E-Mobilität Wie eine nostalgische Lokomotive auf den elektrischen Antrieb kam

Von Andrea Balser

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Die Panoramabahn im Europa-Park sieht aus wie ein Zug aus der Gründerzeit – und wurde auch so wie anno dazumal betrieben. Der Automatisierungs-Baukasten von SEW hat sie ins Zeitalter der E-Mobilität befördert.

Nostalgie im Automatisierungszeitalter: Die erste elektrisch angetriebene Lokomotive des Europa-Parks ging im Herbst 2019 auf Jungfernfahrt.
Nostalgie im Automatisierungszeitalter: Die erste elektrisch angetriebene Lokomotive des Europa-Parks ging im Herbst 2019 auf Jungfernfahrt.
(Bild: SEW)

Rund 5,7 Mio. Gäste besuchen den Europa-Park im badischen Rust pro Saison. Das entspricht im Schnitt rund 30.000 Besuchern pro Tag. Für sie läuft ein enormer Aufwand im Hintergrund, was Logistik und Instandhaltung betrifft. Im Idealfall bekommen die Besucher davon nichts mit. Sie sollen die etwa 100 Attraktionen unbeschwert genießen. Steffen Kasten, Betriebsleiter Betriebstechnik, sorgt mit einem Team aus rund 50 Mitarbeitern für die störungsfreie Funktion der Fahrgeschäfte, zu denen auch die sogenannten People Mover gehören, die Besucher durch das weitläufige Gelände transportieren. Einer davon ist die Panoramabahn, die wie das kleinere Abbild einer Dampflokomotive aus den Gründerzeiten der USA aussieht.

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Bis zum 26. Mai 2018. Steffen Kasten erinnert sich noch gut an diesen Tag, an dem ein Brand die Attraktion „Piraten in Batavia“ vollständig zerstörte und auch auf die benachbarte Wartungshalle der Panoramabahn übergriff. „Dadurch brannten zwei von insgesamt fünf Zügen vollständig aus“, erzählt Kasten. Ursache des Brandes war ein technischer Defekt. Es entstand Sachschaden in Millionenhöhe.

Von Anfang an fuhr die Bahn durch den Europa-Park und galt für den Gründer und Inhaber Roland Mack als Herzensangelegenheit. Für die zerstörten Züge der Panoramabahn sollte es möglichst schnell Ersatz geben. Bei der Neuanschaffung zog Steffen Kasten eine nachhaltige Variante in Betracht. „Schon seit längerem hatten wir überlegt, von den klassischen Energieträgern Diesel und Benzin auf Strom umzustellen“, berichtet der Betriebsleiter. „Motoren, die mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden, sind wartungsintensiv, problematisch bei der Ersatzteilbeschaffung, schlagen mit immer höheren Treibstoffkosten zu Buche und produzieren Abgase. Diese wiederum belästigen Lokführer und Fahrgäste."

Um das zu ändern, hatte der Europa-Parkt schon 2017 gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Masterarbeit vergeben: Student Martin Böhme sollte in seiner Arbeit die Möglichkeiten einer Umrüstung auf elektrische Antriebstechnik untersuchen. Betreut wurde er dabei von Prof. Dr.-Ing. Eric Sax, selbst ein Fan des Europa-Parks. Aufgrund guter Kundenbeziehungen zum Europa-Park wurde auch SEW-Eurodrive frühzeitig in dieses Vorhaben eingebunden und war bei der Konzeptentwicklung beratend dabei. Allerdings: Nach Abschluss der Masterarbeit hat der Freizeitpark die Ergebnisse zunächst nicht weiter verfolgt, aus verschiedenen Gründen. Doch war das Vorhaben schon bestens vorbereitet, als der Brand die Züge zerstörte, der Zeitpunkt für eine Elektrifizierung selten günstiger.

Für das neue Konzept sollte eine nachhaltige Energieversorgung genutzt werden. Regenerative elektrische Energie wird bereits auf dem Parkgelände erzeugt und bietet sich zur Eigenversorgung an. Vom Originalhersteller der Panoramabahn aus den USA kam ein Angebot für neue Züge, deren Konzept auf zwei Elektromotoren in Kombination mit Lithium-Ionen-Batterien und Ladung über Schleifleitung basiert. Das war den Verantwortlichen des Europa-Parks nicht innovativ und nachhaltig genug. Dort kennt man sich mit Batterien und deren Pflege gerade in den geschlossenen Wintermonaten zu genüge aus. Auch erschienen den Rustern die Kosten pro Zug mit 250.000 bis 300.000 Euro für einen solchen Ansatz nicht attraktiv. Sie suchten weiter nach einer Lösung, die sie schließlich in der Energie-, Automatisierungs- und Antriebstechnik von SEW-Eurodrive fanden.

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Umrüstung der Panoramabahn

Bereits knapp drei Jahre lang hatten die Automatisierungsspezialisten aus Bruchsal Reparatur- und Wartungsarbeiten an Fahrgeschäften im Park durchgeführt, an SEW-Antrieben ebenso wie Fremdmotoren. Für die Umrüstung der Panoramabahn bildeten SEW-Eurodrive und der Europa-Park daraufhin gemeinsam ein Projektteam mit abgegrenzten Zuständigkeiten. SEW sollte für die Konzepterstellung in puncto Antriebs- und Energiespeicherauswahl samt zugehöriger Ladetechnik, Sicherheits- und Kommunikationstechnik sorgen. Zudem stellten die Bruchsaler die Kernkomponenten bereit, übernahmen die Inbetriebnahme und Aufgaben rund um die Software. Der Europa-Park wiederum war für den Schaltschrankaufbau, die mechanische Installation aller Komponenten für Infrastruktur und Lok sowie die Implementierung dekorativer Elemente wie Dampf, Licht und Geräusche verantwortlich.

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Ladetechnik und Energiespeichersystem

Ein Kernstück bildet die neue dezentrale Generation des Energieübertragungssystems Movitrans, die keinen Schaltschrank mehr benötigt. Zu den Benefits zählen – wie bei allen dezentralen Antriebslösungen – Platzeinsparung und Kostenvorteile für Anlagenbauer und -betreiber. Movitrans von SEW-Eurodrive überträgt elektrische Energie von einer im Boden installierten Feldplatte oder einem Linienleiter induktiv und kontaktlos auf einen oder mehrere mobile Verbraucher. Neu ist die dezentrale Einspeisung TES, die es mit Nennleistungen von 8 kW oder 16 kW gibt, verbunden mit einer sehr hohen Energieeffizienz. Sie zeichnet sich durch eine hohe Leistungsdichte aus und ist konzipiert für das schnelle Laden der Movi-DPS-Speicher in Verbindung mit der Feldplatte TFS30, die geeignet ist für den Außenbereich. Durch Parallelschaltung von mehreren 16-kW-Einspeisungen lassen sich bei Anlagen mit Linienleiterstruktur bis zu 32 kW oder auch 48 kW Einspeiseleistung realisieren.

Das Konzept für den Europa-Park umfasst das kontaktlose Aufladen der Züge in den vier Bahnhöfen des Parks. Diese sind nun mit jeweils vier Feldplatten ausgestattet und ermöglichen so eine Ladung der Movi-DPS-Doppelschichtkondensatorspeicher des Zugs mit bis zu 40 kW.

Die Züge halten für die Dauer des Aus- und Einstiegs der Fahrgäste etwa vier bis fünf Minuten pro Bahnhof. In dieser Zeit werden innerhalb von 60 s rund 700 kWs getankt. Die aufgenommene Energie versorgt alle elektrischen Verbraucher auf dem Zug. Das sind neben den Fahrantrieben der Kompressor für die pneumatischen Bremsen, die künstliche Dampferzeugung, die Soundanlage für Lokgeräusche und, im Winter, die Illumination. „Die Energiemenge reicht problemlos bis zum Aufladen im nächsten Bahnhof“, erläutert Dominik Gläßer, Außendienstmitarbeiter bei SEW-Eurodrive und zuständig für die Durchführung dieses Projekts im Europa-Park. Die Doppelschichtkondensatoren haben eine maximale Speicherspannung von 800 V und somit eine nutzbare Speicherenergie von ca. 2.000 kWs, die mit über 1 Mio. Vollladezyklen wartungsfrei zum Einsatz kommen. Der Speicher hat sich gegen den Einsatz von Batterien durchgesetzt, auch, weil er sich für die im Europa-Park vorherrschenden klimatischen Bedingungen eignet und in Kombination mit der zyklischen Betankung durch Movitrans nutzbar ist.

Dezentrale Antriebstechnik

Für den passenden Antrieb sorgen vier Antriebseinheiten Movigear MGFTT4-DSM, die jedoch aus Optik- und Platzgründen in den Drehgestellen der Lok keine aufgesetzte dezentrale Elektronik besitzen, sondern über Schaltschrank-Doppelachsen Movidrive modular geberlos geregelt werden. Durch seine kompakte Bauweise, bedingt durch den verbauten Synchronmotor, sind diese Antriebseinheiten maßgeschneidert für einen energieeffizienten Betrieb.

Zusätzlich sind sie wartungsarm und mit ihrer hohen Schutzart in Kombination mit der Oberflächenbeschichtung HP 200 prädestiniert für den rauen Einsatz im Freien. Nur durch das Zusammenspiel zwischen den Antriebseinheiten und der Automatisierungsplattform Movi-C lassen sich Movitrans und Energiespeicher in das Gesamtsystem einbinden. So ergibt sich eine für diesen Anwendungszweck optimale technische Lösung. Die Energieeffizienz ist wesentlich besser als beim Dieselmotor und auch die Bremsenergie kann mittels Rekuperation in den Speicher genutzt werden.

Die Züge queren den Park an diversen Bahnübergängen, die auch von Besuchern passiert werden können. Deren Sicherheit hat absolute Priorität. Bedingt durch die gewählten Antriebe beträgt die Höchstgeschwindigkeit der Züge 8 km/h. Als weitere Sicherheitselemente dienen ein sogenannter Totmannschalter, der alle 25 s vom Lokführer per Fuß betätigt werden muss, und ein Sitzkontaktschalter, der ein Losfahren ohne Fahrer verhindert. Sollte eine dieser Sicherheitsfunktionen auslösen oder der Lokführer den Notausschalter betätigen, wird ein Safe Torque Off (STO) eingeleitet, und der Zug kommt innerhalb von 5 m zum Stehen. Das Aussteigen der Fahrgäste während der Fahrt wird durch das magnetische Verriegeln der Türen verhindert. Vor Aktivierung der Türmagnete ist eine Abfahrt nicht möglich.

Der TÜV Süd verlangte eine Risikoanalyse für den Einsatz von Movitrans in den Bahnhöfen und somit im öffentlichen Raum und stellte hohe Anforderungen an eine sichere Abschaltung, sobald sich kein Zug zum Laden auf den Feldplatten befindet. Für die sichere, zweikanalige Abschaltung des Systems kommt eine Sicherheitssteuerung UCS10B zum Einsatz, die die Movitrans-Einspeiseeinheiten deaktiviert. Ferner wurden die elektromagnetischen Felder im Ladebetrieb um den Zug vermessen und erfüllen die erforderlichen Grenzwerte.

Umbau der Züge im laufenden Betrieb

Seit Beginn der Wintersaison im November 2019 ist die erste Panoramabahn mit SEW-Technik in Betrieb und erfüllt alle Erwartungen. Aus diesem Grund wurde im Februar 2020 mit der Elektrifizierung der zweiten Panoramabahn begonnen und im Mai 2020 fertiggestellt. Im November 2020 sollen zwei weitere Züge auf einen grünen Betrieb umgebaut werden. Ein zusätzlicher Reservezug wird bis März 2021 einsatzbereit sein. Die Abteilung Betriebstechnik des Europa-Parks installierte die Mechanik, die Getriebe sowie die Schaltschränke in den Bahnhöfen.

Auch für die Lokführer stellt die neue Antriebslösung eine Verbesserung dar. Nicht nur die der Arbeitsplatzergonomie, es gibt auch keine Geruchsbelästigung durch Abgase mehr. Die verbliebenen Dieselzüge fahren während der Umbauphase bis zur vollständigen Umstellung regulär weiter. „Der Europa-Park hat insgesamt 65 Fahrgeschäfte – mit einer Verfügbarkeit von 99,7 Prozent“, erzählt Steffen Kasten nicht ohne Stolz. Für seinen modernisierten People Mover will sich der Europa-Park um den „Golden Ticket Award“ bewerben. Und es sind weitere Projekte geplant: Ein Serviceeinsatz am Liftantrieb der Achterbahn „Silverstar“ und Antriebstechnik von SEW-Eurodrive für die „Monza-Piste“. Die Schwesterfirma Mack Rides stellt Fahrgeschäfte auch für andere Freizeitparks her. Auch sie hat bereits Interesse an der dezentralen SEW-Technologie geäußert.

* Andrea Balser, Referentin Fachpresse, SEW-Eurodrive

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