Interview mit Thomas Vasterling, Executive Vice President Logistics bei Lapp Wie managen Sie die angespannte Versorgungslage?
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Lieferengpässe sind die großen Herausforderungen, mit denen aktuell Industrieunternehmen auf der ganzen Welt konfrontiert sind. Doch lassen sich Lieferengpässe verhindern oder wenigstens abmildern? Ein Gespräch mit einem betroffenen Unternehmen.

2020 sorgten Covid-Ausbrüche für Produktionsausfälle und geschlossene Grenzen. 2021 blockierte der Ozeanriese „Ever Given“ für Wochen den Suezkanal und jetzt ist es der Krieg in der Ukraine, der die Produktionsbänder in vielen wichtigen Industrien stillstehen lässt. Auch Lapp ist von Lieferengpässen betroffen. Aber dank eines vorausschauenden Versorgungsmanagements konnten gravierende Probleme gut umschifft werden, wie Thomas Vasterling schildert:
Herr Vasterling, wie bekommen Sie bei Lapp die angespannte Versorgungslage zu spüren?
Noch nie in meiner Laufbahn war ich mit so vielen Force Majeur Events konfrontiert. Denn parallel zu den zahllosen Störungen der internationalen Versorgungswege erlebt die Weltwirtschaft seit Sommer 2020 einen enormen Aufschwung. Das Resultat ist eine extreme Verknappung quasi aller Rohstoffe und Produkte:
Die Einkaufspreise explodieren, fast täglich senden uns Lieferanten angepasste Preislisten. Ein Beispiel sind Kunststoffe, die wir für die Ummantelung der Kabel und Leitungen brauchen. Im Vergleich zum Oktober 2020 liegen die Preise der verschiedenen Kunststoffe heute zwischen 30 bis 70 Prozent höher. Grund dafür ist ein erheblicher Engpass bei den relevanten Vormaterialien. Dadurch war für uns auch die Verfügbarkeit von Silikon kürzlich fast komplett abgerissen. Aufgrund der CO2-Reduktionsbestrebungen in China wurden zeitweise große Produktionsstätten heruntergefahren.
Die Knappheit entsteht aber auch durch den großen Wettbewerb. Neben Lapp greifen viele verschiedene Industrien – von der Kosmetikbranche bis zur Textilwirtschaft – auf dieselben Rohstoffe zu. Gleichzeitig gibt es zum Beispiel für Polyurethan (PUR) weltweit nur sehr wenige Produzenten. Extreme Preissteigerungen sind das Resultat.
Gut gepflegte Lieferantenbeziehungen und extrem flexible, eigene Werke sind der Schlüssel.
Wie kann man sich davor rüsten?
Das ist nicht so einfach. Die Versorgungslage ist unglaublich angespannt. Aber das Supply Chain Management hat sich gut vorbereitet, um auch noch in einem schwierigen Marktumfeld erfolgreich zu beschaffen. Gut gepflegte Lieferantenbeziehungen und extrem flexible, eigene Werke sind der Schlüssel.
Wir haben für viele Materialien langfristige Rahmenverträge und so war die Verfügbarkeit besser als die vieler Wettbewerber. Zudem haben wir bereits vor ein paar Jahren das Risikomanagement sehr ernst genommen und Partnerlieferanten identifiziert, mit denen entsprechende vertragliche Vereinbarungen getroffen wurden. Das hat geholfen. In der Anfangsphase der Krise 2020 haben wir uns kontinuierlich sehr eng mit unseren Lieferanten abgestimmt. Täglich gab es viele Calls – teils saßen unsere Gesprächspartner im gläsernen Vorstandsbüro, teils am gemeinsamen Küchentisch – und wir sind sämtliche Produktgruppen durchgegangen, um Lösungen zu finden.
Es sind Partnerschaften in guten und in schlechten Tagen.
Auch die Partnerlieferanten profitierten davon – denn es sind Partnerschaften in guten und in schlechten Tagen. Im Abschwung Anfang 2020 haben wir sichergestellt, dass die Lieferanten so stark wie möglich auslastet werden und nicht mehr leiden als wir selbst. Dafür revanchieren sie sich heute, indem sie uns im Zweifel bevorzugt beliefern. Die Kombination aus eigenen Werken und Partnerlieferanten ergibt ein extrem flexibles Versorgungsnetzwerk.
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Interview mit Lapp
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Ein täglicher Tanz auf dem Drahtseil…?
In der Tat. In Verhandlungen mit Lieferanten sind wir kompromissbereit: So werden auch Mehrmengen abgenommen, oder die Waren selbst abgeholt. Wenn nötig gehen wir auch gemeinsam mit Partnerlieferanten auf Einkaufstour. Natürlich haben wir trotzdem manchmal das Nachsehen gegen ganz große Player, wie beispielsweise große Sportartikelhersteller, aber insgesamt konnten wir unseren Lieferanten klar machen, dass wir ein spannender Wachstumskunde sind. Unterstützt wird unser Supply Chain Management vom ‚Sensors in the Market‘-Team, wodurch wir rasch auf Veränderungen im Markt reagieren können.
Bauen Sie auch die Zahl der Lieferanten aus?
Strategisch setzen wir natürlich auch auf Diversifizierung. Unser Ziel ist es, dass für jede Produktgruppe mindestens zwei Lieferanten zu akquirieren sind, sodass jeder Standort auf der ganzen Welt flexibel beliefert werden kann. Diese Bemühungen zeigen bereits Erfolge: Beispielsweise haben wir im Bereich Industrial Communication in den vergangenen zwölf Monaten vier neue Lieferanten qualifiziert und die Anzahl somit verdoppelt.
Um die gestiegene Nachfrage nach Verbindungslösungen bewältigen zu können, war vor allem ein internationaler Chemiekonzern ein wichtiger Partner. Er ist der wichtigste globale Lieferant. Das Unternehmen ist auf jedem Kontinent vertreten und kann jedes unserer Produktionswerke von mindestens zwei Standorten mit PVC beliefern.
Bei der Suche nach neuen Lieferanten setzen wir auf eine Artificial Intelligence Lösung.
Wie identifizieren Sie geeignete Lieferanten?
Bei der Suche nach neuen Lieferanten setzen wir auf eine Artificial Intelligence Lösung: Diese Software kann in Hochgeschwindigkeit das Internet durchforsten, findet Lieferanten auf der ganzen Welt und bewertet sie. So identifiziert sie zum Beispiel innerhalb von Stunden 5.000 potenzielle Leitungslieferanten in China und generiert dann eine Liste mit den vielversprechendsten 30 möglichen Lieferanten. Diese kann das Einkaufsteam dann gezielt angehen.
Das Potenzial, das hier für uns schlummert, ist unglaublich: Zuletzt verfügten wir in der Region LA EMEA über insgesamt rund 240 qualifizierte Lieferanten für alle 25 Produktgruppen. Mithilfe der Artificial Intelligence Lösung konnten wir für eine einzige Produktgruppe nur innerhalb von Europa mehr als 60 neue, potenzielle Lieferanten identifizieren. Ziel ist es, die Lieferantenbasis für alle Produktgruppen deutlich zu erhöhen.
Wir müssen uns fragen, ob wir es uns in Zukunft noch leisten können, Produkte herzustellen, die so überdimensioniert sind.
Was schätzen Sie, wie lange wird es solche Lieferengpässe noch geben?
Wir gehen davon aus, dass der internationale Wettbewerb um Rohstoffe auch in Zukunft eine große Herausforderung sein wird. Ein Lösungsansatz wäre ein optimiertes Produktdesign. Ein Kabel hält heute in vielen Anwendungen oft länger als die Maschinen, in denen es eingesetzt wird. Für Verbindungslösungen stellt sich die Frage, ob die gleiche Funktionalität mit 20 Prozent weniger Material sichergestellt werden könne, trotz der bestehenden Normen. Wir müssen uns fragen, ob wir es uns in Zukunft noch leisten können, Produkte herzustellen, die so überdimensioniert sind. (xx)
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