Industrial Usability Technik darf leicht sein – für alle

Autor Karin Pfeiffer

Usability, die Benutzerfreundlichkeit, erzeugt Einfachheit. Der Prozess dahin ist allerdings höchst komplex. Wir zeigen die Vorteile der Industrial Usability, und wie Firmen sie bereits umsetzen.

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Der Usability-Ansatz schält den Kern aus den vielen funktionellen Schichten und klärt so den Blick auf Zusammenhänge.
Der Usability-Ansatz schält den Kern aus den vielen funktionellen Schichten und klärt so den Blick auf Zusammenhänge.
(Bild: © zapp2photo - stock/fotolia.com)

Während so einige noch mit der Vorstellung einer Industrie 4.0 hadern, kommt aus der Ecke der Ergonomie eine Art Gebrauchsanweisung, an der sich Unternehmen orientieren könnten: Experten wie Clemens Lutsch von Centigrade zufolge kann die Usability, also die Benutzerfreundlichkeit, als Kompass für die digitale Transformation dienen – und dabei jede Menge Mehrwert aufspüren.

„Maschinenbedienung soll Spaß machen“

Höhere Effizienz, Produktivität und Rendite und zugleich weniger Informationsdichte, die Reduzierung aufs Wesentliche – und Freude am Machen: Für all das stecken den Experten zufolge jede Menge Hebel in Industrial Usability – der Nutzungsqualität, die unweigerlich auch mit dem Nutzungserlebnis, der User Experience (UX), einhergeht. „Hinter Usability verbirgt sich das Ziel, die Bedienung interaktiver Produkte intuitiv, leichter erlernbar und damit effizient zu gestalten“, erklärt Prof. Claus Oetter vom VDMA Fachverband Software und Digitalisierung in Frankfurt am Main. Inzwischen gingen die ersten Hersteller sogar weiter: „Auch die Maschinenbedienung (HMI) soll Spaß machen, den Benutzer motivieren und ein positives Gefühl vermitteln.“ User Experience beschreibe ein positives Nutzererlebnis, das der Anwender bei der Bedienung eines Produkts erfährt.

Tipp: Industrial Usability Day 2018Erfahren Sie auf dem Industrial Usability Day 2018, wie Sie mit Industrial Usability die Zufriedenheit der Benutzer und den Fertigungsdurchsatz erhöhen und Kosten senken. So bleiben Sie wettbewerbsfähig, denn die Industrial Usability setzt den Benutzer im Umfeld von Maschinen und Anlagen in den Mittelpunkt der Anwendung. Der Industrial Usability Day findet am 13. September 2018 statt.
Zum Programm: Industrial Usability Day

Und das gilt vielen Automatisierern als vielversprechender Ansatz, damit Mehrwerte nun auch dort fließen, wo der Wertschöpfungsprozess bislang an einer Mensch-Maschine-Schnittstelle (Human Machine Interface oder kurz: HMI) wie an einer Barriere endete – oder sich die relevanten Daten irgendwo in den Systemen verliefen.

Siemens arbeitet an User Interface Design 4.0

Siemens hat zur Digitalisierung vor zwei Jahren eine Umfrage bei 300 Entscheidern aus der Industrie durchgeführt. 80 % nannten als Hauptaspekt für Usability die Visualisierung komplexer Prozesse, 74 % das Verarbeiten von Maschinen- und Sensordaten. Visualisierung sei dabei aber nicht als ein Spezialthema für Designer zu sehen, ordnet Axel Platz, Corporate Technology und User Interface Design bei der Siemens AG, die Ergebnisse ein. „Vielmehr betrifft der Aspekt den Kern dessen, was man schlagwortartig User Interface Design 4.0 nennen könnte, nämlich als Folge der Digitalisierung der Umgang mit großen Datenmengen und komplexen Informationen.“ Kernthemen von Industrie 4.0, an die sich manche Hersteller deshalb erst allmählich heranwagen.

„Mit Industrie 4.0 steigt die Komplexität in der Automatisierung“, erklärt Guido Hettwer, Vorsitzender der Geschäftsleitung Vertriebe Europa Mitte bei der Bosch Rexroth AG, was als ein wesentlicher Treiber gilt. „Damit ist die Usability für den Anwender wichtiger denn je. Geeignete Tools und einfache Methoden ohne aufwendige Schulungen und Spezialkenntnisse werden somit zum zentralen Thema bei der Beherrschung der Technik und ihrer Möglichkeiten auf allen Ebenen.“ Usability hilft, Mitarbeiter zu befähigen – in Zeiten des Fachkräftemangels ein echter Benefit und im Hinblick auf die Anforderungen von Industrie 4.0 ohnehin.

Technik muss nicht kompliziert sein

„Usability ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Maschinen und Anlagen ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten können“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu, Geschäftsführer it’s OWL Clustermanagement und Direktor Fraunhofer Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM. Und Prof. Claus Oetter sagt: „Neue Technologien schaffen es immer schneller, in der Industrie Fuß zu fassen. Dabei muss Technik nicht kompliziert sein.“

Attraktive Produktgestaltung etwa werde auch im Maschinen- und Anlagenbau zunehmend sehr positiv wahrgenommen. „Viele Hersteller überlegen daher, wie sie einfache Oberflächen-Konzepte aus dem Verbraucherbereich auf ihre Produkte übertragen können.“ Oetter zufolge haben viele Maschinen- und Anlagenbauer inzwischen erkannt, dass Funktionalität nicht alles sei. „Sie muss auch beim Benutzer ankommen. Deshalb kümmern sich immer mehr Hersteller um das Thema Usability.“ Ein Wettbewerbsfaktor also, und offenbar kein geringer.

Trends der Industrial Usability: Augmented Reality und Künstliche Intelligenz

Einige Trends kristallisieren sich derzeit deutlich heraus. „Touch und Multitouch-Panel, modernes GUI-Design in Hightech-Anmutung haben sich durchgesetzt“, sagt Dr. Elke Deubzer vom Fachinstitut PMO Usability Engineering und Organisationsentwicklung. „Tablets und Smartphones sind inzwischen für ausgewählte Aufgaben und Nutzergruppen State of the Art.“ Aktuelle Trends seien Gamification mit Game-Controllern aus dem Spielebereich, Virtual-Reality-Brillen (VR) und Augmented-Reality-Anwendungen (AR). Auch Entwicklungen wie Sprachsteuerung und selbstlernende Algorithmen zählt Dr. Deubzer dazu. Sie nennt es angewandte Künstliche Intelligenz: „Hier wird ausprobiert.“

Dabei geht zwar auch um das Look & Feel, das die Smartphone-Ära stark prägt, aber beileibe nicht nur. Der Usability-Ansatz schält den Kern aus den vielen funktionellen Schichten und Strukturen komplexer Systeme und klärt so für den Anwender den Blick auf Zusammenhänge.

Charakter von Usability herausarbeiten

Das „Wie“ ist dabei die große Kunst. Und daran forschen Industrieanthropologen wie Lutsch, Entwicklungsingenieur und nicht zuletzt auch die Normungs-Gremien, die den Charakter von Usability herausarbeiten und auf den Punkt bringen müssen. Und so mancher Hersteller baut längst seine Expertise auf und setzt damit eigene Akzente.

Wenn es um das Bereitstellen von Informationen und Bedienen von Maschinen geht, erkennt etwa Stefan Selke Bestrebungen, mehr mobile Smart Devices einzusehen – von Tablets bis AR oder auch Smart Watches. Zwei Aspekte findet der Segment Marketing Manager von Eaton Electric wichtig. Zum einen, solche Devices sicher in die Industrieumgebung integrieren zu können. IT-Sicherheit spiele dabei eine zentrale Rolle. Eaton hat das Thema Safety und Security als Aspekt der Usability bereits erkannt. Zweitens entscheide auch die Handhabung der Geräte mit rein praktischen Parametern: „Wird die AR-Brille schnell heiß (Google Lens) oder ist sie relativ schwer und die Batterie-Lebensdauer noch begrenzt (Microsoft Hololens), schränkt das die praktische Nutzbarkeit ein.“

Auch Roboter sollen einfach zu bedienen sein

Die Projekte aus der Industrie zeigen, wie vielfältig der Blick auf Usability sein kann. So hat Rexroth beispielsweise dazu einen Inbetriebnahme-Assistenten entwickelt, der für die Konfiguration von elektrohydraulischen Aktoren automatisch passende Parameter vorschlägt. „Techniker erreichen damit auch ohne Hydraulikkenntnisse schnell stabile Ergebnisse“, so Hettwer. Auf der Ebene kompletter Produktionslinie verarbeitet und visualisiert die interaktive Kommunikationsplattform Activecockpit alle relevanten Informationen.

Wichtig in Anwendungen, wo sich mit Losgröße eins die Fertigung oft ändert oder Produkte und Kundenwünsche variieren. Da schließt Usability dann auch den kollegialen Umgang mit Robotern ein. „Deshalb ist es wichtiger denn je, dass auch Roboter einfacher zu bedienen sind und praktikabler werden. Nur so können sie die Lücke bei der Automatisierung füllen“, sagt Darius Wilke von Rethink Robotics. „Nur ein durchdachtes Bedienkonzept stellt sicher, dass die Roboter häufig eingesetzt werden, einen schnellen ROI bringen und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verbessern.“

Usability als Schwerpunkt von it's OWL

Auch die Forschungseinrichtungen im Spitzencluster it’s OWL haben Usability zu ihrem Schwerpunktthema gemacht und bereits etliche neue Technologien für die Industrie anwendbar gemacht, beispielsweise in den Bereichen Sprach- und Gestensteuerung, Augmented und Virtual Reality oder kollaborative Robotik. „Wir spüren ein deutlich gestiegenes Interesse unserer Unternehmen an diesen Lösungen“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu. „Bei Steute haben wir ein Assistenzsystem für die Montage von Fußschaltern für Augenoperationen eingeführt.“ Und in der Produktentwicklung von GEA sei es beispielsweise mit Augmented Reality gelungen, virtuelle Produktentwürfe in einer realen Produktumgebung beim Kunden zu testen.“ Also eine Lösung, die bereits im Konstruktionsstadium ansetzt. Und genau dort am Anfang des Produktlebenszyklus lässt sich auch jede Menge Innovationspotenzial heben.

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