Fünf Experten über Robotik-Trends Nachgefragt: Robotik spielt viele Schlüsselrollen
Wo Roboter und Mensch immer näher zusammenrücken, wächst der Anspruch an Safety, Echtzeit-Kommunikation, Präzision & Co. Ohne gezielte Weiterentwicklung in den Paradedisziplinen der Automatisierung wären viele Funktionen in der Robotik nicht denkbar. Oder umgekehrt?
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Wir haben bei fünf Experten nachgefragt, welche Potenziale und neuen Entwicklungen es aus dem Bereich der Robotik gibt:
- Stefan Ender, Technologiemanager Robotics, Siemens
- Fernando Vaquerizo, European Robotics Product Marketing Manager, Omron
- Prof. Dr.-Ing. Markus Glück, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung/CINO, Schunk
- Volker Schlotz, Leiter Markt- und Produktmanagement CNC-Systeme, Bosch Rexroth
- Dr.-Ing. Werner Kraus, Fraunhofer IPA
elektrotechnik AUTOMATISIERUNG: Haben Roboter, Greifer & Co. andere Anforderungen an die Antriebstechnik als – zumindest bislang – der Anlagen- und Maschinenbau? Welche Entwicklungen zeichnen sich ab, vielleicht auch eine Vorreiterrolle für andere Felder?
Stefan Ender: Ja, die Anforderungen sind anders. Die Antriebstechnik hat hier im Speziellen die Aufgabe, mehrere Achsen im Dynamikmodell zu regeln und die frei programmierten Fahrbefehle ohne Verzögerung, schwingungsfrei und mit unterschiedlichen Lastzuständen in Produktionsanlagen zu bewegen. Dafür müssen hocheffiziente Motoren bei kleiner Bauform mit geringem Eigengewicht entwickelt werden. Speziell bei den kollaborierenden Robotern, sogenannten Cobots, sind Safety-Funktionen unabdingbar, um eine Zusammenarbeit mit dem Menschen ohne den sonst vorgeschriebenen Schutzzaun zu ermöglichen. Antriebssysteme müssen in sicherer Technik ausgeführt werden, das heißt, sie müssen zum Beispiel mit überwachter TCP-Geschwindigkeit oder in sicherer Überwachung im Controller- bzw. Feldbussystem mit der Umwelt kommunizieren. Profisafe, unser sicherer Kommunikationsstandard, liefert dazu eine Lösung ohne aufwendige Verdrahtung.
Fernando Vaquerizo: Es gibt noch immer physikalische Grenzen. Je mehr Wärme produziert wird, umso besser muss der Roboterarm diese ableiten können. Die Entwicklung eines kleineren Stellantriebs, der weniger Wärme erzeugt, wäre eine Lösung – vor allem bei eingebetteten Bremsen. Natürlich wären derartige Entwicklungen auch von Nutzen für andere Anwendungen und Einsatzbereiche, wie in der Automobilindustrie und selbst in Fällen mit Servos oder Wechselrichtern – wo immer es um energiesparende Wirtschaftlichkeit geht, wie etwa in der Hebe- und Fördertechnik.
Markus Glück: Roboter und Menschen beginnen, in der Fertigung in gemeinsamen Arbeitsräumen miteinander zusammenzuarbeiten. Intelligenz, Vernetzung und Kollaboration sind die entscheidenden Trends in Handhabung und Montage. In der Folge kam es zu einer Flexibilisierung des Greifens. Die Herausforderung, elektrische Steuerungssysteme mit den bekannten Aktoren der industriellen Automation, wie etwa den Greifwerkzeugen, zusammenwachsen zu lassen, führt unaufhaltsam zur mechatronischen Komponentenvernetzung und Systemintegration. Hierauf Antworten zu liefern, die die Kraftanforderungen der Pneumatikwelt bestmöglich mit den Vernetzungsmöglichkeiten und Steuerungslandschaften einer smarten Fabrik kombinieren, ist eine der zentralen Herausforderungen für intelligentes Greifen in der Industrie 4.0, die Schunk angenommen hat.
Volker Schlotz: Intelligente Handlingsysteme und Roboter spielen eine Schlüsselrolle in der variantenreicheren Fertigung der Zukunft. Bereits heute ist die Programmierung von Robotern und Handlingsystemen mit koordinierten Bewegungen wesentlich einfacher als noch vor ein paar Jahren. So hat Rexroth die Inbetriebnahme der Antriebe weitgehend automatisiert. Es reicht aus, einige wenige Parameter einzugeben. Dazu liest das Regelgerät die mechanischen Daten automatisch aus dem Synchron-Servomotor aus und verhindert so eine fehlerhafte Eingabe. Zusätzlich eröffnen Motoren der neuesten Generation neue Möglichkeiten der vorausschauenden Wartung, weil sie gleichzeitig als Sensor Betriebszustände erfassen. Das Regelgerät wertet diese Messwerte aus und erkennt sich anbahnenden Verschleiß in der gesamten Achse, bevor es zu einem Stillstand kommt. Die Instandhaltung kann dann vorausschauend und geplant in Produktionspausen eingreifen.
Werner Kraus: Ein entscheidendes Kriterium für Robotergreifer ist auf jeden Fall das Gewicht, da die Nutzlast von Robotern begrenzt ist. Bei Elektrogreifern sollten demnach das Gewicht wie auch der Bauraum des Servomotors und der Leistungselektronik kompakt und leicht ausfallen. Weiterhin werden mittlerweile 10 % der Roboter in Reinräumen eingesetzt, wofür die Technik in Bezug auf Partikelemissionen speziell qualifiziert werden muss. Um in diesem wachsenden Markt der reinen Automatisierungstechnik mitzuspielen, muss auch die Antriebstechnik entsprechend qualifiziert sein. Für hochpräzise Roboteranwendungen wie zum Beispiel bei der Bearbeitung mit Industrierobotern sind abtriebsseitige Encoder wichtig. Durch die Messung der Achsposition nach dem Getriebe können damit Ungenauigkeit wie Getriebespiel ausgeregelt werden mit dem Ergebnis, dass der Roboter an seinem Tool Center Point (TCP) präziser positionieren kann.
elektrotechnik AUOTMATISIERUNG: Was sollen Robotik-Systeme morgen alles können? Und welches Potenzial steckt dabei in einzelnen Technologien wie etwa der Antriebstechnik?
Fernando Vaquerizo: Es wird ein Umfeld für adaptive Fabrikautomation geschaffen werden, um Effizienz und Markteinführungszeiten zu optimieren – bei autonomen und intelligenten Produktionsflüssen als Ziel dieser Reise. Die Antriebstechnik wird für die interaktive Zusammenarbeit von Robotern und Menschen ein Schlüsselelement sein. Letztendlich werden Robotik und Automatisierungssysteme die nächste Stufe der flexiblen Automation ermöglichen, die für eine flexibilisierte Massenproduktion erforderlich ist.
Stefan Ender: Ich gehe davon aus, dass die Servomotoren und die Antriebskomponenten (konstruktiv) im Design des Roboters verschwinden werden und damit in die Mechanik integriert werden. Das sieht man heute schon beispielsweise bei den kollaborativen Robotern, die im Markt verfügbar sind. Kunden fordern kleinere leistungsfähige Achsverstärker und Leistungselektronik. OPC UA und TSN (Time sensitive Networking) ermöglichen in Zukunft eine integrierte Vernetzung mit Leitsystemen wie SCADA, MES, ERP oder der Cloud. Energiesparende Antriebskomponenten im Bereich Mobile Robotics und autonom fahrende Systeme werden in der Zukunft eine immer wichtigere Rolle in Industrie- und Produktionsstätten spielen. Hier werden das Energiemanagement, die Effizienz sowie Baugröße und Systemredundanz entscheidende Komponenten für Motoren und Antriebstechnik im Markt sein. Zusammenfassend gesagt: Digitalisierung, Edge- und Cloudlösungen mit Kommunikationsstandards sind die Schlüsselkomponenten für den Erfolg in der (mobilen) Robotik. Hier ist es entscheidend, dass Basiskomponenten der Antriebstechnik, wie Motoren, Leistungsverstärker und Controller mit dieser Entwicklung mitgehen und angepasst werden, sozusagen als Digital-Mechatronische Gesamtlösung.
Volker Schlotz: In Zukunft werden Roboter viel enger mit Menschen zusammenarbeiten als heute. Damit gewinnt die Maschinensicherheit noch mehr an Bedeutung. In den Antrieben integrierte und zertifizierte Sicherheitsfunktionen der höchsten Stufe schützen die Menschen zuverlässig. Gleichzeitig hilft diese Safe Motion Herstellern, normgerechte Sicherheit mit geringem Aufwand umzusetzen. So können mehrere Rexroth-Antriebe, auch schaltschranklose, einfach zu Sicherheitszonen verknüpft werden. Es reicht ein Fingertipp und alle beteiligten Achsen wechseln in einen sicheren Zustand, ohne dass die Maschine abgeschaltet werden muss. Damit kann sie sofort nach manuellen Eingriffen weiter produzieren. Auf der Hardwareseite geht der Trend zu kleineren Baumaßen, beispielsweise kompakten Mehrachsreglern und der bereits erwähnten schaltschranklosen Antriebstechnik.
Ein weiterer Trend ist die einfachere Bedienung, Programmierung und Diagnose über nutzerfreundliche Bedienoberflächen und die Integration von Smart Devices wie Tablet-PC und Smartphones. Hier bietet Rexroth bereits Lösungen, mit denen Anwender ganz ohne SPS-Kenntnisse mit Hilfe von webbasierten Software-Assistenten und Tablet-PCs Bewegungsabläufe „teachen und programmieren“.
Werner Kraus: Ein Defizit in der Antriebstechnik sehe ich darin, dass sie bei elektrischen Greifern weniger Leistungsdichte und Kraft als bei Druckluftgreifern bietet. Für die Umsetzung der druckluftfreien Fabrik bedarf es einer leistungsfähigeren Antriebstechnik für Elektrogreifer.
Ein Trend ist sicher die Modularisierung, das heißt die Bündelung der Antriebe, Getriebe und Drehmomentensensorik sowie der Encoder und das mit Sicherheitsintegrität für die MRK. Insbesondere für die Servicerobotik, das heißt für den Einsatz abseits der Produktionsumgebung besteht Bedarf an kostengünstigen und sicheren Antriebsmodulen für Roboterarme. Ferner ist auch das taktile Greifen wichtig. Dies bedeutet, dass der Greifer spürt, was er greift. Er kann sensitiv greifen, ohne dabei fragile Werkstücke zu beschädigen.
Ein Entwicklungsziel sind lernende Greifer, also Greifer, die aus Erfahrung lernen, wie und wo so Werkstücke greifen können, ohne das ein Experte dies vorgibt. Ermöglichen werden dies Technologien der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens.
Robotik für die sichere MRK wird meiner Meinung nach immer mehr an Bedeutung gewinnen. Der Beitrag der Antriebstechnik wird dabei eine schnelle, echtzeitfähige Kommunikation sowie eine schnelle Reaktion auf den Nothalt sein, sodass Sicherheitsabstände immer weiter reduziert werden können.
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Markus Glück: Künftig werden wir ein sehr viel dynamischeres Handling erleben. Der Markt fordert Greifsysteme, die sich zügig und intuitiv in Betrieb nehmen lassen und selbsttätig an variierende Greifsituationen anpassen. Darüber hinaus wird der Grad der Intelligenz in Handhabungssystemen steigen: Intelligentes Greifen umfasst zusätzlich zum eigentlichen Greifprozess das sensorgestützte Detektieren unterschiedlicher Prozessparameter, deren Analyse sowie die Möglichkeit, situativ angepasst zu reagieren. Zudem gehen wir davon aus, dass sich die 24V-Technologie neben Pneumatiknetzen und Netzen im Spannungsbereich > 400 V als dritte starke Säule etablieren wird. Argumente sind die wesentlich geringere Komplexität der Integration, der reduzierte Verkabelungsaufwand, eine einfache Programmierung und ein attraktives Preisniveau. Trotz der höheren Einstandspreise sind 24V-Module pneumatischen Komponenten wirtschaftlich überlegen: Da sie ohne Stoßdämpfer auskommen, sinkt der Inbetriebnahme- und Wartungsaufwand auf nahezu null. Zudem ist ausgeschlossen, dass bei defekten Dämpfern Schäden und Ausfallzeiten an der Anlage entstehen. Hinzu kommen Einsparungen beim Druckluftsystem. Kommt ein IO-Link-Netz zum Einsatz, steigt zusätzlich die Flexibilität gegenüber pneumatisch gesteuerten Anwendungen. Generell wird die Forderung nach einer zunehmenden Komponentenvernetzung in der Montageautomation auf immer kleinerem Bauraum bei gleichzeitig zunehmenden Anforderungen an Taktzeit, Komponentendiagnose und Inline-Prozesskontrolle der wesentliche Treiber für die zunehmende Mechatronisierung der Fertigungsautomation sein.
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