Mensch-Roboter-Kollaboration Forscher entwickeln Roboter-Tentakel aus künstlichen Muskeln

Redakteur: Katharina Juschkat |

Forscher haben aus einem flexiblen Elastomer künstliche Muskeln hergestellt, die elektrisch stimuliert werden. Daraus lassen sich flexible Roboterarme konstruieren, die ohne weitere Antriebe oder Sensorik auskommen.

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Wie echte Tentakel sollen sich die Roboterarme in alle Richtungen schlängeln und wenden können.
Wie echte Tentakel sollen sich die Roboterarme in alle Richtungen schlängeln und wenden können.
(Bild: ©nataliazakharova - stock.adobe.com)

Aus einem Verbundwerkstoff schaffen Forscher der Universität des Saarlandes neue Roboter, die wendig, leicht und flexibel sind und die Zusammenarbeit mit Menschen voranbringen sollen.

Zwar arbeiten Menschen bereits mit sogenannten Cobots Seite an Seite, kollaborativen Robotern, die keinen Schutzzaun mehr benötigen. Doch das Problem bei der Mensch-Maschine-Interaktion ist der Mensch selbst, der keinem festen Programm, sondern plötzlicher, mitunter unlogischer Eingebung folgt oder schlicht abgelenkt ist. Cobots sind deshalb mit Sensoren ausgestattet, um rechtzeitig zu stoppen - oder sind gepolstert und bewegen sich langsam, um einen Zusammenstoß ohne Verletzungen zu garantieren.

Dieelektrisches Elastomer als flexibles Material

An einer neuen, smarten Art von Roboterarmen arbeitet das Team um Professor Stefan Seelecke und Juniorprofessor Gianluca Rizzello an der Universität des Saarlandes und am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema). Die neue Technologie soll weiche Roboterwerkzeuge ermöglichen, die leichter, wendiger und flexibler sind als die heutigen starren technischen Bauteile.

Der Stoff aus dem diese neuen, weichen Roboterarme gebaut sind, heißt „dielektrisches Elastomer“, eine Unterart der Polymere. Aus diesem Verbundwerkstoff erschaffen die Saarbrücker Forscher künstliche Muskeln und Nerven. Die besonderen Eigenschaften des Werkstoffs machen es möglich, nach dem Vorbild der Natur zu arbeiten: Elastomere lassen sich stauchen und nehmen ihre ursprüngliche Form wieder ein, strecken sich also wieder.

Roboterarm aus künstlichen Muskeln

Die Forscher bedrucken das Elastomer beidseitig mit Elektroden. Bei elektrischer Spannung, ziehen sich die Elektroden an und stauchen das Elastomer, das dabei gleichzeitig seine Fläche ausdehnt. Das Elastomer kann sich also zusammenziehen und strecken wie ein Muskel. Diese Eigenschaften nutzen die Wissenschaftler als Aktor. Indem sie das elektrische Feld ändern, lassen die Ingenieure das Elastomer hochfrequent vibrieren, stufenlos kraftvolle Hub-Bewegungen vollführen oder auch in jeder gewünschten Stellung verharren.

Aus vielen dieser kleinen Muskeln setzen die Forscher nun flexible Roboterarme zusammen. In einem Roboter-Tentakel aneinandergereiht, bewirkt ihr Zusammenspiel, dass dieser sich wie der Fangarm eines Kraken in alle Richtungen biegen und schlängeln kann: Anders als bei den schweren und starren Robotergelenken heute üblicher Roboter, sind der Freiheit dieses Tentakels keine Grenzen gesetzt. Ein Tentakel-Prototyp soll in etwa einem Jahr vorliegen.

Juniorprofessor Gianluca Rizzello mit „dielektrischen Elastomeren“. Aus diesem Verbundwerkstoff erschaffen die Saarbrücker Forscher künstliche Muskeln und Nerven von flexiblen Roboterarmen.
Juniorprofessor Gianluca Rizzello mit „dielektrischen Elastomeren“. Aus diesem Verbundwerkstoff erschaffen die Saarbrücker Forscher künstliche Muskeln und Nerven von flexiblen Roboterarmen.
(Bild: Oliver Dietze / Universität des Saarlandes)

Der Roboter-Tentakel wird intelligent

Gianluca Rizzello ist Spezialist, wenn es darum geht, dem Kunststoff Intelligenz einzuhauchen. Er gibt dem Roboter-Gehirn, also der Steuerungseinheit, den nötigen Input, damit sie den Arm intelligent bewegen kann. „Diese Systeme sind komplexer als die heutiger Roboterarme. Polymerbasierte Komponenten mit künstlicher Intelligenz zu steuern, ist weit schwieriger als bei herkömmlichen mechatronischen Systemen“, erklärt Rizzello.

Die Elastomer-Muskeln fungieren dabei zugleich als Nerven des Systems: Sie haben selbst Sensor-Eigenschaften. Daher kommt dieser Roboterarm ohne weitere Sensorik aus. „Jede Verformung des Elastomers, jede Änderung seiner Geometrie, bewirkt eine Änderung der elektrischen Kapazität und lässt sich präzisen Messwerten zuordnen. Messen wir die elektrische Kapazität, wissen wir, wie das Elastomer gerade verformt ist und können hieraus sensorische Daten ablesen“, erläutert der Ingenieur.

Mit diesen Werten lassen sich die Bewegungsabläufe präzise modellieren und programmieren: Hierfür intelligente Algorithmen zu entwickeln, um den neuartigen Roboter-Tentakeln ihr gewünschtes Verhalten anzutrainieren, steht im Mittelpunkt von Rizzellos Forschung. „Wir arbeiten daran zu verstehen, welche physikalischen Eigenschaften dem Verhalten der Polymere zugrunde liegen. Je mehr wir darüber wissen, umso passgenauere Algorithmen können wir zu ihrer Steuerung entwerfen“, sagt der Juniorprofessor.

Roboterarme ohne Motor, Hydraulik oder Druckluft

Die Technologie soll skalierbar sein: Sie kann in feinen Tentakeln etwa für medizinische Instrumente zum Einsatz kommen, aber auch bei großen Industrierobotern. Anders als die heutigen Roboterarme, die schon mit ihrem beachtlichen Gewicht gegen die Schwerkraft ankämpfen müssen, werden diese Roboterarme leicht sein.

„Sie kommen ohne Motoren, Hydraulik oder Druckluft aus und funktionieren nur mit elektrischem Strom. Die Bauform der Elastomer-Muskeln kann dem jeweiligen Bedarf angepasst werden. Auch brauchen sie nur wenig Energie. Je nach Kapazität sind dies nur Ströme im Mikroampere-Bereich. Das macht diese Robotertechnologie, für die wir derzeit die Grundlagen erforschen, energieeffizient und kostengünstig“, erklärt Stefan Seelecke.

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