Parallelwelt Den Kopf in den Drehkranz stecken
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Mit seinem Iguversum hat Igus eine virtuelle Welt entwickelt, in der Automatisierer und Igus-Mitarbeiter gemeinsam Anwendungen besprechen können. Die et-Redaktion wollte mehr wissen und ist nach Köln gereist.

Hätten wir früher die Möglichkeit gehabt, hierher zu reisen, hätte uns das bei einer Kundenanwendung viel Zeit und Nerven erspart“, höre ich Marco Thull, Senior Marketing Activist bei Igus, neben mir berichten. Wir befinden uns auf dem Turm einer Ölplattform, in etwa 40 Meter luftiger Höhe über dem blau leuchtenden Meer. In der Ferne grüßen bucklige, bewaldete, idyllische Inseln. Ich selbst balanciere auf einer etwa 30 cm schmalen Stahlstrebe – ohne Sicherung. Da ist nichts, was mich sichert – oder besser gesagt: sichern muss. „Mit diesem Konstruktionsbauteil, der Energiekette e-loop, hatten wir Probleme“, berichtet Thull zu meiner linken Seite weiter, und schildert den Fall eines Kollegen: „Bei der Installation des ELP.430.01 auf der Anlage kam es zu Problemen mit der Anbindung der Anschlusselemente. Dadurch, dass das Anschlusselement deutlich größer war als angenommen, vor allem in der Bauhöhe, kam es zu einer Kollision mit einem Träger am Top Drive.“ Letzten Endes mussten die Mitarbeiter des Kölner Spezialisten das Gegenstück zum Anschlusselement, den Gegenflansch, nach unten verlegen. Hätte es im Vorfeld die Möglichkeit gegeben, das Problem zu visualisieren, hätte dies dem Verständnis geholfen, welche Art von Anschlusselement und Leitungsführung man machen kann oder muss.
Der Kollege schwebt den Turm herauf
„Wo seid Ihr denn?“, ruft es plötzlich von unten. Ein Oberkörper mit Kopf, der zu Oliver Cyrus, Pressesprecher bei Igus, gehört, schwebt herauf. Moment mal: schweben? Wir befinden uns nicht in der realen Welt, sondern im sogenannten Iguversum, einer Parallelwelt, die der Kölner Kunststoffexperte entwickelt hat, um mit seinen Kunden den konkreten Einsatz seiner Konstruktionsbauteile, wie beispielsweise Energieführungsketten, zu besprechen. Dazu muss jeder Besucher eine Virtual-Reality-Brille tragen und zwei Controller zum Steuern der eigenen Bewegungen in seine Hände nehmen. Zunächst sind die eigenen Bewegungen gewöhnungsbedürftig – wie läuft man als Avatar? Dann geht es einfach: Ein Klick mit dem rechten Zeigefinger und eine orange Fußspur erscheint, die ich auf jeder horizontalen Fläche enden lassen kann. Damit lande ich innerhalb einer Sekunde wieder auf vermeintlich festem Boden am Fuße des Bohrturms. Waghalsige Kletteraktionen von der Stahlstrebe hinunter sind nicht erforderlich. Ehrlich gesagt, erleichtert mich dies ziemlich. Meine Boulder-Fähigkeiten halten sich in Grenzen.
In der realen Welt, auf dem Kölner Werksgelände, haben die Spezialisten den Turm der Ölplattform etwas verkleinert nachgebaut. Noch führen sie dorthin ihre Kunden, um konkrete Anwendung zu besprechen – vom Boden aus, ein Klettern wäre zu gefährlich. Den größten Aufwand haben jedoch die Kunden, die eine längere Anreise zum Werksgelände antreten müssen.
Durch die Wand laufen statt durch die Tür
Marco Thull, Oliver Cyrus und ich kehren zurück in das weitläufige, helle Iguversum-Gebäude mit seinen riesigen Fenstern und Wandmonitoren, an denen ich mir etwas anschauen könnte. Wir laufen vorbei an dem neuen Kunststofffahrrad, das die Spezialisten auf der letzten Hannover Messe präsentiert haben. Im ersten Stock steht die Karosserie eines Vans mit weit aufgeschwungenen Türen. Huch, jetzt habe ich mich durch die Wand ins Auto gebeamt. Thull entfernt mal eben im Bruchteil einer Sekunde den rechten hinteren Autositz, um mir den eingebauten Igus-Drehkranz zu demonstrieren. Hätte ich jetzt Verbesserungsvorschläge, könnten wir gemeinsam alles in kürzester Zeit ändern. Thull überreicht mir das flugs ausgebaute Bauteil. Wenn ich mit meinem linken Mittelfinger einen Hebel am Joystick betätige, kann ich das Teil sogar in die Hand nehmen und wenden. Aber der Drehkranz passt für mich, so wie er ist. Also wieder – zack – einbauen und weitergehen zum Roboter. Der interessiert mich ebenfalls. Sicherheitshalber stecke ich aber vorher noch den Kopf in den Drehkranz und schaue mir in Ruhe die im Innern verbauten Komponenten an. Dass mir das Bauteil meinen Schädel spaltet, ist mir in dem Moment ziemlich egal.
Hannover Messe 2023
Das Iguversum selbst testen
Auf der kommenden Hannover Messe präsentiert Igus sein neues Iguversum einer breiten Öffentlichkeit. In Halle 6, am Stand E26, können Besucher selbst in die Parallelwelt eintauchen und die Vorteile des Zusammenarbeitens in einer virtuellen Welt testen. Mehr zu den Exponaten von Igus auf der Messe finden Sie hier
Von der Fertigungslinie zum Cobot springen
„Vielleicht möchten Sie den Roboter in einer anderen Welt besichtigen?“, bietet Thull an. „Wir haben eine Fertigungshalle mit Hochregallager entwickelt. Alle Igus-Bauteile leuchten dort orange. So können unsere Kunden sich die konkreten Anwendungen ganz genau anschauen. Sie wären allerdings die erste Person, die hinein darf.“ Selbstverständlich kann ich diese Einladung nicht ausschlagen. Tatsächlich: In der Ferne, unter dem Hochregallager leuchten Energieführungsketten knall-orange. Mit einem Fingerdruck fliege ich zwischen Automobilkarosserien und Industrierobotern hin und her. Oje, jetzt bin ich mitten im Roboter gelandet, wie komme ich wieder heraus? Und zack, schon bin ich weg. Auf diese Weise kann ich mir alles in Ruhe anschauen. Hoch und runter fliegen. Mangelnde Kondition, verstauchter Fuß oder Schweinshaxe mit halber Maß zum Mittagessen – alles kein Problem.
Dann endet der gut 1,5-stündige Ausflug in die virtuelle Welt, der großartig war. Mein einziges Manko ist jetzt, dass ich mich nach diesem Abenteuer nicht einfach nach Hause beamen kann!
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