Interview zu Antriebstechnologie Wenn ein Smart Sensor zum Fitnesstracker für Millionen Motoren wird

Von Karin Pfeiffer

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Eigentlich sollte es ein smartes Leistungsschild werden, herausgekommen ist mit dem Abililty Smart Sensor von ABB eine Plattform, auf der sich mit neuen Funktionalitäten auch Geschäftsmodelle für Partner entwickeln lassen, erklärt Jonas Spoorendonk, Global Product Manager ABB Ability Smart Sensor bei ABB Motion, im Interview mit elektrotechnik AUTOMATISIERUNG.

Nicht nur Zustände messen: Mit dem Smart Sensor lassen sich beispielsweise Einsparpotenziale im kompletten Antriebsstrang errechnen.
Nicht nur Zustände messen: Mit dem Smart Sensor lassen sich beispielsweise Einsparpotenziale im kompletten Antriebsstrang errechnen.
(Bild: ABB)

elektrotechnik AUTOMATISIERUNG: Als ABB mit dem Smart Sensor für die Digitalisierung des Antriebsstrangs auf den Markt kam, wirkte er auf den ersten Blick wie ein interessantes, neues Produkt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Inzwischen kristallisiert sich heraus, dass hinter der Entwicklung noch mehr steckt. Ein völlig neues Geschäftsfeld womöglich?

Jonas Spoorendonk sieht sich als Global Product Manager ABB Ability Smart Sensor bei ABB Motion als Schnittstelle zwischen Markt und Entwicklung.
Jonas Spoorendonk sieht sich als Global Product Manager ABB Ability Smart Sensor bei ABB Motion als Schnittstelle zwischen Markt und Entwicklung.
(Bild: Luca Siermann/ABB)

Jonas Spoorendonk: Es stimmt, der Smart Sensor ist nicht einfach nur eine tolle Lösung fürs Condition Monitoring, die den Zustand und die Leistung von Motoren, Pumpen und Stehlagern fernüberwacht. Wir bauen mit ihm ein Öko-System auf, in dem sich neue Geschäftsmodelle entwickeln können und damit vielleicht auch ganz neue Märkte erschließen.

Neue Märkte erschließen, das wollen viele. Was qualifiziert den Smart Sensor für solche ehrgeizigen Pläne, was kann er?

Ganz kurz skizziert: Der Smart Sensor liefert Informationen zu Betriebs- und Zustandsparametern wie Vibrationen, Magnetfeld, Temperatur und Überlastung, inzwischen übrigens auch in explosionsgefährdeten Bereichen. Die Daten werden mit einer cloudbasierten Software analysiert und erlauben etwa die Wartungsplanung. Dabei geht es nicht einfach nur ums Messen, dazu gehört sehr viel Domain-Expertise, was Elektromotoren, Stehlager etc. betrifft.

Und genau diese Kompetenzen haben wir bei so einigen Maschinentypen, Elektromotoren und Frequenzumrichter zum Beispiel. Erst damit lassen sich beispielsweise deutlich Stillstandzeiten reduzieren, die Lebensdauer der Antriebe verlängern und auch der Energieverbrauch senken. Im klassischen Motorengeschäft sind das Kennzahlen. Daraus können nun Services werden, weil die neuartige Sensortechnologie Millionen von Motoren das Industrial Internet of Things (IIoT) mit seinen Möglichkeiten öffnet.

Klingt nach Predictive Maintenance?

Ja, natürlich. Noch allerdings hapert es bei dem Thema. Um wirklich prediktiv zu sein, braucht man sehr viele Daten, und hinsichtlich Rechnerleistung, Speicherplatz oder Sensorik ist es noch unwirtschaftlich. Man könnte sagen: Wir sind auf der Reise zu Predictive Maintenance, und auf dem Weg dorthin bieten wir bereits viele nützliche Funktionalitäten an.

Als IIoT-fähigen Sensor positioniert ABB den Smart Sensor heute, war das auch die ursprüngliche Idee?

Die ersten Gedanken gingen nicht Richtung Sensor. Da gab es die Idee für ein Motorleistungsschild, das auch gleich die Informationen zum Motor in sich trägt – Datenblätter, Zeichnungen usw. Quasi ein smartes Leistungsschild direkt am Motor. Das liegt ca. sieben Jahre zurück, die ersten Smartphones inspirierten, das Potenzial für die Kommunikation war erkennbar. Bei uns trafen hier bereichsübergreifend Inspirationen zusammen, auch der Drang, an vorderster Front dabei zu sein. Gleichzeitig verfügt ABB bekanntlich über eine sehr starke Forschung & Entwicklung. Im Bereich Elektromotoren hatten wir da schon mit Cajetan Pinto einen Entwicklungsleiter, seinerzeit in Mumbai, der viele, viele Ideen hat und auch über den Tellerrand auf andere Entwicklungen schaut. Von ihm kam der Gedanke: Wenn wir da am Motor bereits Kommunikation platziert haben, dann können wir auch ein bisschen messen.

Was war vor sieben Jahren über den Tellerrand hinaus schon zu sehen?

Viele neue Technologien, die das, was man vorher auch schon machte, nun einfacher und günstiger, simpler und zugänglicher realisierbar machen. Wie beim Fitnesstracker, der Schritte misst, den Kalorienverbrauch anzeigt etc. und Empfehlungen gibt, mit welcher Herzfrequenz sich z.B. die Kondition verbessern lässt. Das ging vorher auch, manches jedoch aufwendig, mit Tests beim Arzt.

Beim Thema Industrie 4.0 manchen wir doch im Prinzip das Gleiche: Der Smart Sensor misst den Motorzustand. Das konnte man ja längst, aber dank der Entwicklungen in verschiedenen Technologiefeldern ist es plötzlich möglich, für sehr wenig Geld das Gleiche zu machen – und mehr. Deshalb, weil die Komponenten günstiger werden, auch einfacher wie z.B. der Funkverkehr mit RFID, Wifi, Bluetooth.

Der Smart Sensor als Fitnesstracker für Motoren …

Ja, stimmt. Nur dass unser Forscher eben meinte, wir könnten nun die Überwachung von Motoren vereinfachen. Alles MEMS-Technologien. Pinto hat mit seinem Team dann die Freigabe bekommen, so einen Fitnesstracker für Motoren zu entwickeln. Der Smart Sensor kristallisierte sich im Laufe der Entwicklung in zahlreichen Prozessen und Sprints heraus.

Sehen die Innovationsprozesse heute anders aus bei ABB?

Definitiv. Heute leben wir in einer ganz anderen Entwicklungswelt mit agilen Prozessen und Teams, die sich immer wieder neu zusammensetzen. Und vor allem: Ein Produkt im IIoT ist praktisch nie fertig, vor allem die Softwareentwicklung geht immer weiter: Algorithmen verbessern, nach und nach mehr Funktionalitäten reinbringen, noch smarter werden.

Sie haben für den Smart Sensor eine Entwicklungsplattform gebaut, gemeinsam mit Partnern?

Ja, wir haben für den Smart Sensor neue Bereiche aufgebaut, auch erfahrene Software-Architekten eingestellt, aus unseren weltweiten Forschungszentren Unterstützung geholt, von Sensorexperten und Bluetooth-Spezialisten etwa, das Team in South Carolina beispielsweise ist hauptsächlich mit dem Stehlager beschäftigt, das in Krakau vor allem mit der Datenanalyse. Aber bevor man den Schritt zu einem richtig industriellen, kommerziellen Produkt gemacht hat, muss man ein Ökosystem von Partnerschaften aufbauen. Und das muss man auch aufrechterhalten.

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Warum externe Partner?

Das liegt in der Geschäftsidee begründet. Es ist sicherlich kein Problem, einen Sensor zu bauen. Das ist eigentlich relativ einfach gemacht. Dann kommen Messungen von wichtigen Parametern hinzu. An sich alles keine Kunst. Die Frage ist jedoch, was will man damit machen? Unser Geschäftsmodell mit dem Smart Sensor bezieht sich natürlich stark auf unsere Domain Expertise. Wir wollen nicht nur Zustände messen. Wir wollen darüber Aussagen treffen: Wie geht es dem Motor? Wir wissen, welche Informationen dafür relevant sind, wie man anhand von Magnetfeld und Vibration die Drehzahl des Motors ermittelt, den Gesundheitszustand einzelner Komponenten. Da sehen wir unseren Mehrwert.

Den Sensor selbst stellen wir nicht her.

Sie verdienen dann wohl nicht an der Hardware, woran denn?

Aus Industrie 4.0 und IoT ergeben sich neue Geschäftsmodelle, vor allen Dingen sind wir dann beim Abo-Geschäft, ähnlich wie bei Software as a Service. Wir reden bei uns gerne von Monitoring as a Service oder Reliability as a Service. Mit dem Smart Sensor als Basis gibt es völlig neue Nutzungs-Modelle. Oder eine Flatrate.

So wie Automobilkonzerne Mobilität verkaufen wollen?

Ja. Und das funktioniert, weil wir technisch die Möglichkeit haben, die Dienstleistung abzustellen. Solange der Kunde möchte und bezahlt, kann er die Überwachung, die Zustandsdaten, die Berichte, Funktionalitäten oder Services bekommen. Und wenn er – aus welchem Grund auch immer – sagt, nein das brauch ich jetzt nicht mehr, ist das auch in Ordnung.

Wie verdienen die Partner im Ökosystem des Smart Sensor?

Ganz unterschiedlich. Wir haben Partner, die Hardware verkaufen, die zusammen mit unserer Plattform eingesetzt wird. Eine Firma beispielsweise liefert die komplette IT-Infrastruktur, die dafür sorgt, dass die Daten der smarten Sensoren sehr einfach in die ABB Cloud hochgeladen werden. Andere Partner verkaufen Machine-Learning-Algorithmen, die Smart Sensor-Daten mit anderen konsolidieren können und zusammen auswerten. Wieder andere können die Daten aus unserer Plattform in die Systeme der Kunden integrieren.

Buchtipp

Das Buch Antriebsauslegung hilft bei der Auswahl der wesentlichen Bestandteile elektrischer Antriebssysteme: Motor, Getriebe, Stellgerät, Netzversorgung sowie deren Zusatzkomponenten. Auch auf die Berechnung wird intensiv eingegangen.

Und wie sehen Geschäftsideen für Ihre Software-Partner aus?

Nehmen wir zum Beispiel Accenture, deren Teams den größten Teil der Softwareentwicklung ausführen, und deren Expertise in Agile Development sich wunderbar ergänzt mit unserem Wissen von Konstruktion, Herstellung und Anwendung von Motoren und Antrieben.

Darüber hinaus verfügt das Unternehmen über Softwarelösungen, die Daten aus verschiedenen Quellen in die Systeme der Endkunden integrieren können. Hier wären zum Beispiel ja auch Abo-Modelle denkbar. Und natürlich noch vieles mehr.

Welches Geschäftspotenzial ergibt sich für den Smart Sensor noch aus dem IIoT?

Das steckt in der Digitalisierung des Antriebsstrangs. Bei einer Förderanlage verstehen wir darunter Umrichter und Motor, aber im Kontext IIoT sind ganz schnell auch Getriebe und Lager eingebunden, unter Umständen über weite Flächen verteilt. Mir gefällt der englische Begriff Powertrain in dem Kontext. Teils ist Luftfeuchtigkeit wichtig, teils Temperatur oder Vibration. Da wirken mit den verschiedenen Komponenten im Antriebsstrang unterschiedliche Parameter aufeinander. Und da wird der Smart Sensor richtig spannend. Mit ihm lassen sich beispielsweise Einsparpotenziale errechnen, ob es sich lohnt, einen Umrichter an die Motoren von Lüftern zu bauen – oder nicht. Sie heben den Blick vom Einzelobjekt auf den Antriebsstrang.

Dabei geht es dann auch um Themen wie Energieeffizienz, Lebensdauer und Stillstandzeiten. Und das ist für verschiedene Zielgruppen und eben auch neue Märkte interessant.

Können Sie ein paar der neuen Märkte abstecken?

Da zeigen sich einige neue Felder: Ein Pumpen- oder Lüfterhersteller kann beispielsweise mit dem Smart Sensor künftig seinen Kunden Fernüberwachung oder ein Leasinggeschäft anbieten, vielleicht nicht mal mehr den Lüfter verkaufen, sondern einen Kubikmeter Luft. Unser Smart Sensor ist ein Werkzeug für sie, neue Geschäftsbereiche zu erschließen.

Oder Dienstleister, die sich auf Zustandsüberwachung spezialisieren und in der zweiten Welle ein Angebot für Energieeinsparung machen.

Und Märkte abseits des klassischen Motorengeschäfts?

Stichwort Betriebsausfälle, da kommen wir in den Bereich der Versicherungen. Da können wir zum Beispiel anbieten, die Motoren in unserem Eigentum zu behalten, zu überwachen und dafür zu sorgen, dass alles läuft. Eventuell tauschen wir den Motor aus. Der Kunde braucht dann die Betriebsausfallversicherung womöglich gar nicht mehr. Klar, dass hier neue Ideen entstehen, wenn das Risiko plötzlich nicht mehr beim Versicherer liegt. Wir führen auch schon Gespräche mit Versicherungsgesellschaften. Es ist aber noch ein bisschen zu früh, um Namen zu nennen.

Wie sieht das Marktpotenzial stückmäßig aus?

Es gibt so rund 300 Mio. Elektromotoren im Markt, daran wollen wir natürlich partizipieren.

Und wann wollen Sie auf Ihrer Predictive-Reise ankommen?

Wir erreichen jedes Mal eine neue Station auf unserer Reise, wenn wir in die Software oder Hardware eine neue Funktionalität integrieren. Und dann geht die Reise also immer weiter.

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