Produktionskonzepte Daimlers Industrie 4.0: Schwäbisch pragmatisch

Redakteur: Robert Weber |

In der Einladung vermied die Werksleitung von Mercedes Benz in Ludwigsfelde den Ausdruck Industrie 4.0. Die Van- und Sprinter-Bauer sprechen lieber von intelligenter Produktion. Nach der Prozessoptimierung des Standorts will Daimler jetzt noch einmal in Technologie investieren. 150 Mio. Euro stehen für Roboter, Augmented Reality, Smart-Data-Projekte sowie für Mess- und Prüftechnik bereit.

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Viel Platz an der Fertigungsstraße. In der Vergangenheit standen dort Ladungsträger und behinderten die Arbeit.
Viel Platz an der Fertigungsstraße. In der Vergangenheit standen dort Ladungsträger und behinderten die Arbeit.
(Bild: Weber)

Michael Bauer kennt sie noch fast alle – die Werker am Band, die Logistiker, hält ein Schwätzchen mit ihnen und will wissen, wie die Prozesse laufen. Was kann noch verbessert werden, was sie gemeinsam entwickelt haben? Ludwigsfelde vergisst er nicht. Der Wirtschaftsingenieur hat bei Daimler Karriere gemacht. Der ehemalige Werksleiter in Ludwigsfelde verantwortet seit einigen Wochen die weltweite Montageplanung bei Mercedes Benz Cars. Ein spannender Job, doch ins Schwärmen kommt er immer noch, wenn er an seine Zeit in Brandenburg denkt, wenn er „seine“ FTF (Fahrerlose Transportfahrzeug) fahren sieht und gespannt den Zukunftsszenarien seines Nachfolgers lauscht.

Michael Bauer will Flexibilität. Dafür braucht er aber nicht nur Hightech, sondern auch einfache Mechanik in den Prozessen, die sich leicht adaptieren lässt.
Michael Bauer will Flexibilität. Dafür braucht er aber nicht nur Hightech, sondern auch einfache Mechanik in den Prozessen, die sich leicht adaptieren lässt.
(Bild: Weber)

Bauer hat sich im Konzern einen Namen gemacht, denn innerhalb von drei Jahren reorganisierte er die Montage und Logistik in dem Werk. Die Zahlen beeindruckten Kollegen aus anderen Sparten und Werken und wohl auch den Vorstand. Die Fertigungszeit konnte um 10 % und die HPV (Hours per Vehicle) um 16 % reduziert werden. Jetzt soll Bauer bei den Pkws Akzente setzen. Dabei müssen sich Vans und Transporter, die Ludwigsfelde gebaut werden, bei der Variantenvielfalt nicht verstecken. In der Fertigungslinie bauen die Mitarbeiter den Sprinter in über 350 Kombinationsmöglichkeiten auf, abhängig von Radstand, Gewicht, Motorisierung oder Farbe. Dadurch ist in der Abfolge jedes Fahrzeug unterschiedlich, und entsprechend braucht jeder Sprinter unterschiedliche Verbauteile.

Beamerwagen vereinfacht Logistik

Die Komplexität in der Montage ist hoch und die Produktionshallen mittlerweile leer. Das freut Bauer, denn vor allem an der Schnittstelle von Montage und Logistik setzten er und sein Team an. Beispiel Türenvormontage: Wo früher Ladungsträger dicht an dicht entlang des Bandes standen und die Mitarbeiter die Teile selbst suchen, holen und verbauen mussten, stehen heute nur noch vereinzelt Werkzeugwagen und Datenterminals. Alles andere, was der Mitarbeiter zum Aufbau einer Seitentür braucht, bringt das FTF in so genannten „Carsets“ fertig vorkommissioniert und genau im Takt zum jeweiligen Fahrzeug ans Band. Die FTF lieferte Safelog. Sie nutzen den AS-Interface-Standard. Die Sensorik kommt von Sick, Mitglied des AS-International Association e.V. Doch die Brandenburger passten die Technik an ihre Strukturen an. Eine interne Abteilung, eine Werkstatt, entwickelt Aufbauten für die Transportfahrzeuge, konstruiert Rutschen für Ladungsträger und optimiert die Bahnhöfe am Band. Durch IT-Vernetzung werden für jeden Sprinter exakt die richtigen Teile in einem Carset-Wagen vorbereitet und ans Band geliefert. Und das Entladen übernimmt das FTF vollautomatisch: Nach Ankunft werden die Carsets direkt ans Band geschoben, der Mitarbeiter nimmt nur noch den passenden Teilewagen entgegen, fixiert ihn am Gehänge der Siemens-Fördertechnik, an dem auch das Fahrzeug transportiert wird und beginnt mit dem Einbau der Teile. Das Carset wandert mit dem Sprinter mit.

Der Kommissionierwagen wird direkt an das Band geliefert und fährt mit dem Fahrzeug mit. Der Werker bedient sich direkt aus den Kisten.
Der Kommissionierwagen wird direkt an das Band geliefert und fährt mit dem Fahrzeug mit. Der Werker bedient sich direkt aus den Kisten.
(Bild: Weber)

Vorteile: Deutlich verbesserte Arbeitsplatzergonomie, weniger Laufwege, direkter Zugriff auf das Material, mehr Platz am Band und geringere Unfallgefahr durch Verzicht auf Gabelstapler, berichtet Bauer stolz. Ist das Industrie 4.0?

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Intelligenz in der Produktion ist die Antwort von Daimler. Man müsse nicht alles digitalisieren, meint Bauer. Er weiß um die Vorteile von Echtzeitsteuerung, Sensorik und Bildverarbeitung und setzt diese auch ein, aber für Flexibilität in den Prozessen brauche ein Werk auch vergleichsweise einfache Mechanik, die sich schnell adaptieren lässt. Ausdruck dessen seien die Aufbauten auf den FTF und die Bahnhöfe, an denen sie mechanisch entladen würden. Schwäbisch pragmatisch gingen Bauer und sein Team an die Planung der Fabrik der Zukunft. Doch der ehemalige Werksleiter kann auf Hightech im Zusammenspiel mit einfacher Mechanik präsentieren. Der Beamerwagen in der Logistik unterstützt den Kommissionierer in seiner Arbeit. Das FTF fährt automatisch durch die Logistikzone an den Regalen vorbei und Lichtsignale vom Rahmen des Fahrzeugs bedeuten dem Mitarbeiter, welche Produkte er picken und im Wagen ablegen soll.

Lichtpunkte signalisieren dem Kommissionierer die Position der zu pickenden Produkte.
Lichtpunkte signalisieren dem Kommissionierer die Position der zu pickenden Produkte.
(Bild: Weber)

In naher Zukunft soll ein Lichtvorhang die Pickmenge kontrollieren, so dass der Mitarbeiter die Menge nicht mehr bestätigen muss. Die Signalleuchten kommunizieren in Echtzeit mit der Logistikzentrale – ein Schritt zur digitalen Fabrik.

Die nächsten Schritte muss Sebastian Streuff mit der Ludwigsfelder-Mannschaft gehen. Er ist seit Anfang Juni der neue Werksleiter und kommt aus der Pkw-Produktion in Sindelfingen. „Unser Anspruch ist es, ein Leuchtturm zu sein.“ Das könnte Streuff gelingen, auch wenn die Partnerschaft mit Volkswagen ausläuft. In Stuttgarter hat man 150 Mio. Euro Investitionen für den Standort bewilligt. Wohin fließt das Geld? Auch in Hightech.

Der Roboter soll beim Cockpit unterstützen

Der Maschinenbauer Streuff will mit Kuka die Mensch-Maschinen-Interaktion in der Produktion einführen. Der Leichtbauroboter IIWA soll es sein. Er könnte in der Cockpitmontage die Mitarbeiter am Band entlasten, denn das Anbringen von 40 Clipmuttern pro Einheit kostet Kraft. „Das ist unser Einstieg in die Technik“, erklärt Streuff, der mit der BTU Cottbus Senftenberg und dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Ulrich Berger weiter zusammenarbeiten und Ende des Jahres erste Ergebnisse präsentieren will.

Der neue Werkleiter Sebastian Streuff kann 150 Mio. Euro in Technik und Prozesse investieren.
Der neue Werkleiter Sebastian Streuff kann 150 Mio. Euro in Technik und Prozesse investieren.
(Bild: Weber)

Vorgänger Bauer ergänzt: „Es geht uns nicht nur um Effizienz, sondern auch um Qualität, Ergonomie und Sicherheit.“ Das dürfte die Mitarbeiter freuen. Ist Industrie 4.0 also ein Revival für Werk- und Dienstverträge? „Nein, nicht für uns“, erklärt der Daimler-Manager auf Nachfrage.

Die Qualifikation der Mitarbeiter ist für Streuff und Bauer entscheidend. Auf die jüngere Generation, die mit Smartphones und Tablets groß wird, reagiert das Unternehmen. Ein Projekt ist die papierlose Produktion mittels Touchdisplays und auch Augmented Reality (AR) steht auf dem Wunschzettel von Streuff. Vor allem in der Instandhaltung sieht er, wie viele andere Experten, Potential. Ob Brille oder Tablet sei aber noch nicht entschieden, so der Werksleiter. Die Google-Brille ist aber kein Thema für das Werk. Daimler spreche mit den Herstellern der Werkzeugmaschinen, denn diese müssten dann ihre Produkte mit AR-Funktionen ausstatten. Am Ende bestimmt die Nachfrage das Angebot. Geld soll auch in optische Prüf- und Messsystem fließen und Smart Data-Projekte das Wissensmanagement neu aufstellen.

Michael Bauer ist stolz auf die Entwicklung des Werks. Ansätze könnten auch in der Pkw-Planung Nachahmer finden. Die Trucksparte war schon öfter zu Besuch in Ludwigsfelde. „Die Prozesse und Ideen aus Ludwigsfelde werden auch in das neue Transporterwerk in Charleston in den USA übertragen“, verkündet Werkleiter Streuff.

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