Vernetzung Nur offene Vernetzung entfaltet alle Potenziale
Schneider Electric hat schon in den 1990ern einen Grundstein für den digitalen Wandel gelegt und zählt damit zu den Vorreitern im Industrial Internet of Things. Der Automatisierungsspezialist kennt also nicht nur die Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, sondern auch die Chancen.
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Sie kennen den Markt der Automatisierung seit Jahrzehnten. Welche Entwicklungen haben ihn besonders geprägt?
Jürgen Siefert: Eine historisch wichtige Entwicklung war sicherlich der Übergang von mechanischen zu elektronischen Kurvenscheiben. Gerade im Bereich der Verpackungstechnik, wo zyklische, sich wiederholende Prozesse gefragt sind, konnten der Grad der Automatisierung und die Flexibilität im Allgemeinen durch die Umstellung deutlich verbessert werden. Ansonsten sind natürlich das Industrial Internet of Things (IIoT) und die digitale Transformation nach wie vor die bestimmenden Themen. Nicht nur für unsere Kunden, sondern auch für uns als Lösungsanbieter.
Welche Rolle spielte das Thema Vernetzung dabei?
Jürgen Siefert: Eine ganz wichtige. Das gesamte Konzept IIoT basiert ja auf der Idee, alle Ebenen der Supply Chain miteinander zu vernetzen und dann auf Basis der dabei erfassten Daten passende Geschäftsentscheidungen abzuleiten. Erst dadurch wird es Unternehmen überhaupt möglich, die Vorteile des IIoT auch wirklich für sich zu nutzen, also beispielsweise Fertigungsabläufe zu flexibilisieren und individuell aufeinander abzustimmen.
Warum hat das Thema Vernetzung eine so hohe Relevanz für die Ausrichtung der Industrie auf die Zukunft?
Pierre Bürkle: Die hohe Relevanz ergibt sich aus den ganz neuen Möglichkeiten in puncto Datenerfassung. Auch im industriellen Umfeld gilt: Daten sind die Währung der Zukunft, genauer gesagt, gut aufbereitete Daten. Das bloße Sammeln von Daten schafft auf Dauer keinen Mehrwert. Das steht fest. Wichtig sind passende Software- und Analysetools, die aus dem gesammelten Datenpool aussagekräftige Informationen filtern. Mit diesen smarten Daten haben Maschinenbauer dann die Möglichkeit, den Lebenszyklus einer Maschine permanent zu überwachen und sofort passende Maßnahmen einzuleiten. Stichwort: vorausschauende Wartung.
Schneider Electric ist im Automatisierungsmarkt insgesamt sehr breit aufgestellt – Spiegelbild des Themas Vernetzung?
Jürgen Siefert: Unser Anspruch besteht darin, ganzheitliche Lösungen zu bieten, egal ob im Smart-Home-Bereich oder im produzierenden Gewerbe. Das Thema Vernetzung stellt deshalb die Basis für all unsere Mehrwert-Services und Möglichkeiten dar, vom Sensor bis zur passenden Cloud-Anwendung. Daher haben wir auch schon vor über zehn Jahren damit begonnen, mit EcoStruxure eine offene und IoT-fähige Lösungsarchitektur zu entwickeln, die diesen Anspruch auch in letzter Konsequenz widerspiegelt. Auf Basis von EcoStruxure möchten wir unsere Kunden langfristig in die Lage versetzen, ihre eigene, auf die jeweiligen Anforderungen abgestimmte Industrie-4.0-fähige Architektur umzusetzen, mit der sie die Reise in die digitale Welt erfolgreich für sich gestalten können.
Klingt sehr theoretisch. Können Sie in diesem Zusammenhang ein konkretes Praxisbeispiel nennen?
Jürgen Siefert: Gerne. Ein Projekt, das, wie ich finde, sehr gut zeigt, was EcoStruxure in der Praxis bedeutet, ist unsere Zusammenarbeit mit Entrade. Entrade ist ein Maschinenbauer aus dem Energiesektor, der weltweit Container-Kraftwerke auf der Basis von Biomasse vertreibt.
Für seine Container-Kraftwerke haben wir die passenden Automatisierungslösungen geliefert, sowohl hardware- als auch softwareseitig. Damit ist der Kunde jetzt in der Lage, die Effizienz seiner Maschinen zentralisiert und rund um die Uhr zu überwachen und gegebenenfalls zu optimieren. Basis ist hier ein OPC UA-Server, der direkt in die Maschinensteuerung integriert ist und gezielt Daten erfasst. Mittels OPC UA-Schnittstelle werden die Daten dann über ein Gateway zur Auswertung an die cloudbasierte Schneider Electric Digital Service Platform übertragen.
Haben bisherige Geschäftsmodelle langfristig noch Bestand – und welche neuen Geschäftschancen ergeben sich?
Pierre Bürkle: Es ergeben sich definitiv neue Möglichkeiten. Fest steht jetzt schon, dass sich etablierte Geschäftsmodelle im Zuge der Vernetzung nachhaltig verändern werden. Die Individualisierung und Flexibilisierung, die wir jetzt schon im Produkt- und Lösungsbereich beobachten können, werden sich auch in veränderten Geschäftsmodellen widerspiegeln. Sehen Sie sich zum Beispiel den Automatisierungsbereich an. Dort sind die Geschäftsmodelle über Jahrzehnte hinweg statisch geblieben.
Dank IIoT und Cloud-Computing gibt es aber auch in diesem Bereich mittlerweile deutlich flexiblere Alternativen, zum Beispiel Leasingmodelle für Maschinen oder passende SaaS-Modelle für eine verbesserte Zustandskontrolle.
Was plant Schneider Electric selbst als Organisation, um noch stärker von der Vernetzung zu profitieren?
Jürgen Siefert: Wir legen seit Jahren großen Wert auf eine offene und standardisierte Vernetzung. Und das werden wir auch weiterhin tun.
Beispielsweise haben wir als einer der ersten überhaupt bereits vor mehr als 20 Jahren damit begonnen, Ethernet-basierte Lösungen auf den Markt zu bringen. Und wir haben für vieles, was heute Industrie 4.0 ausmacht, die technologische Basis gelegt. Zunächst mit Modbus als offenem Standard und später dann mit Modbus TCP beziehungsweise der technischen Weiterentwicklung Modbus TCP/IP.
Aktuell arbeiten wir mit anderen Lösungsanbietern und Unternehmen intensiv am nächsten Schritt, also daran, OPC UA over TSN als einheitliches Kommunikationsprotokoll zwischen industriellen Steuerungen und der Cloud zu definieren.
Warum sind Ihnen offene Standards so wichtig?
Jürgen Siefert: Man muss sich mal vorstellen: Aktuell kommen im Automatisierungsbereich immer noch viele unterschiedliche Protokolle zum Einsatz, die oftmals nicht miteinander kompatibel sind. In der Praxis heißt das: Hersteller müssen von ihren Produkten gleich mehrere Versionen entwickeln, die verschiedenste Protokolle unterstützen.
Das hemmt einerseits Innovationen und hat gleichzeitig Nachteile für Kunden, weil diese wiederum gezwungen sind, lediglich auf eine Protokollwelt beziehungsweise proprietäre Lösung zurückzugreifen. Auf lange Sicht profitieren also nicht nur wir von offenen Standards, weil wir als Unternehmen in der Lage sind, branchenübergreifende Lösungen anzubieten, sondern auch unsere Kunden.
Können Sie hier ein konkretes Beispiel nennen?
Jürgen Siefert: Ein ganz klassisches Beispiel sind die Webserver in unseren Modicon-Steuerungen, die ohne offene Standards gar nicht funktionieren würden. Ein anderes, sehr aktuelles Beispiel ist unser voll integrierter Scara-Roboter.
Hier hat die Erfahrung gezeigt, dass offene Schnittstellen auf Herstellerseite auf lange Sicht für deutlich höhere Integrationsgrade sorgen.
Der Scara-Roboter lässt sich direkt aus unserem PacDrive-Antriebssystem heraus ansteuern, ist also komplett in die Maschinensteuerung integriert. Sowohl auf Hardware- als auch auf Softwareebene. Die Roboter-Kinematiken sind vollständig in unserer Softwareplattform EcoStruxure Maschine Expert abgebildet. Für Kunden hat das den Vorteil, dass nicht nur die Komplexität reduziert wird, sondern einzelne Roboterfunktionalitäten viel besser koordiniert und angepasst werden können.
Wo sehen Sie persönlich die Benefits für die Industrie, wenn es um Digitalisierung, Smart Factorys und natürlich auch um Energiethemen geht?
Pierre Bürkle: Ich glaube, dass sich insbesondere gewohnte Logistikprozesse in den nächsten Jahren stark verändern werden. Servicetechniker, die direkt von der Maschine aus Ersatzteile bestellen können, sind bald keine Zukunftsmusik, sondern gelebte Realität. Die Bestell- beziehungsweise Logistikabläufe zwischen Endkunden und Maschinenbauern werden somit von Grund auf revolutioniert und flexibilisiert werden.
Welche Technologien werden in puncto Digitalisierung derzeit schon nachgefragt?
Pierre Bürkle: Aktuell sind auf Kundenseite vor allem Lösungen zur vorausschauenden Wartung ein Thema. Diese Nachfrage kommt im Grunde wenig überraschend. Der Faktor Verfügbarkeit ist in Zeiten von immer kürzeren Produktionszyklen und Time-To-Market wichtiger denn je. Maßnahmen zur vorausschauenden Wartung sind deshalb eine willkommene Alternative, um teure Produktionsausfälle schon im Vorfeld zu vermeiden. Das merkt man im direkten Kundenkontakt immer wieder.
Allerdings glaube ich, dass hier das richtige Maß wichtig ist, sprich, bereits im Vorfeld genau abzuwägen, welche Maßnahmen einerseits technisch machbar und andererseits auch wirtschaftlich sinnvoll sind. Hier empfiehlt es sich, klein anzufangen, sich an die Thematik heranzutasten und bei Erfolgen die Prozesse auf weitere Bereiche auszudehnen.
Womit unterstützen Sie Ihre Kunden hier konkret?
Pierre Bürkle: Zum Beispiel mit unserem EcoStruxure Augmented Operator Advisor, einer Virtual Reality Applikation, die wir im vergangenen Jahr auf den Markt gebracht haben. Die App ermöglicht es Anwendern, Prozessdaten und virtuelle Objekte direkt per Tablet auf die Maschine zu projizieren. Servicetechniker haben so jederzeit Zugang zu relevanten Maschinendaten und den dazugehörigen Datenblättern und Bedienungsanleitungen.
Welche Funktionalitäten tatsächlich angezeigt werden sollen, können Anwender selbst festlegen. In der Hinsicht ist die App sehr flexibel. Beispielsweise haben wir einen Kunden aus der Verpackungsbranche, der die App mittlerweile sehr erfolgreich zur Verpackungserkennung einsetzt. Mittels Kamera im Tablet nimmt er dabei einfach das zu verarbeitende Paket auf. Im Anschluss werden die relevanten Produktparameter direkt an die Maschine weitergeleitet und die entsprechenden Verpackungsparameter übernommen.
Die Umrüstzeiten beim Produktwechsel haben sich dadurch deutlich reduziert, was die Produktivität im genannten Verpackungsprozess nachhaltig steigert.
Welche Maßnahmen helfen bei der Entwicklung und Umsetzung von Industrie 4.0?
Jürgen Siefert: Bei der Entwicklung von Industrie 4.0-Konzepten ist es wichtig, zunächst die jeweilige Situation des Kunden im Blick zu haben. Also, wie ist der Kunde aufgestellt? Welche Vertriebswege gibt es? So ergibt sich nach und nach ein klares Bild. Erst wenn wir dieses Bild haben, können wir gemeinsam individuelle Lösungen mit einem ganz konkreten Nutzen entwickeln.
Wir als Lösungsanbieter stehen dann in der Pflicht, dem Kunden ein größtmögliches Spektrum an Möglichkeiten zu bieten. Für welche er sich dann entscheidet, liegt ganz im Ermessen des Kunden. Wir unterstützen ihn anschließend dabei, sein individuelles Konzept so einfach und schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Unter anderem übrigens mit zertifizierten Systemintegratoren, die im Rahmen unseres Maschinen-Integrator-Partnerprogramms wie eigene Schneider-Mitarbeiter geschult werden.
Stichwort Schneider-Mitarbeiter: Welche Rolle spielen denn die eigenen Mitarbeiter in einer digitalisierten, vernetzten Zukunft?
Pierre Bürkle: Natürlich ist die Digitalisierung auch für uns mit einem kontinuierlichen Lernprozess verbunden. Wir versuchen deshalb nicht nur das digitale Know-how unserer Kunden gezielt zu fördern, sondern auch das der eigenen Mitarbeiter. Das steht außer Frage. Zum Beispiel in Form von Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Aktuell investieren wir außerdem stark in Cloud-Lösungen, um innerbetriebliche Prozesse zu optimieren.
Wo sehen Sie Schneider Electric langfristig in Ihrer Branche positioniert?
Jürgen Siefert: Langfristig möchten wir unsere Rolle als Vorreiter in Sachen digitale Transformation natürlich noch weiter ausbauen und gemeinsam mit unseren Kunden wachsen. Deshalb arbeiten wir kontinuierlich an neuen, digitalen Lösungen, um zukünftige Bedürfnisse unserer Kunden – vor allem der Millennium-Generation – zu erfüllen, egal ob im Bereich Logistik, Vertrieb oder Support. Das tun wir beispielsweise, indem wir unsere EcoStruxure-Lösungsarchitektur permanent erweitern.
Momentan investieren wir viel Zeit und Geld in neue Software-Lösungen, weil der Markt diese Lösungen schlicht und einfach fordert, unter anderem im Hinblick auf Cloud und Cybersicherheit. Außerdem glaube ich, dass die Differenzierung im Wettbewerb in Zukunft vor allem über passende Software-Lösungen stattfinden wird. Ansonsten sind wir momentan länderübergreifend, also in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sehr gut aufgestellt.
Vor allem in Deutschland und der Schweiz haben wir im Maschinenbaubereich nach wie vor eine starke Marktpräsenz. Strategisch investieren wir deshalb langfristig in gut ausgebildete Mitarbeiter, damit wir hier unsere Kunden auch weiterhin schnell und umfassend bedienen können.
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