Industriesteckverbinder Meilenstein der Automation: Wenn Pioniergeist verbindet
Die Entwicklung und Fertigung des 1956 patentierten Steckverbinder-Typs Han legte den Grundstein des Erfolges der Harting Technologiegruppe. Was einst mit Alltagshelfern wie Waffel- und Bügeleisen begann, ist heute ein weltweit tätiger Spezialist von Verbindungstechnik für Data, Signal und Power.
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Mit einer Idee im Kopf begab sich der Ingenieur Wilhelm Harting nach Kriegsende auf eine abenteuerliche Flucht in seine westfälische Heimat Minden. Er war zuvor in Berlin als Produktionsleiter in einem Industriebetrieb tätig gewesen, in dem der „Staf“ (= Steckverbinder, außen Flachkontakte) konstruiert und in Schaltkästen vor allem von Flugzeugen verbaut worden war. Seine Idee: Ein spezieller, vielseitig verwendbarer Rechtecksteckverbinder. Am 1. September 1945 gründete Harting die „Wilhelm Harting Mechanische Werkstätten“ in Minden. Später wurde der Vorläufer aller Rechtecksteckverbinder in den USA und Frankreich gefertigt – und ab den späten 1950er Jahren dann auch in Minden.
Die Geschichte von Harting in Bildern:
Mit einem Dutzend Mitarbeitern aus seiner Berliner Zeit konzentrierte sich der Pionier in einer kleinen Halle an der Weser in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst auf die Herstellung von Mangelwaren und häuslicher Gebrauchsgüter: Kochplatten, Tauchsieder, Waffel- und Bügeleisen, Sparlampen und elektrische Feueranzünder fanden schnell reißenden Absatz. Die Produktionsbedingungen waren indes schwierig. Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium genehmigte 1947 nur 100 kWh Strom wöchentlich und 240 Kubikmeter Gas im Monat für die Herstellung konkret genannter technischer Geräte und Teile. Rohmaterial, etwa Kupferlackdraht, musste per Rucksack aus dem Bergischen Land geholt werden. Die fertigen Produkte lieferte dann die Ehefrau von Wilhelm Harting, Marie, mit dem Rad in die umliegenden Dörfer, tauschte sie gegen Brot, Speck oder Hülsenfrüchte.
Musik und Zigaretten beleben das Geschäft
Schnell wuchs der junge Betrieb und präsentierte sich bereits 1947 auf der ersten Hannover Messe mit einem breiten Angebot. Aufträge für Lichtmaschinen, Starter, Regler, Kraftstoffpumpen und Zündverteiler zog Harting als umtriebiger Techniker mit klarem Blick für neue Märkte und die Mitbewerber an Land. Der Betrieb wurde Produktions- und Reparaturstätte für den Fahrzeugpark von Post sowie britischer und amerikanischer Armee. Das aufkommende Wirtschaftswunder und die wachsende Technikbegeisterung eröffneten Harting ein ganz neues Feld. So formulierte er seine unternehmerische Maxime: „Ein Produkt darf nie vom Kunden zurückkommen.“
Dieser Qualitätsmaßstab gilt bis heute. Die Produktpalette wurde – zunächst in Kooperation mit einem US-Partner – um Plattenspieler, Musikboxen, Tonbandgeräte und Phonokoffer erweitert. Vor allem eine Neuheit, ein 12-Platten-Wechsler für unzerbrechliche 17-Zentimeter-Schallplatten, sorgte für Aufsehen bei Kunden und der Konkurrenz. Binnen weniger Jahre wurden rund 200.000 Plattenwechsler verkauft. Bis 1961 ist „Phono“ ein wesentlicher Umsatzträger des rasch expandierenden Familienunternehmens, das auf der Suche nach ausreichenden Gewerbeflächen seinen Sitz von Minden ins nahe Espelkamp verlegte. Die junge Flüchtlingsstadt bot in den verlassenen Hallen und Baracken einer ehemaligen Munitionsfabrik des Heeres genug Platz und ausreichend Fachkräfte für die stetig steigende Nachfrage. Schon 1955, ein Jahrzehnt nach dem Firmenstart, zählt der Betrieb 500 Mitarbeiter und erzielt einen Umsatz von 8,6 Mio. Mark.
Schwerpunkt des Unternehmens, das ab 1962 nach dem frühen Tod des Firmengründers zunächst allein von Marie Harting geleitet wird, ist fortan die Produktion von Zigarettenautomaten und Steckverbindern. Als erstes europäisches Unternehmen baut Harting 1959 elektrische Zigarettenautomaten. Der ZA1 geht in Serie, bald darauf „Semtron“, das erste elektronische Außengerät. Der Boom der „stummen Verkäufer“, der Harting zum Marktführer gemacht hatte, endete mit der Jahrhundertwende.
Die Erfolgsgeschichte des Han Steckverbinders beginnt
Mehr und mehr wurde die Han Produktfamilie zum entscheidenden Wachstumstreiber, nachdem der ursprüngliche Staf bei Harting modifiziert und auf seinen Einsatz in unterschiedlichen Bereichen getestet worden war. Die neuen Steckverbinder-Generationen sollten robust, leicht handhabbar, vielfältig verwendbar und für höhere Ströme und Belastungen ausgelegt sein, um allen Ansprüchen von Industrie und Wirtschaft gerecht zu werden. Deshalb wurden die Zahl der Anschlussstifte erhöht, die Kontakttechnik auf Steckkontakt und Buchse umgestellt, die Anschlusstechniken auf Schraub- und Crimptechniken erweitert. Der erste Han Steckverbinder zeichnete sich durch eine berührungssichere Anordnung der Kontakte im Steckdoseneinsatz aus. Der Schutzkontakt war durch die in Isolierteile eingepressten Metallrahmen mit dem Gehäuse verbunden, hatte gesondert herausgeführte Erdungsklemmen bei vielpoliger Steckerausführung. Der Han, seit 1957 eingetragenes Warenzeichen, wurde zum Standard, zur Norm, zum Inbegriff der Industriestecker – und zur Erfolgsgeschichte des ostwestfälischen Mittelständlers.
Konsequent wurde die Han Reihe in den folgenden Jahrzehnten um viele Varianten, Bauweisen und Funktionalitäten erweitert und differenziert, entsprechend den unterschiedlichsten Anwendungen, Beanspruchungen und Einsatzbereichen. Modulare Produktionskonzepte der Industrie, Individualisierung und Miniaturisierung der Produkte, kürzere Durchlaufzeiten und immer weiter steigende Produktvarianten verlangen robuste Steckverbinder mit maximalen Steckzyklen und ohne signifikante Verschleißprozesse. Bei der Weiterentwicklung der Komponenten orientiert sich der Hersteller von Industriesteckverbindern an den jeweils neuesten technologischen Trends. Mit dem Han Konfigurator können Kunden selbst die Individualisierung der von ihnen gewünschten Produkte vornehmen, um sie auf die eigenen Bedürfnisse auszurichten. Als in den 1990er Jahren die hybriden Schnittstellen aufkamen, machte Harting einen weiteren Schritt und brachte mit Han-Modular ein modulares Steckverbinder-Programm auf den Markt, aus dem sich anwendungsspezifische Schnittstellen konfigurieren lassen. Die Nachfrage der Industrie nach hybriden Schnittstellen entstand durch die zunehmende Modularisierung der industriellen Produktion.
Vom Hardwarehersteller zum softwaregetriebenen Anbieter
Gleichzeitig hat sich Harting vom reinen Hardwarehersteller zum softwaregetriebenen Technologieanbieter von Systemlösungen und Consulting positioniert. Das erlaubt Kunden, Fertigungsprozesse in intelligenten Produktionsstätten – den sogenannten Smart Factories – effizienter zu gestalten. So zeigt beispielsweise auch Harting selbst in einer eigenen Smart Factory Lösungen für Integrated Industry. In der vollständigen vertikalen Inte- gration wird demonstriert, wie sich Geschäftsprozesse zukünftig verändern könnten. „Wir sind zum Lösungsanbieter geworden, der seinen Kunden über die Komponenten, Applikationen und Services hinaus alles komplett aus einer Hand liefert. Diesen Weg wollen wir weiter beschreiten. Jedes unserer Produkte soll Mehrwert für den Kunden schaffen“, beschreibt Philip Harting, Vorstandsvorsitzender der Technologiegruppe.
Der Enkel des Firmengründers übernahm 2015 den Vorstandsvorsitz von seinem Vater Dietmar, der 1967 nach Ende seines Studiums in das Familienunternehmen eingetreten war. Seit 1987 trägt auch seine Frau Margrit Verantwortung. Gemeinsam mit Tochter Maresa Harting-Hertz und drei familienfremden Managern bilden die zweite und dritte Generation den siebenköpfigen Vorstand des Konzerns. Mit 44 Vertriebsgesellschaften und 14 Produktionsstätten ist die Harting Technologiegruppe weltweit vertreten. Der Global Production Footprint wird kontinuierlich gestärkt. Denn die Westfalen haben große Ziele. Bis Anfang des kommenden Jahrzehnts soll der Umsatz die Milliardengrenze erreichen; 2017/2018 wurden 762 Mio. Euro erlöst und damit der höchste Wert in der 73-jährigen Unternehmensgeschichte. Gut zwei Drittel des Gesamtumsatzes werden im Ausland erzielt. Schon 1996 hatte Harting als langfristiges Ziel festgelegt: ,Wir wollen ein Weltunternehmen werden’. Vorrangig ist daneben die Sicherung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Dazu wurde 2018 die Rechtsform in Harting Stiftung & Co. KG geändert.
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Kooperation
Harting und Itelligence zeigen Möglichkeiten zur digitalen Produktion
Globales Netzwerk wird vorangetrieben
Die strategische Entscheidung zur Internationalisierung hatte Dietmar Harting 1979 zusammen mit seiner Mutter getroffen: „Die Kunden wollten direkten Kontakt zu uns haben, und wir mussten wettbewerbsfähig bleiben.“ In Paris wurde die erste Tochtergesellschaft gegründet, im Schweizer Uhrenzentrum Biel 1984 die erste ausländische Fabrikation aufgebaut. Früh engagierte sich der Sohn des Firmengründers in wichtigen nationalen und internationalen Organisationen und Verbänden von Industrie, Technik und Normung. 1998 rückte er für sechs Jahre als erster Mittelständler an die Spitze des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI), wurde 2003 Präsident des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN), 2001 Vizepräsident des BDI und leitete ab 1997 den Ausstellerbeirat der Hannover Messe. Für seinen Einsatz wurde Dietmar Harting vielfach ausgezeichnet und geehrt, unter anderem mit der Ehrendoktorwürde der Leibniz Universität Hannover.
Internationalisierung mit Nachdruck
Die internationale Ausrichtung wird weiter mit Nachdruck vorangetrieben. „Wir müssen nah bei unseren Kunden sein, die Welt mit seinen Augen sehen, seine Wünsche und Bedürfnisse kennen und gemeinsam mit ihm Lösungen entwickeln. Wenn wir vor Ort produzieren, können wir zeitnah liefern“, ist Philip Harting überzeugt. Wichtig sind für Harting die Zukunftsmärkte Automatisierung, Maschinen- und Anlagenbau, Transportation, Robotik, neue Technologien und dynamische sowie wachstumsstarke Regionen, wie z.B. Asien. „Darauf konzentrieren wir uns“, bekräftigt der Vorstandsvorsitzende des Technologiekonzerns, „und Basis des Erfolgs ist unser globales Netzwerk aus Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsgesellschaften sowie konsequente Kundenorientierung.“ Dazu trägt auch das 2014 eröffnete Harting Qualitäts- und Technologiezentrum (HQT) bei, in dem neue Produkte entwickelt und getestet werden.
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Ausbau
Harting eröffnet Produktionsstätte in Polen
Herausforderungen und Chancen durch E-Mobilität
Rund um das Kerngeschäft Steckverbinder hat Harting mit seinen Technologien erfolgreich andere Märkte erschlossen, wie die E-Mobilität und die ressourcenschonende Energieerzeugung. Neben dem erfolgreichen Segment mit Aktuatoren (Dämpfungssysteme und Shifter) im Automobilzuliefererbereich entwickelt und produziert die Tochtergesellschaft Harting Automotive Ladeequipment für Elektro- und Plug-In-Hybridfahrzeuge. Dazu gehören unter anderem Mode-2- und Mode-3-Ladekabel und DC-Schnellladestecker mit Zulassungen und Zertifikaten für alle spezifischen Märkte und gesetzlichen Anforderungen weltweit. Das anfängliche Kleinseriengeschäft ist inzwischen zu einer Massenproduktion geworden, als „1st Tier Supplier“ liefert Harting direkt an diverse Automobilhersteller.
„Wir haben schon früh das steigende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft in Sachen Verkehr erkannt, die sich ergebenden Herausforderungen und Chancen für die E-Mobilität und uns bei F&E als auch in der Produktion darauf fokussiert“, erklärt der Vorstandschef. Auch bei der Gewinnung regenerativer Energie leistet Harting seinen Beitrag zur Nachhaltigkeit, ist seit Langem mit seinem Know-how ein erfahr- ener und zuverlässiger Partner der Windenergieanlagenindustrie. Gefertigt werden Steckverbinder und Applikationen, die für die außerordentlichen Beanspruchungen der Off- und Onshore-Anlagen durch Standort, Umgebung, Klima, Korrosion und anderen Umwelteinflüssen prädestiniert sind. Höchste Zuverlässigkeit, beste Materialien, größte Robustheit der Komponenten, schnelle Montage, günstige Wartungszyklen und einfaches Servicehandlung gewährleisten eine maximale WEA-Werthaltigkeit. „Die ökologische Verantwortung ist grundlegender Bestandteil unseres Handelns“, betont Harting.
Warenverkaufssysteme aus einer Hand
Ein weiteres Standbein hat sich die Technologiegruppe mit den Tochtergesellschaften Harting Systems und Harting Service geschaffen, die sich als Komplettanbieter und Dienstleister rund um die Kassenzone im Lebensmitteleinzelhandel positioniert haben. Von der grafischen Visualisierung der Kassenzone über die technische Abstimmung zwischen den Beteiligten, die Produktion und Installation bis hin zur Wartung und Reparatur der Warenverkaufssysteme und Kassentische sowie schließlich der Schulung des Kassenpersonals leistet und liefert die Technologiegruppe alles aus einer Hand. Als früherer Hersteller von Zigarettenautomaten hat sich Harting auch auf diesem Feld gewandelt, zum Rundum-Anbieter für Warenverkaufssysteme im Lebensmitteleinzelhandel.
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Anschlusstechnik
Vorkonfektionierte E-Kette und Steckverbinder als System
Hermes Award für RFID-Transponder und Mica
Schon zum zweiten Mal konnte das Familienunternehmen Harting die Jury des Hermes Awards, Technologie-Innovations-Preis der Hannover Messe, überzeugen, was bisher noch keinem anderen deutschen Unternehmen gelang. Nach 2006 (die Harting Technologiegruppe erhielt den Preis für einen RFID-Transponder) wurde 2016 die Mica (Modular Industry Computing Architecture) mit dem Hermes Award ausgezeichnet. Mica ist eine offene modulare Plattform aus eingebetteter Hardware und Software als Baustein für Industrie 4.0. Durch den Edge-Computer Mica können vorhandene Maschinen und Anlagen mit Intelligenz ausgestattet werden. Das Unternehmen hat mit dem Mica.network eine Anwender-Community etabliert, in der Konzepte und Lösungen entwickelt werden, die helfen, die Digitalisierung und Vernetzung von Prozessen und Objekten mitzugestalten. Dabei kooperiert die Technologiegruppe aus Espelkamp mit System-Inte- gratoren und IT-Spezialisten. „Partnernetzwerke sind für herausragende Lösungen wichtig und das entscheidende Werkzeug für Integrated Industry“, betont der Vorstandsvorsitzende Philip Harting. So könne man die „Zukunft mit Technologien für Menschen gestalten und Werte schaffen“. Dies stehe im Mittelpunkt des unternehmerischen Denkens und Handelns.
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