Trendbericht Steuerung & Kommunikation Wie sich die Arbeitswelt in der Steuerungstechnik verändert
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Klimawandel, Fachkräftemangel, Lieferkettenprobleme, Protektionismus – für die Steuerungstechnik und industrielle Kommunikation zeichnen sich wichtige Veränderungen ab, wie mehr Datenaustausch, das Verknüpfen von Modulen, offene Ökosysteme und vor allem die einheitliche Sprache.

Die Auswirkungen der großen Krisen werden auch im Jahr 2023 Wirtschaft und Industrie nicht verschonen. Für Pierre Bürkle, Vice President Industrial Automation bei Schneider Electric DACH, ist das aber kein Grund für Resignation: „Für die Automatisierungswelt in Europa und in Deutschland bedeuten diese Krisen nur eines: Uns bleibt keine andere Wahl, als die von Industrie 4.0 versprochenen Effizienz- und Produktivitätsfortschritte endlich zu verwirklichen." Dabei geht es nach seiner Auffassung primär nicht um die Entwicklung immer neuer Technologielösungen. Was fehlt, ist die übergreifende Gemeinsamkeit: „Um das volle Potenzial dieser Technologien auch wirklich nutzen zu können, müssen wir lernen, mit einer Sprache zu sprechen. Wenn wir es ernst meinen mit dem IoT, dann brauchen wir herstellerunabhängige Standards für den Datenaustausch und eine Basis für die Interoperabilität von Komponenten." Für das neue Jahr blickt Bürkle optimistisch voraus: „Bei Anwendern und Maschinenbauern ist der Leidensdruck mittlerweile so groß, dass in diesem Jahr sicher Schwung in diese Entwicklung kommt."
Aussagekräftige Daten aus dem Shopfloor für die Produktion verwenden
Für Dr. Efrossini Tsouchnika, Vice President Control bei Siemens, steht im Fokus, dass sich die Produktion schnell auf knappe und teure Ressourcen, den Bedarf nach mehr Nachhaltigkeit sowie brüchige Lieferketten und eine stark schwankende Nachfrage einstellen können muss. „Deshalb wird es immer wichtiger, aussagekräftige Daten aus dem Shopfloor zu verwenden, um die Produktion entsprechend weiterzuentwickeln und zu optimieren." Dies sei ein wichtiger Baustein für mehr IT-Fähigkeiten in der Automatisierungstechnologie (Operational Technology, OT), die sogenannte IT/OT-Integration. „Edge- und Cloud-Technologien kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Netzwerke müssen zunehmend geeignet sein, den Transport dieser Daten neben den echtzeitkritischen Daten über ein und dieselbe Netzwerkinfrastruktur zu transportieren. Leistungfähige Informationsmodelle gewinnen noch mehr an Bedeutung, um den Daten die notwendige Semantik mitzugeben."
Daten und Infos werden im Bereich IT und OT ausgetauscht und ausgewertet
Beim Ostfildener Automatisierungsexperten Pilz sieht man das ähnlich. Für den Experten steht in diesem Jahr ebenfalls das Thema Industrial Internet of Things (IIoT) als Trend im Fokus. Es geht um das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten – wie Steuerungen, Geräte oder Sensoren – im industriellen Umfeld sowie in der Fertigung. „Daten und Informationen werden hier im Bereich IT und OT (Operational Technology) ausgetauscht und ausgewertet. Das heißt, dass Sicherheitssteuerungen für eine umfassende Auswertung auch Daten und Informationen sicherer Sensoren benötigen", beschreibt Sezgin Yumuk, Senior Manager im Product Management Pilz für den Bereich Controller, die Anforderungen. Daraus böten sich wesentliche Vorteile, zum Beispiel Verbesserungen der Produktionsprozesse oder eine optimierte Predictive Maintanence.
Für Tsouchnika und Yumuk gibt es im Bereich Steuerungen und industrielle Kommunikation aber noch einen weiteren Trend: „Die Künstliche Intelligenz wird sicherlich in Kundenprojekten mehr Flexibilität als Anforderung nach sich ziehen: Maschinenmodule müssen sich zukünftig in Abhängigkeit verschiedener Produktionsaufträge unterschiedlich miteinander verknüpfen lassen" prognostiziert Yumuk. Bei Siemens geht man in puncto übergreifendes Arbeiten noch einen Schritt weiter: „Wir müssen immer mehr in offenen Ökosystemen denken, denn die Herausforderungen unserer Kunden werden wir künftig nur zusammen mit starken Partnern lösen können", meint Tsouchnika. Das Unternehmen hat dazu seine offene digitale Business-PlattformSiemens Xcelerator geschaffen.
Mehr Zeit für Forschung und Entwicklung, aber auch mehr softwarezentrierter Ansatz
Doch was bedeuten diese Trends für Automatisierungsingenieure in der täglichen Praxis? Für Pierre Bürkle bewirken sie vor allem eines: Entlastung – mit dem Vorteil, dass mehr Zeit für Forschung und Entwicklung bleibt. „Die Möglichkeit, Automatisierungskomponenten herstellerunabhängig miteinander zu verbinden und kommunizieren zu lassen, vereinfacht die Arbeit von Ingenieuren ganz erheblich. Gerade die mühsame Konfiguration von Querkommunikation lässt sich vermeiden" erläutert der Vice President Industrial Automation. Weniger Aufwand sieht auch Sezgin Yumuk: „Die KI gewährleistet die Verknüpfung von Maschinenmodulen, sodass die sichere Logik der Steuerungen nicht umprogrammiert werden muss."
Umstellen müssen sich Automatisierungsingenieure vermutlich dennoch: Denn wenn Betriebs- und Informationstechnologie noch enger zusammenwüchsen, rücke die Arbeit von Automatisierungsingenieuren damit noch weiter in Richtung der IT, Stichwort: softwarezentrierte Automatisierung, meint Bürkle.
Außerdem könnten auf die Ingenieure der Umgang mit neuen Servicestrategien und Geschäftsmodellen zukommen. „Für die Datenauswertung der Sicherheitssteuerungen werden auch wichtige Funktionen wie Industrial Edge und Cloud Computing eine bedeutende Rolle spielen. Dies ermöglicht es, neue Servicestrategien und Geschäftsmodelle zu entwickeln, etwa offene Infrastrukturen oder einen einfacheren und leistungsfähigeren Datenaustausch mit beliebigen Automatisierungs- oder Cloud Systemen, die lokale oder globale Analysen durchführen können", sagt Yumuk.
Der Fantasie sind durch die Offenheit des Systems keine Grenzen gesetzt
Dass den Anwendern zukünftig Denkarbeit erspart bleibt, ist also nicht zu erwarten. Im Gegenteil: „Automatisierungsingenieure sollten sich künftig verstärkt Gedanken machen, wie die Daten sinnvoll zu modellieren sind, welche Automatisierungsaufgaben in einer zunehmend vernetzten Infrastruktur wo am besten eingesetzt werden und wie dazu die Netze ausgelegt werden sollten, zum Beispiel hinsichtlich der benötigen Bandbreite, dem benötigen Quality of Service und – nicht zu vergessen – nach welchen Security-Aspekten", benennt es Tsouchnika. Neben den Netzen ändere sich auch die Automatisierungssoftware an sich und der Weg, wie sie entsteht und betrieben wird. „Durch die Offenheit in unserem Industrial-Edge-Ökosystem sind in Hinblick auf Software-Applikationen der Fantasie praktisch keine Grenzen gesetzt. Das Ökosystem-Angebot reicht von Automatisierung und Datenanalyse über Bildverarbeitung bis hin zu künstlicher Intelligenz, beispielsweise für die Erkennung von Anomalien. Automatisierungsingenieure werden dabei passende Lösungen aus dem Ökosystem-Angebot kombinieren oder durch eigene Erweiterungen ergänzen und das Ergebnis in der Breite mit IT-Mechanismen verteilen und pflegen", schildert Tsouchnika. Bei der Erstellung eigener Applikationen reiche das Spektrum von klassischem PLC-Engineering gemäß IEC61131 über Hochsprachen bis hin zu Low-Code-Anwendungen. Bleibt zu sagen: Langweilig wird es für Automatisierer in diesem Jahr mit Sicherheit nicht.
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