Zentralisiertes Wissen So kann Software dem Fachkräftemangel entgegenwirken

Autor / Redakteur: Tino Bickel und Evelyn Landgraf* / Sariana Kunze

Detailliertes Fachwissen von Mitarbeitern zu komplexen, sicherheitskritischen Prozessen ist für Unternehmen unverzichtbar. Doch was ist, wenn dieses Wissen verloren geht? Es klafft eine Lücke, die nur schwer zu schließen ist. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist es deshalb wichtig, Wissen zu zentralisieren und Prozesse zu digitalisieren.

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Wissen ist Macht – doch wenn sich dieses nur in den Köpfen der Mitarbeiter oder auf Papier befindet, können durch den Fachkräftemangel für Unternehmen schnell große Wissenslücken entstehen.
Wissen ist Macht – doch wenn sich dieses nur in den Köpfen der Mitarbeiter oder auf Papier befindet, können durch den Fachkräftemangel für Unternehmen schnell große Wissenslücken entstehen.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay )

Wissen, das sich in den Köpfen von erfahren Mitarbeitern befindet, hat für Unternehmen einen sehr großen Wert. Jedoch birgt diese dezentrale Wissenslagerung auch Gefahren, denn wenn ein Know-how-Träger krank wird oder gar in Rente geht, klafft eine große Lücke, die sich nur schwer schließen lässt. Die Digitalisierung soll bei diesem Problem Abhilfe schaffen und sogar dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Jedoch sieht die Realität in vielen Betrieben noch ganz anders aus. Bei vielen Prozessen wird vielerorts noch mit Papierchecklisten gearbeitet. Zwar erstellt man Aufträge im ERP-System digital, aber zur Abarbeitung werden diese dennoch ausgedruckt. Beispielsweise erledigen Mitarbeiter vor Ort Abfüllprozesse oftmals nach ihrer Erfahrung in einer von ihnen festgelegten individuellen Reihenfolge. Dazu geben sie wichtige Auftragsdaten wie z. B. die Füllmenge manuell an Vorwahlzählern ein und notieren relevante Prozessinformationen handschriftlich. Diese werden dann erst später in das ERP-System eingepflegt. Auch Checklisten werden in der Praxis weder strukturiert abgearbeitet noch erfolgt die Protokollierung wirklich in Echtzeit.

So entstehen bei der Übertragung relevanter Informationen Medienbrüche oder die Erfassung wird gänzlich vergessen. Dies erschwert die Rückverfolgbarkeit. Denn wenn Arbeitsprozesse über mehrere Schichten laufen, dann sind Irritationen sowie Doppelarbeiten möglich. So könnte beispielsweise die Nachtschicht einen Tank mit Gefahrstoff befüllen. Damit es bei der nächsten Befüllung mit einem anderen Gefahrstoff nicht zu kritischen chemischen Reaktionen kommt, ist ein gründlicher Spülvorgang aller Rohre unerlässlich. Wurde der Spülvorgang der Nachtschicht nicht ausreichend dokumentiert, wird die Frühschicht diese aus Sicherheitsgründen nochmals vornehmen müssen.

Komplexe Arbeitsprozesse mit Software strukturieren

Rösberg, ein Automatisierungsexperte und Entwickler von Softwarelösungen, hat mit dem Plant Assist Manager (PAM) eine Software entwickelt, mit der sich komplexe Arbeitsprozesse strukturiert durchführen, optimieren und dokumentieren lassen. Die Software lässt sich als Stand-Alone-Lösung nutzen und soll einfach ohne großen Aufwand an Arbeitsprozesse anpassbar sein. Sie besteht aus zwei zusammenhängenden Teilen, die einen Auftrag, d. h. einen Arbeitsprozess von der Erstellung über die Durchführung bis zum Abschluss ausführen: Die PAM-Auftragsverwaltung und das Operation System (OS). Die Auftragsverwaltung besteht aus der betriebsrelevanten Stammdatenbank mit weiteren administrativen Funktionen. Definierte Checklisten für betriebliche Arbeitsprozesse werden hier digital hinterlegt. Sie können für den jeweiligen Auftrag zusammen mit Detailinformationen zum Arbeitsprozess, wie der Produktverarbeitung, der Mengen, der Gefahrgutklassen, der Be- sowie Entladestelle und vielem mehr abgerufen werden. Auftragsbezogene Informationen werden via Schnittstelle von jedem beliebigen ERP-System bezogen.

Bei besonders kritischen Workflows ist es möglich, dass Aufträge zuerst im Vier-Augen-Prinzip geprüft und dann erst freigegeben werden können. Nach der Freigabe kann der zu bearbeitende Auftrag am entsprechenden OS-Endgerät angenommen und abgearbeitet werden. Dieses befindet sich in der Anlage vor Ort (im Ex- oder Non-Ex-Bereich) beispielsweise an einer Verladestation als Tablet-PC oder feste Bedienstation.

Prozesse werden in Echtzeit dokumentiert und nach Abarbeitung der Checkliste wird ein PDF-Report erstellt.
Prozesse werden in Echtzeit dokumentiert und nach Abarbeitung der Checkliste wird ein PDF-Report erstellt.
(Bild: Rösberg)

Um den operativen Arbeitsprozess zu starten, authentifiziert sich der Mitarbeiter zuerst mit seinem eigenen RFID-Chip. Um Verwechslungen bei der Auftragsannahme zu vermeiden, besteht die Möglichkeit, eine RFID-Karte einem Auftrag zuzuteilen. So erhält der Mitarbeiter beim Einlesen der RFID-Auftragskarte automatisch seinen zu bearbeitenden Auftrag und wird strukturiert, schrittweise durch die digitale Checkliste geführt. Das entlastet ihn kognitiv, so dass er sich auf die Aufgaben im Arbeitsprozess konzentrieren kann. Jeder abgearbeitete Schritt wird dokumentiert und nach Abarbeitung der Checkliste als PDF-Report zusammengestellt. So soll jederzeit nachvollziehbar sein, wer welche Tätigkeiten durchgeführt hat. Die abschließende elektronische Unterschrift gibt die Möglichkeit, den Report ganz bewusst nochmals zu bescheinigen. Nun werden die Dokumente in der Datenbank sicher nach IT-Security-Richtlinien hinterlegt und alle für die kaufmännischen Prozesse relevanten Informationen zurück an das ERP-System übergeben. Eine statische Auswertung aller Daten ist mit dem Management Dashboard möglich.

Anlagen in Echtzeit visualisieren

Via OPC-Schnittstelle, die eine Verbindung zum vorhandenen Prozessleitsystem (PLS) herstellt, macht PAM eine Anlagenvisualisierung in Echtzeit möglich. Neben einer digitalen Checkliste hat der Mitarbeiter vor Ort auch Einblick in die Echtzeit-Prozessdaten wie beispielsweise Temperaturanzeigen, Zählerstände oder UV-Stellungen. Alle wichtigen Alarme werden ebenfalls in einer selektierten Übersicht angezeigt. So kann schnell auf eventuell auftretende Probleme reagiert werden. Dank der PLS-Kopplung, die herstellerunabhängig möglich ist, lassen sich manuelle Arbeitsschritte automatisieren. Beispielsweise kann statt der händischen Eingabe von Auftragswerten am Vorwahlzähler das System dafür sorgen, dass nun automatisch zum richtigen Zeitpunkt die korrekte Menge eingegeben wird. So können Fehler bei der Befüllung vermieden werden.

Dieses Beispiel soll laut Rösberg deutlich machen, wie mit digitalisierten Prozessen dem Fachkräftemangel begegnet werden kann. Der Anwender wird an seinem Bediengerät strikt durch den Arbeitsprozess geführt, damit soll das Einarbeiten neuer Mitarbeiter in spezielle Fachbereiche deutlich einfacher sein.

Rechtliche Vorgaben mit Plant Assist Manager abbilden

Nicht nur Workflows lassen sich mit dem System gut abbilden, sondern auch rechtliche Vorgaben. Die bereits hinterlegten Gesetze und Fachspezifikationen für den Gefahrguttransport lassen sich zudem flexibel und modular durch Vorgaben aus anderen Fachbereichen ergänzen. Somit kann das System zum Problemlöser in ganz unterschiedlichen Bereichen werden, wo man es mit komplexen Arbeitsprozessen zu tun hat.

Für den Gefahrgutbereich ist unter anderem das Europäische Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) hinterlegt sowie die Kammerberechnung nach der 80/20-Regel: Aus Sicherheitsgründen darf eine Tankkammer nicht mehr als 80 Prozent oder weniger als 20 Prozent gefüllt sein, um durch das Schwappen der Flüssigkeit die Manövriereigenschaften des Transporters nicht negativ zu beeinflussen. War für die dafür notwendigen Berechnungen bislang eine umfassende Kalkulation nötig, berechnet das System diese Werte nun automatisch. Ähnlich verhält es sich mit dem Gefahrgut-Labeling, gemäß entsprechender Gefahrgutklassen und Unterklassen. Durch die in der Auftragsverwaltung hinterlegten Infos kann das Labeling zu jedem Auftrag automatisch generiert werden.

So unterschiedlich wie die hergestellten Produkte sind auch ihre Prozesse. Ein flexibles Anpassen an individuelle Gegebenheiten muss somit einfach realisierbar sein. Rösberg bietet hierfür ein Komplettpaket an: Nach anfänglicher Beratung und Prüfung, wie sich die Einsatzmöglichkeiten gestalten, folgt die Analyse bestehender Gegebenheiten und Arbeitsprozesse. Im Austausch mit verschiedenen an den Prozessen beteiligten Experten wird für jeden Arbeitsprozess eine Checkliste festgelegt. Hier zeigen sich oft Optimierungsmöglichkeiten in Bezug auf Effizienz und Sicherheit. Das Entwickeln angepasster Sicherheitskonzepte ist Teil der Gesamtlösung. Dabei steht nicht nur die funktionale Sicherheit im Mittelpunkt, sondern auch spezielle Automation-Security-Richtlinien. Nach der Implementierung der fertigen Lösungen samt abschließender Schulung stehen die Experten von Rösberg in einer 24/7-Rufbereitschaft über das Projekt hinaus jederzeit zur Verfügung.

Software digitalisiert Abfüllprozesse bei BASF

In der Zwischenproduktion der BASF Ludwigshafen wird der Plant Assist Manager seit sechs Jahren eingesetzt. Umfangreiche Arbeitsprozesse wurden in detaillierten Checklisten abgebildet von der Tankzugabfüllung bis in das letzte Detail der komplexen Arbeiten mit Gefahrgut. Über 90 verschiedene Produkte werden hier verarbeitet. Das System hilft dabei, die mehr als 120 Checklisten zu verwalten. Daniel Kirschner, Prozessleittechnik BASF, erklärt: „In einer Art ‚Guided Process Operation‘ werden Bediener schrittweise durch den Prozess geführt. Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und der Tatsache, dass Fachkräfte immer schwieriger zu finden sind, ist die intuitive, einfache und sichere Bedienung mit dem Plant Assist Manager ein Vorteil. Einarbeitungszeiten für neue Kollegen konnten wir dadurch deutlich verkürzen.“

In diesem Betrieb der BASF Ludwigshafen arbeiten alle Mitarbeiter an festen Vor-Ort-Bedienstationen, damit haben sie die Hände frei und können sich voll auf den Prozess konzentrieren. Den Anwendern war eine Schnittstelle zum PLS wichtig, damit alle relevanten Daten während eines Arbeitsprozesses in Echtzeit dargestellt werden. Mit PAM können die Anlagenbetreiber nun auf Knopfdruck Analysen erstellen und konkrete Prozesse auswerten, indem sie den direkten Zugriff auf alle Daten haben. Kirschner beschreibt abschließend: „Ebenfalls hilfreich ist das elektronische Reporting. Wir müssen uns nicht mehr mit handschriftlicher Dokumentation herumschlagen und haben keine Medienbrüche zwischen Papier- und digitaler Dokumentation mehr.“

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Weitere Informationen

* Tino Bickel, Produkt Manager, PAM Rösberg Engineering, und Evelyn Landgraf, Marketing, Rösberg Engineering

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