Neigungsmesser MEMS-Sensoren ermöglichen Bau von Drohnen für die Marserkundung

Von Heino Härkönen*

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Technik, die zum Mars geschickt wird, muss unter ganz anderen, anspruchsvollen Einsatzumgebungen funktionieren. Dennoch sind viele der an Bord von Drohnen verbauten Sensoren handelsübliche Standardprodukte – die aber auch dort zuverlässig arbeiten können.

Künstlerische Impression von Ingenuity auf dem Mars
Künstlerische Impression von Ingenuity auf dem Mars
(Bild: https://images.nasa.gov/details-PIA23771)

Nachdem in der jüngeren Vergangenheit verschiedene Nationen erfolgreiche Missionen zum Mars durchgeführt haben, könnte man meinen, es sei gar nicht so schwierig, Objekte auf der Oberfläche eines anderen Planeten abzusetzen. In Wirklichkeit aber verhält es sich natürlich anders, denn solche Vorhaben bergen extreme Herausforderungen und schieben die Grenzen menschlicher Errungenschaften ständig weiter hinaus.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die aktuelle NASA-Mission Perseverance, in deren Verlauf eine ganze Reihe von Dingen erstmals gelangen, darunter eine Rover-Landung, bei welcher der genaue Landeplatz erst während des Landeanflugs mithilfe bordeigener KI ausgewählt wurde. Wegen der großen Entfernung zwischen Mars und Erde müssen alle Vorgänge, die in Echtzeit ablaufen sollen, autonom erfolgen. Die im Bereich der autonomen Technologien erzielten Fortschritte untermauern folglich unsere Fähigkeit zum Erkunden neuer Welten.

Der erste autonome Drohnenflug auf dem Mars

Ein weiteres Novum ist die Absicht, die während der Perseverance-Mission gesammelten Gesteinsproben zur Erde zurückzuholen. Gelingt dies, wird es das erste Mal sein, dass Proben vom Mars mit dem gesamten Spektrum wissenschaftlicher Erkenntnisse untersucht werden können.

Im Laufe der Mission konnte auch der allererste autonome Drohnenflug auf dem Mars durchgeführt werden. Der Helikopter namens Ingenuity wird offiziell als Technologiedemonstrator eingestuft und erfüllt keine andere wirkliche wissenschaftliche Aufgabe, als oberflächennahe Flüge zu unternehmen. Dahinter steht die Intention, möglichst viel über das Fliegen auf dem Mars zu erfahren, um künftige Missionen mit Systemen ausstatten zu können, die über der Marsoberfläche schweben und losgelöst vom Boden manövrieren können.

Fliegen in dünner Luft

Die Tatsache, dass die Nachfahren von Ingenuity nicht mehr fahren, sondern fliegen werden, ist durchaus von Bedeutung, denn Fliegen ist eine deutlich schnellere Möglichkeit, um von A nach B zu gelangen. Sobald der Weg weniger wichtig ist als das Ziel, ist es überaus sinnvoll, zu fliegen. Allerdings ist die Marsoberfläche nicht gerade übersät mit geeigneten Landeplätzen für einen kleinen und leichten Helikopter wie Ingenuity, sodass die Drohne auch mit unvorhergesehenen Oberflächenbedingungen zurechtkommen muss.

Der Helikopter wurde für eine möglichst geringe Masse konzipiert – weniger als 2 kg. Dies ist notwendig, um in der dünnen Atmosphäre des Mars einen motorisierten Flug durchführen zu können. Die Dichte der Marsatmosphäre beträgt nämlich nur rund 1 % der Dichte der Erdatmosphäre, weshalb die beiden gegenläufig rotierenden Rotoren des Helikopters eine Drehzahl von rund 2.400 min-1 benötigen, um den erforderlichen Auftrieb zu erzeugen.

Entwickelt und getestet wurde Ingenuity in einer Weltraumsimulationskammer des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in einer simulierten Marsatmosphäre. Während die deutlich geringere Anziehungskraft des Mars, die nur etwa 40 % der Erdanziehungskraft ausmacht, vom JPL nicht simuliert werden konnte, war eine Simulation der Atmosphäre durchaus möglich. Dies gab den Entwicklern die Gewissheit, dass der Helikopter in der Lage sein würde, abzuheben, zu schweben und zu manövrieren.

Herausforderungen bei Start und Landung

Bei jedem Flug sind Start und Landung die schwierigsten Phasen. Für eine kleine und leichte Drehflügler-Drohne wie Ingenuity, die vollkommen autonom operieren muss, können sie aber eine noch größere Herausforderung darstellen.

Die Komplexität des Fliegens selbst wird durch die Tatsache verstärkt, dass es aufgrund der unebenen und unregelmäßigen Oberfläche des Mars kaum zu erwarten ist, dass die Ingenuity-Flüge je auf einer horizontalen Fläche beginnen oder enden werden. Dies wiederum bedeutet, dass man von keinem vertikalen Abheben der Drohne ausgehen kann. Jede Abweichung von der Vertikalen aber könnte dazu führen, dass der Helikopter unmittelbar nach dem Abheben abdreht.

Leit-, Navigations- und Steuerungsarchitektur

Die Leit-, Navigations- und Steuerungsarchitektur (Guidance, Navigation and Control, GNC) des Helikopters wurde speziell für den autonomen Betrieb ausgelegt. Während das Guidance-Modul die für die jeweilige Flugphase relevanten Richtungsbefehle ausgibt, nimmt das Navigation-Modul Daten von den bordeigenen Sensoren entgegen und leitet diese an die Guidance- und Control-Module weiter.

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Das Control-Modul schließlich ist mit den Aktoren des Helikopters verbunden. Für die sichtbasierte Navigation stehen dem bordeigenen Prozessor, einem Snapdragon 801 mit vier Kernen, zwei Bildsensoren zur Verfügung. Die Rechenleistung wird durch zwei Arm Cortex-R5F-basierte Mikrocontroller von Texas Instruments aufgestockt, die im Lockstep-Betrieb die Sensordaten verarbeiten und die Flugsteuerungs-Funktionen wahrnehmen.

Für die Sensor- und Aktorschnittstellen, die nicht softwaremäßig, sondern mit Logikgattern implementiert sind, kommt ein Pro-ASIC-FPGA zum Einsatz. Dieses FPGA schaltet außerdem zwischen den beiden Mikrocontrollern um, sobald ein Fehler entdeckt wird.

MEMS-Neigungsmesser unterstützt bei der Start- und Landephase

Zur Sensorbestückung gehören zwei 3-Achsen-IMUs (Inertial Measurement Units). Von diesen Trägheits-Messeinheiten befindet sich je eine in der oberen Sensorbaugruppe und in der unteren Sensorbaugruppe. Die IMUs ihrerseits bestehen aus einem Beschleunigungssensor und einem Drehgeber (Gyroskop) mit jeweils 16 Bit Auflösung. Ein Time-of-Flight-System (Lidar) hilft bei der vertikalen Positionsbestimmung, während in der unteren Sensorbaugruppe zusätzlich eine Navigationskamera und eine RTE-Kamera (Return to Earth) verbaut sind.

Neben den IMUs enthält das ECM (Electronic Core Module) auch einen Neigungsmesser (Inklinometer) des Typs SCA100T-D02 von Murata. Dieser MEMS-basierte 2-Achsen-Sensor dient zum Kalibrieren der IMUs vor dem Abheben, damit die vertikale Achse des Helikopters präzise gemessen werden kann.

Diese entscheidende Stufe ist kennzeichnend für die Art und Weise, wie die NASA den Erfolg von vornherein in ihre Steuerungssysteme einbaut. Die Tatsache, dass die Hauptsensoren, auf die das GNC-System während des Flugs zurückgreift, vor dem Start mithilfe des Neigungsmessers kalibriert werden, unterstreicht die große Bedeutung der Start- und Landephase für den Helikopter.

MEMS-Neigungsmesser SCA100T

Viele der an Bord von Ingenuity und Perseverance verbauten Sensoren sind handelsübliche Standardprodukte (Commercial Off-The-Shelf, COTS), und tatsächlich ist die NASA offen, was die Verwendung von COTS-Bauteilen angeht, wo immer dies möglich ist.

Dazu gehören unter anderem Spezialsensoren, die eigentlich für andere Anwendungen mit hohen Zuverlässigkeitsanforderungen gedacht sind. Zum Beispiel wurde der MEMS-Neigungsmesser SCA100T entwickelt, um in Nivellier-Anwendungen die Leistungsfähigkeit von Präzisionsinstrumenten zu erreichen. Hilfreich ist ferner die Tatsache, dass der SCA100T so ausgelegt ist, dass er Stöße bis zu 20.000 g verkraftet.

Blockschaltbild des SCA100T, wie er in der Mars-Drohne Ingenuity zum Einsatz kommt.
Blockschaltbild des SCA100T, wie er in der Mars-Drohne Ingenuity zum Einsatz kommt.
(Bild: Murata)

Der Neigungsmesser besteht aus zwei rechtwinklig zueinander und parallel zur Befestigungsebene angeordneten Sensorelementen. Der an Bord von Ingenuity eingesetzte Sensor bietet einen Messbereich von ±90° bei einer Auflösung von 0,0035°. Er erzeugt an seinem Ausgang ratiometrische analoge Spannungen mit einem SPI-Interface zum Übertragen von Neigungs- und Temperaturinformationen, die von dem eingebauten Temperatursensor geliefert werden. Das Bild zeigt ein Blockschaltbild des SCA100T.

Ausgelegt für extrem niedrige Temperaturen

Die Elektronik im ECM verkraftet die extrem niedrigen Nachttemperaturen auf dem Mars dank ihrer Positionierung in der Nähe der Batterie, einem Akkusatz auch sechs Lithium-Ionen-Zellen. Der Akkusatz ist mit einer Heizfolie ausgestattet, die dafür sorgt, dass sich die Batterie niemals auf unter -15 °C abkühlt. Durch seine Anordnung nah am Akkusatz profitiert auch das ECM von diesen Heizelementen, weshalb die sensiblen Teile des Systems Temperaturen von bis zu -100 °C aushalten können. Der SCA100T selbst ist für Lagertemperaturen von -55 °C bis +125 °C und den Betrieb bei Temperaturen von -40 °C bis +125 °C ausgelegt.

Der Winkel in x- und y-Richtung wird durch die analoge Ausgangsspannung angegeben, die sich mithilfe der folgenden Gleichung umwandeln lässt:

(Bild: Murata)

Der Offset ist die Ausgangsspannung bei einer Neigung von 0°, während die Empfindlichkeit (Sensitivity) des SCA100T-D02 2 V/g beträgt. Es ist wahrscheinlich, dass Ingenuity den SCA100T zum Messen der Neigung des Helikopters in x- und y-Richtung nutzt, um diese Informationen an die IMUs weiterzugeben und das Ausgangssignal des Drehgebers mit einem Offset zu versehen. Dies müsste vor jedem Abheben erfolgen, da die Oberfläche bei allen Landungen sehr unterschiedlich beschaffen sein kann – selbst dann, wenn künftige Fahrzeuge für motorgetriebene Flüge auf dem Mars stets von ihren jeweiligen Rovern starten und auf ihnen landen würden.

Fazit: Die Erkundung des Planeten Mars stellt für die Wissenschaft einen enormen Fortschritt dar. Wenn die gesammelten Gesteinsproben irgendwann einmal zur Erde zurückgeholt werden können, lassen sich hieraus möglicherweise vollkommen neue Daten gewinnen, die Einfluss auf nachfolgende Missionen hätten.

Ein großer Teil der zum Mars geschickten Technik lässt sich auch hier auf der Erde für ähnliche Anwendungen einsetzen. Natürlich sind die meisten irdischen Einsatzumgebungen weitaus weniger anspruchsvoll als auf dem Mars, weshalb sich die Entwickler hier sicher sein können, dass die Sensoren, die sie für ihre Anwendungen auswählen, ihren Aufgaben gewachsen sein werden.  (in)

* Heino Härkönen, Product Engineer, Accelerometer Products, Murata

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