Reihenklemme Wie Wago die Entwicklung des Hebels für die Reihenklemme gelungen ist
Wago hat nicht nur den Drücker für seine Reihenklemmen eingeführt, sondern auch den Hebel. Wie dieser Coup gelungen ist, erklären Entwicklungsleiter Frank Hartmann und Geschäftsbereichsleiter Dr. Karsten Stoll.
Anbieter zum Thema

Die Show war gelungen: Auf der Hannover Messe 2018 verblüffte Wago etwa 350 Kunden, Messebesucher und Vertreter der Fachpresse mit einer Weltneuheit, die auf den ersten Blick gar nicht so viel hermacht. Ab sofort gibt es die Reihenklemme Topjob S nicht nur mit der Betätigungsvariante Drücker – für Wago an sich schon eine Neuheit –, sondern auch mit Hebel. Das vereinfacht die Handhabung der Klemmen und damit die Verdrahtung im Feld wesentlich. Denn mit dem Hebel können nun auch im Schaltschrank Leiter einfach mit der Hand angeschlossen und wieder gelöst werden – ganz ohne weiteres Werkzeug.
Für Wago kam es in erster Linie darauf an, den Ruf als Technologieführer zu verteidigen. Der Wettbewerb war mittlerweile mit der Drücker-Technik vorausgeprescht, ein Feature, das auch Wago-Kunden zunehmend forderten. Allein diese Technik jetzt ebenfalls zu integrieren, wäre aber dem Anspruch des Technologieführers für Federanschlusstechnik nicht gerecht geworden. Innovativ wäre die Integration der Hebel-Technik, die intern als elegante und selbsterklärende Lösung, aber für Reihenklemmen technisch nicht umsetzbar galt. Die Geschäftsführung entschied, beide Lösungen umzusetzen – geboren waren zwei Projekte.
Klare Ziele formuliert
„Zeitgleich zwei so große Projekte aufzusetzen, war sehr sportlich“, erinnert sich Frank Hartmann, der als Entwicklungsleiter gemeinsam mit Dr. Karsten Stoll, Leiter des Geschäftsbereichs Electrical Interconnections, für die Umsetzung verantwortlich war. Gemeinsam mit der Geschäftsführung formulierten sie zunächst Aufgaben und Prioritäten „klar und verständlich“ und legten fest, dass diese Ziele absolut verbindlich waren. Das sei wesentlich für das Gelingen der Projekte gewesen.
Auf Basis dieser klar formulierten Anforderungen wurde das Kernteam aus Produktmanagern, Produkt-, Werkzeug- und Fertigungsentwicklern sowie Kollegen aus dem Labor zusammengesetzt. So ließen sich gleichzeitig nicht nur die Produktidee, sondern auch die daraus entstehenden Konsequenzen für die Werkzeuge und die Fertigung abschätzen sowie Fragen etwa nach der Sicherheit der Produktionsprozesse oder der Wirtschaftlichkeit schnell klären.
Aufgrund der Größe und Komplexität der Projekte war Hartmann und Stoll schnell klar, dass es keinen Sinn machen würde, die gesamte Entwicklung detailliert durchzuplanen und „aus der Linie“ – also seriell/sequentiell – abzuarbeiten. „Wir wissen schon seit längerem, dass sich kurze Entwicklungszeiten so nicht realisieren lassen“, erklärt Frank Hartmann. Alle Beteiligten arbeiteten daher simultan und kross-funktional über alle Bereiche hinweg parallel an der Entwicklung, bei Bedarf wurden Kollegen aus der Linie hinzugezogen, die mit ihrem Erfahrungsschatz die Teams situativ unterstützen konnten. In der Summe waren am Ende zeitweise über 100 Mitarbeiter, beispielsweise auch aus der Produktion, an beiden Projekten beteiligt.
Grundsätzlich konzentrierten sich die Teams vor allem auf die nächste Phase des Projektes. „Die jeweils anstehenden Aufgaben und Ziele haben wir diszipliniert, konsequent und systematisch verfolgt“, erzählt Frank Hartmann. Denn die Erfahrung habe gezeigt: „Unklare Aufgaben, unvollständige Ergebnisse und aufgeschobene Entscheidungen holen einen irgendwann wieder ein“. Phasenweise hat Wago in diesem Prozess auch agile Entwicklungsmethoden eingesetzt, allerdings nur „wenn es notwendig war", betont Karsten Stoll. „Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn, diese Methoden über das komplette Projekt auszurollen“.
100 neue Produkte auf einen Schlag
In beiden Projekten sind auf einen Schlag 100 neue Produkte und zahllose neue Einzelteile entstanden. Entsprechend mussten auch neue Betriebsmittel teilweise bis hin zu ganz neuen Fertigungsautomaten erstellt werden. Dass dabei Ressourcenengpässe auftreten würden, war klar. Daher arbeitete auch das Steuerungsteam synchron zu beiden Projekten, um die Anforderungen aufeinander abstimmen zu können. „Eines der Erfolgsgeheimnisse“, meint Karsten Stoll.
Interaktive Zusammenarbeit, Risikobereitschaft und der richtige Spirit im Team waren für Frank Hartmann aber ebenfalls wichtige Erfolgsfaktoren: „Es war schön zu sehen, wie groß die Begeisterung im Team war. Beide Teams zeigten eine tolle Performance während der gesamten Entwicklung“.
Dabei gab es bei den Reihenklemmen mit Hebel erst einmal gar keine Lösung. „Wir wussten auch gar nicht, wie der Anwender mit einer solchen Lösung umgehen würde“, berichtet Hartmann. Das warf Fragen etwa nach der Kinematik, der Robustheit sowie der Akzeptanz auf. Klar war nur: Der Hebel würde größer bauen als eine Standardbetätigungslösung. Das Team entwickelte mehrere Konzepte, drei davon hielten einer Funktionsanalyse stand. Jetzt unterzogen die unterschiedlichen Fachbereiche diese drei Konzepte einer Multifaktoren-Analyse und bewerteten sie jeweils. Das Konzept mit der größten Schnittmenge sowie dem größten zu erwartenden Kundennutzen wurde abschließend ausgewählt. Der Auswahl folgte der Bau eines Funktionsprototypen, der weitere Erkenntnisse hinsichtlich Haptik und Handhabung lieferte. Stoll: „Das kann keine Simulation ersetzen.“
Grundlagenarbeit vor der Simulation
Unumgänglich ist in dieser frühen Phase außerdem der Abgleich zwischen Virtualität und Realität. Dafür musste aber technisch gesehen zunächst einiges an Grundlagenarbeit geleistet werden.
Die strukturmechanischen Berechnungen der Klemmen erfordern Kenntnisse über das Materialverhaltens der eingesetzten Werkstoffe im Hinblick auf ihre Mechanik und Verarbeitungseigenschaften. Für die Simulation des elektrothermischen Verhaltens waren zudem weiter führende Untersuchungen erforderlich. Diese Kenntnisse lassen sich oft nicht aus Datenblättern ablesen, sondern müssen durch Experimente aufgebaut und validiert werden. Auf Basis der Versuche im eigenen Labor wurden mathematische Modelle des Werkstoffverhaltens erstellt, anhand von Prototypen überprüft, gegebenenfalls korrigiert und dann in den Simulationen verwendet.
Mit dieser Vorgehensweise wurden anhand der Konstruktionsdaten verschiedene Konzepte geprüft, die Ergebnisse der Simulationen mit den Anforderungen verglichen und die beste Lösung gewählt. Konnten die Anforderungen anhand der Simulationsergebnisse nicht erfüllt werden, wurden solange Optimierungsschleifen gedreht, bis die Funktion des Bauteils für jedes Teilprojekt nachgewiesen war.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1383500/1383568/original.jpg)
Anschlusstechnik
Wago stellt Reihenklemmen mit Drücker und Hebel vor
Die Laborversuche mit den Prototypen-Bauteilen zeigten am Ende dieses Prozesses, dass die Finite-Elemente-Simulationen mit den realen Versuchsergebnissen korrelierten. Dadurch konnte eine maximal mögliche Vorhersagbarkeit erreicht und Vertrauen in die Simulationsergebnisse hergestellt werden. „Erst dann lässt sich der Nutzen der Simulation multiplizieren“, erklärt Hartmann.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1385600/1385629/original.jpg)
Anschlusstechnik
Wago präsentiert Reihenklemme Topjob S mit Hebel
Aus beiden Projekten habe man viel gelernt, sind sich Frank Hartmann und Karsten Stoll einig. „Wir haben viel neues Know-how geschaffen!“ Geschwindigkeit in den Entwicklungsprozess bringe vor allem die enge, iterative und schnelle Interaktion zwischen den einzelnen Fachbereichen. „Das ist in beiden Projekten wirklich gut gelaufen!“, zieht Frank Hartmann Bilanz. Darüber hinaus hätte jeder im Team viel Eigeninitiative mit eingebracht: „Ihnen gehört das größte Lob!“
Dieser Beitrag ist zuerst bei unserem Schwesternportal konstruktionspraxis erschienen.
(ID:45388675)