Servoleitung Die Dachkonstruktion macht‘s möglich: Tennis in Wimbledon jetzt auch bei Nacht und Regen

Autor / Redakteur: Franzsika Buch* / Ines Stotz |

Flächenmäßig entspricht es 7.500 Regenschirmen – das neue wetterfeste Ziehharmonikadach über dem Centre Court in Wimbledon, das dafür sorgt, dass die traditionell unberechenbaren Regenpausen der Vergangenheit angehören. Die Fans auf den Zuschauertribünen wie vor dem heimischen Fernseher können nun den Spielen des weltberühmten Tennisturniers ohne Unterbrechung beiwohnen. Der mangelnde Platz im Umkreis des Centre Court machte allerdings eine technisch besonders anspruchsvolle Dachkonstruktion nötig. Die Leitungen für den Antrieb des Schiebemechanismus lieferte die Stuttgarter Lapp Gruppe.

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Das 1.000 Tonnen schwere Dach des Centre Court in Wimbledon öffnet und schließt sich auf Knopfdruck innerhalb von nur zehn Minuten.
Das 1.000 Tonnen schwere Dach des Centre Court in Wimbledon öffnet und schließt sich auf Knopfdruck innerhalb von nur zehn Minuten.
(Lapp)

Erdbeeren mit Sahne dürfen seit jeher nicht fehlen auf dem ältesten und prestigereichsten Tennisturnier der Welt. Tradition hatten lange Jahre auch die plötzlichen Spielunterbrechungen, zu denen es bei jedem Regeneinbruch kam – und Regen ist in England bekanntlich keine Seltenheit. Im Extremfall fielen ganze Tage ins Wasser. Die Fernsehprogramme waren darauf eingerichtet – ob mit dem Werdegang von Steffi Graf oder Martina Navratilova, dem legendären Finale zwischen Borg und McEnroe aus dem Jahr 1980 oder Boris Beckers Wimbledonsiegen, die sie bei diesen Gelegenheiten aus der Konserve holten.

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Doch der All England Lawn Tennis and Croquet Club und zahlreiche Wimbledon-Fans wünschten sich seit einiger Zeit mehr Planungssicherheit. So beschloss der Club im Jahr 2004, die Firma SCX Special Projects zu beauftragen, den berühmten Centre Court mit einem wetterfesten Schiebedach auszustatten. Endgültig fertiggestellt wurde das bewegliche Dach rechtzeitig zum Wimbledon-Turnier 2009. Seitdem haben sich die Bedingungen auf dem Platz grundlegend geändert – gespielt werden kann nun jederzeit, auch bei Nacht und Regen. Das erste Match, das durchgängig bei geschlossenem Dach gespielt wurde, wurde dann auch später beendet als je ein Spiel zuvor. Erst um 22.38 Uhr besiegte Andy Murray den Schweizer Stanislas Wawrinka in Wimbledons erstem Flutlicht-Match.

Wimbledon – traditionell im Wandel

Der Name „Centre Court“ stammt noch aus den Anfängen des Tennisareals in Wimbledon, als der Hauptplatz sich 1881 im Zentrum aller anderen Tennisplätze befand. Zu Anfang wurden nur provisorische Sitztribünen an drei Seiten des Platzes aufgebaut, 1884 wurden sie dann zu einer permanenten Tribüne erweitert. Die Kapazität der Zuschauerränge wurde kontinuierlich vergrößert – so etwa im Jahr 1914 von 2.300 auf 3.500 Plätze. So viele blieben es vorerst, bis zum Umzug auf das neue Gelände an der Church Road im Jahr 1922. Hier gab es nun 13.500 Sitze für das Publikum.

Zeitgleich mit der Errichtung des neuen Schiebedachs wurde die Kapazität nun noch einmal erweitert – 15.000 Zuschauer waren anwesend, als die Überdachung mit einem Freundschaftsdoppel zwischen Steffi Graf mit Ehemann André Agassi gegen Kim Clijsters und Tim Henman eingeweiht wurde. So ist das Ziehharmonikadach die aktuellste zahlreicher Neuerungen, die das Aussehen der Wimbledon-Anlage über die Jahrzehnte immer wieder grundlegend verändert haben. „Wir wollten die Geschichte und Tradition bewahren, aber gleichzeitig außergewöhnliche Verbesserungen für Spieler, Fans und Fernsehzuschauer des 21. Jahrhunderts einführen“, erklärte Klubchef Tim Phillips die neuesten Maßnahmen.

Da der Platz um den Centre Court herum nicht ausreichte, um ein herkömmliches Schiebedach zu installieren, entwickelten Architekten ein Spezialdach mit Ziehharmonikafaltung. Die 1.000 Tonnen schwere Konstruktion öffnet bzw. schließt sich auf Knopfdruck innerhalb von nur zehn Minuten. Einen solch großen Aufbau zu bewegen und zu kontrollieren, stellt eine besondere Herausforderung dar. 36 maßgeschneiderte elektrische Linearantriebe entfalten das 5.200 m2 große Spezialgewebe aus Tenara, einem extrem lichtdurchlässigen und wasserdichten Material, das den Centre Court auch bei geschlossenem Dach mit Tageslicht durchflutet. Für die Steuerung des Dachs sind 214 motorgetriebene Teile zuständig, die vollautomatisiert und aufeinander abgestimmt arbeiten.

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