicht.
Klaus Löckel: Die 3D-Experience Plattform von Dassault Systèmes unterstützt Unternehmen bei ihren Entwicklungs- und Herstellungsprozessen. Wir bieten ein Werkzeug, um Ideen zu planen, umzusetzen und so die Realität durch virtuelle Welten zu verbessern. Erweitert durch den 3D-Experience Marketplace bieten wir Usern die Möglichkeit, sich mit vielfältigen Industriezulieferern zu vernetzen. Diese Vernetzung wollen wir auch weiterhin vertiefen. Ein weiterer wichtiger Punkt für Dassault Systèmes ist „Value Engagement“. Dies beschreibt die holistische Betrachtung eines Unternehmens, um so beratend neue Ansätze aufzeigen zu können. So können Lieferketten zu Wertschöpfungsnetzwerken umgewandelt werden, operative Prozesse automatisiert und verbessert werden, um schlussendlich bessere Resultate zu erzielen.
elektrotechnik AUTOMATISIERUNG: Wie können Anwender die gewonnenen Erkenntnisse erfolgreich in ihre Prozesse übertragen?
Richard Habering: Predictive Maintenance leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, Produktionsprozesse noch sicherer, einfacher und vor allem planbarer zu machen. Denn intelligente Lösungen ermöglichen es, Produkte erst dann zu tauschen, wenn es tatsächlich notwendig ist. Zusätzlich verhindern sie, dass es zu ungeplanten und kostenintensiven Stillständen kommt. Mit unseren vernetzten Smart Plastics erweitern wir die Möglichkeiten der vorausschauenden Wartung und erhöhen so seine Anlagenverfügbarkeit. Linearführung wie auch Energiekette und Leitung überwachen sich permanent selbst, informieren und warnen je nach gewähltem Integration-Konzept z.B. per Webinterface auf Desktop, Tablet oder Smartphone. Damit helfen sie nicht nur dem einzelnen Instandhalter in seiner täglichen Arbeit, sondern unterstützen auch Unternehmen, durch erhöhte Ausfallsicherheit, Kosten zu senken.
Patricia Torres: Via IO-Link werden beispielsweise Geräte überwacht und korrigiert, bevor sie ausfallen oder einen Anlagenstillstand verursachen. Verschmutzt beispielsweise die Linse einer Lichtschranke, kann der Sensor über IO-Link einen Alarm auslösen. Es wird so frühzeitig gewarnt, die Linse zu reinigen, bevor der Sensor nicht mehr arbeitet. Durch die kontinuierliche Überwachung jedes Sensors lassen sich Korrekturmaßnahmen ergreifen, bevor das Gerät ausfällt. Darüber hinaus kann auch die Planung von Ruhephasen verändert werden, um deren Auswirkungen auf die Produktivität zu minimieren. Eine weitere Stufe von Predictive Maintenance lässt sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) „at the Edge“, was soviel bedeutet wie auf Maschinenebene, erreichen. Dies ermöglicht es Unternehmen, Komplexität und Sicherheit besser zu kontrollieren. Bei diesem Ansatz sammelt die Maschine als kleinstes Element alle Daten. Obwohl der Datenumfang relativ groß ist, benötigen Unternehmen weniger Ressourcen in Bezug auf Hardware, Kommunikationsinfrastruktur oder Verarbeitungsmöglichkeiten auf Unternehmensebene.
Klaus Löckel: Mit Hilfe der 3D-Experience Plattform haben unsere Kunden die Möglichkeit, einen digitalen Zwilling als virtuelles Abbild des geplanten Produkts zu erzeugen. Dieser sogenannte 3D-Experience Twin bildet das Produkt und sein Verhalten unter realen Bedingungen ab. Ausfälle oder Schwächen lassen sich in Prozessen vorhersagen und so bereits in der Planung besser berücksichtigen. Die Simulation ganzer Geschäftsprozesse innerhalb der Plattform schafft durch die Integrierbarkeit aller vorhandenen Daten den Grundstein, um Prozesse nicht nur analysieren, sondern direkt verbessern zu können.
elektrotechnik AUTOMATISIERUNG: Wie sieht dabei das Zusammenspiel zwischen IT und Automation bei Ihnen aus?
Richard Habering: Die Anbindung der Sensoren ist unter anderem an eine Igus-Cloud möglich, diese sorgt für eine optimale Planung der Wartungsteams. Die Cloud greift auf die Daten aus dem mit 2.750 qm weltgrößten Testlabor für bewegte Energieübertragungssysteme zurück. Condition Monitoring, das Testen und Erfassen und Auswerten von Daten, betreiben wir bereits seit 30 Jahren. Pro Jahr werden im Labor alleine über 10 Mrd. Testzyklen für Energieketten gefahren. Dadurch lernt das Isense-Online-System durch KI und Machine-Learning-Algorithmen ständig dazu. Täglich gleicht es die Lebensdauerempfehlungen mit den noch genaueren, im realen Betrieb errechneten Ergebnissen ab. In der Regel verlängert sich dadurch die Zeit bis zur nächsten Wartung. Das spart auf lange Sicht nicht nur Kosten, sondern unterstützt Schichtleiter, Wartungscrews und auch das Team in der Lagerhaltung. Monteure werden im Vorfeld per E-Mail oder SMS benachrichtigt, dass Antriebe demnächst verschleißen, E-Ketten vom Totalausfall bedroht sind oder aus Altersgründen getauscht werden müssen. Diese Info wird auch durch die Igus-Anbindung an unser Vertriebstool kommuniziert. Hier können wir aufgrund der frühzeitigen Warnung dem Kunden direkt ein Angebot über sein benötigtes Ersatzteil zukommen lassen.
Patricia Torres: Omron unterstützt produzierende Unternehmen mit „AI at the Edge“ sowie flexiblem und autonomem Produktionssupport und IoT-Automatisierungslösungen von der Datenerfassung bis zur intelligenten Produktion für eine nahtlose Integration von IT- und OT-Welten. Während sich die Cloud am besten für den Umgang mit Big Data und die Verwaltung umfangreicher Langzeitanalysen eignet, ist KI auf Maschinenebene entscheidend für Echtzeitanwendungen: Leitungen und Geräte werden mit Echtzeitsensoren überwacht, und die Daten werden mit hoher Geschwindigkeit gesammelt und verarbeitet, um Unregelmäßigkeiten schnell zu erkennen. Die Technologie von Omron bietet eine nahtlose Integration in die Cloud mit integrierten, gesicherten IoT-Protokollen direkt von der Maschinensteuerung aus. Unternehmen werden so in die Lage versetzt, ihre Verarbeitungs- und Analysefähigkeiten mit KI-Algorithmen auf Maschinenebene zu erweitern und profitieren von schnelleren und effizienteren Informationen für ihren Entscheidungsprozess. Mit Omrons KI at the Edge holen Unternehmen alles aus ihrem Fog- und Cloud-Computing mit vorverarbeiteten und kumulierten Daten von der Maschinenebene heraus und reduzieren die für einen optimalen Datenfluss erforderliche IT-Infrastruktur.
Klaus Löckel : Die enge Verknüpfung zwischen IT und Automatisierung ist aus unserer Sicht eine wichtige Voraussetzung für die Prozessoptimierung. Mit Hilfe einer ganzheitlichen Lösung können alle Schritte der Fertigung unkompliziert simuliert und optimiert werden. Dies liefert einen großen Nutzen für die Automatisierung in Industrieunternehmen. Diese können direkt von höheren Erträgen profitieren, da der Einsatz von beispielsweise Industrierobotern durch z.B. unsere Plattform effizienter erfolgt.
elektrotechnik AUTOMATISIERUNG: Wo sehen Sie die größten Hürden und Herausforderungen?
Richard Habering: Aufgrund des hohen Aufwandes für die IT-Sicherheit und das steigende Bewusstsein um den Wert der eigenen Daten, sinkt derzeit auch die Bereitschaft Sensordaten in das zuvor beschriebene Cloudkonzept zu integrieren und dort effiziente Modelle zu erstellen. Momentan zeichnet sich in der Industrie eher eine Art „Inseldenken“ ab – große Konzerne z. B. aus der Automobilindustrie beginnen eigene, lokale SCADA bzw. Condition-Monitoring-Netzwerke einzusetzen, mit dem Ziel eigene Wartungs- und Maschinenkonzepte auszubauen. Daher gilt es jetzt neue Lösungen zu entwickeln, die nah an den Wünschen der Kunden sind.
Patricia Torres: Es gibt noch immer eine gewisse Kluft zwischen dem gewünschten Status und der realen Situation: Viele der am Markt beworbenen, oft Cloud-basierten Lösungen stellen erhebliche Anforderungen an Infrastruktur und IT; diese Lösungen arbeiten mit riesigen Datenmengen, die mühsam und zeitaufwändig in der Bereitstellung und Verarbeitung sein können. Die Frage nach dem Mehrwert bleibt für Betreiber oft etwas unklar, da sie nicht beurteilen können, ob und wie sich die Investition rentiert. Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass Anlagenkonzepte in der Produktionsindustrie in der Regel sowohl komplex als auch einzigartig sind. Anstatt mühsam eine riesige Datenmenge nach Mustern zu durchsuchen, geht Omron anders an die Sache heran: Die erforderlichen KI-Algorithmen sind in die Maschinensteuerung integriert und schaffen so den Rahmen für eine Echtzeit-Optimierung ganz am „Edge“ – an der Maschine, für die Maschine.
Klaus Löckel: Unserer Erfahrung nach, besteht eine große Hürde in der richtigen und effektiven Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle. Verschiedene Informationsquellen innerhalb des Unternehmens schaffen Datensilos, die eine übergreifende Kommunikation zwischen fachspezifischen Experten behindert. Dies hat zur Folge, dass Abläufe verlangsamt und die Innovationskraft geschwächt wird. Dassault Systèmes berät deshalb systematisch, um Prozesse neu zu denken und durch den Einsatz der richtigen Lösungen geteiltes und für jeden zugängliches Wissen und Know-how bereitzustellen. Dabei gilt es nicht zuletzt, Unsicherheiten abzubauen, da häufig erprobte und bereits viele Jahre etablierte Prozesse neu konzipiert werden müssen.
elektrotechnik AUTOMATISIERUNG: Was sind die nächsten Schritte?
Richard Habering: Auf der SPS im letzten November haben wir bereits ein Konzept zur intelligenten Überwachung von Busleitungen in E-Kettensystemen vorgestellt. Durch die frühzeitige Alarmierung schon bei kleinsten Veränderungen der Übertragungseigenschaften erkennt das CF.D System drohende Anlagenstillstände rechtzeitig. Weitere Neuheiten liegen derzeit in der Weiterentwicklung der produktinternen Sensorik zur Verschleißmessung sowie der tieferen Integration der Algorithmen basierten Lebensdauerberechnung und sensorbasierenden Warnmeldungen in das Maschinenumfeld des Kunden. Auch arbeiten wir derzeit an einem neuen Kommunikationsmodul, dass Wartungsempfehlungen und ungewöhnliche Veränderungen der Sensordaten an eine SPS übergeben kann. Das Gerät wird über Igus-Online-Konfigurationen mit initialen Lebensdaueralgorithmen programmiert und kann sowohl mit online Verbindung an den Igus-Server als auch offline mit einem temporären Serverzugang, z.B. über ein Speichermedium, eingesetzt werden und kommt damit den neuen Anforderungen auf dem Markt nach Laufzeitmaximierung und IT Sicherheit nach.
Patricia Torres: Die kürzlich eingeführte KI-Maschinensteuerung von Omron, der AI Machine Controller,, sammelt, analysiert und nutzt Daten von Edge-Geräten innerhalb einer Steuerung, um die Lebensdauer der Geräte zu verlängern und unvorhergesehene Ereignisse zu erkennen. Hierdurch lassen sich Ausfälle vermeiden. Diese Lösung kann Herstellern helfen, das Risiko von Geräteschäden und Ausfallzeiten zu reduzieren, indem sie Probleme frühzeitig erkennt und sofortige Maßnahmen zur Behebung einleitet. Der KI-Controller wird von praktischen Anforderungen getrieben und zielt auf eine spürbare Verbesserung der OEE ab – es ist wichtig zu beachten, dass eine Verbesserung um nur wenige Prozentpunkte zu erheblichen Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen führen kann.
Klaus Löckel: Das Ziel von Dassault Systèmes bleibt es auch in Zukunft, Unternehmen mit unserer Plattform von den Vorteilen der Digitalisierung sowie von automatisierten und verknüpften Wertschöpfungsprozessen zu überzeugen und ihnen echte Mehrwerte zu bieten. Einer IDC-Studie zur Folge, werden digitale Marktplätze immer wichtiger: Bereits in rund zwei Jahren sollen Industrieunternehmen laut dieser Erhebung 28 Prozent ihres Umsatzes hierüber generieren. Auf der diesjährigen Hannover Messe zeigen wir deshalb, wie mit unserer Plattform effizient und vernetzt die Produkte und Dienste der Zukunft entwickelt werden können. Anhand von Anwendungsbeispielen verschiedener Partner und Kunden wird so das gebündelte Potenzial der 3D-Experience Plattform deutlich.
Hannover Messe:
- Igus: Halle 17, Stand H04
- Omron: Halle 9, Stand F24
- Dassault Systèmes: Halle 6, Stand K30
(ID:45731860)