Siemens Elektrifizierung der Tiefsee unter extremem Druck
In Trondheim arbeiten Siemens-Forscher an der "Elektrifizierung der Tiefsee": in einem weltweit einmaligen Labor untersuchen sie, wie sich die Komponenten eines Stromnetzes unter extremem Wasserdruck verhalten. Ziel ist ein tiefseefestes Stromnetz, das künftig große Öl- und Gasfabriken mit Energie versorgen soll – am Meeresgrund in 3.000 Meter Tiefe.
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Wie simuliert man die Tiefsee? Ganz klar, mit enorm hohem Druck! So müssen alle Komponenten für eine tiefseefestes Stromnetz im Siemens-Labor in Trondheim einen Härtetest überstehen. „Wir haben hier eine Art Folterkammer für technische Bauteile“, sagt Jan Erik Lystad, Siemens-Forscher in Trondheim, Norwegen. „Dabei setzen wir sie enorm unter Druck. Bis zu 460 Bar muss die Technik aushalten – soviel wie in 4.600 Metern Tiefe herrscht.“ In Lystads weltweit einzigartiger „Folterkammer“ wird allerdings weniger gequält, als Pionierarbeit geleistet. Hier testen zehn Ingenieure die Pumpen, Verdichter und Kompressoren für ein Stromnetz, das künftige Tiefsee-Fabriken mit Energie versorgen soll, in einem speziellen ölgefüllten Behältern teil über Monate hinweg unter Hochdruck. Danach nehmen sie die Bauteile auseinander und suchen nach feinen Rissen oder Verformungen. Erst wenn die geübten Augen der Prüfer keinen Makel feststellen, gilt die Technik als tiefseetauglich – und wird zu einem kompletten Netz zusammengesetzt. „Transformatoren, Frequenzumrichter und Schaltanlagen müssen in dieser Umgebung einwandfrei funktionieren und das über einen Zeitraum von 30 Jahren, weil sie dort unten schlecht gewartet werden können“, betont Lystad. „Denn nur wenn der Strom absolut zuverlässig fließt, kann man heutige Bohrinseln quasi auf den Meeresgrund verlegen.“ Ab 2020 plant der norwegische Energiekonzern Statoil solche autarken Öl- und Gasförderanlagen am Meeresgrund.
Tiefsee-Fabriken sollen sich vom "Strom-Tropf" lösen
Solche autarken Tiefsee-Fabriken mit eigener Stromversorgung gibt es bislang nicht. Zwar arbeiten schon heute einige Anlagen direkt am Meeresboden, die Systeme hängen aber alle am „Tropf“ einer schwimmenden Plattform und müssen über Dutzende Kabel mit Energie versorgt werden. Auch die Verarbeitung der geförderten Rohstoffe geschieht nach wie vor an der Oberfläche. Diese „Subsea-Technologie“ funktioniert nur in seichten Gewässern und ist aufwändig und teuer. Der Großteil der heutigen Öl- und Gasförderung würde sich daher noch auf klassischen Bohrinseln abspielen, sagt Lystad, nur eine Minderheit am Meeresboden. Doch in Zukunft wird sich dieses Verhältnis umkehren, glaubt er. „Der Trend geht zu bislang unerschlossenen Lagerstätten in der Tiefsee und Arktis, die man mit herkömmlicher Technik nur schwer erreichen kann.“
Gerade hier würden autarke Unterwasser-Fabriken Sinn machen. „Die Bedingungen am Meeresgrund sind anders als an der Oberfläche zwar extrem, aber stabil – konstante Temperaturen um die vier Grad Celsius, keine Stürme und keine Eisberge“, erklärt er. „Die Anlagen in der Tiefe sind daher viel weniger anfällig und zudem kostengünstiger.“ Die einzige Verbindung zur Oberfläche wäre ein Stromkabel und eine Pipeline, die je nach Entfernung zur Küste auch direkt an Land führen könnten. Mit einer tiefseetauglichen Stromversorgung ließe sich die Produktionskapazität einer Lagerstätte erhöhen – etwa weil damit mehr Pumpen konstant betrieben werden können als heute. „Mit der neuen Technik könnten wir rund 60 Prozent eines Reservoirs ausbeuten. Mit derzeitigen Subsea-Systemen sind allenfalls 40 Prozent möglich“, sagt Lystad.
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