Windkrafttechnik Großgetriebeprüfstand mit verteilter Automatisierung am gleichen Bus
Steuerungs-, Sicherungs- und Sicherheitsaufgaben löst der weltweit führende Hersteller von Getrieben für Windturbinen erstmals über eine durchgängige Profinet-Architektur. Pilotprojekt war ein jüngst eingeweihter Prüfstand für Großgetriebe mit der weltweit einzigartigen Prüfleistung von 14 MW. Die Automatisierungstechnik ist durchgängig angelegt, um Schnittstellen zu reduzieren und so vom Engineering über den Prüfbetrieb bis zur Diagnose sämtliche Abläufe zu vereinfachen. In Windturbinen übersetzen Großgetriebe die niedrige Drehzahl der Rotorwelle über mehrere Stufen in die hohe Drehzahl der Antriebswelle. Diese wiederum treibt über eine Kupplung den Läufer des Generators an. Bei Laufzeiten von mehr als 20 Jahren ist Top-Qualität gefragt und sie nachgewießen werden. Das geht nicht ohne Prüfstand, nicht ohne automatisierten Prüfablauf. Gefragt ist dabei Durchgängigkeit. Eine Aufgabe, für die Winergy auf Profinet setzt. Der weltgrößte Anbieter von Antrieben für Windkraftanlagen in Voerde/Friedrichsfeld rüstete deshalb jüngst einen seiner Prüfstände mit Simatic-S7-Controllern von Siemens aus. Erstmals sind die Controller ausschließlich über Profinet I/0 miteinander gekoppelt. „So lösen wir die drei Aufgaben Steuern, Daten sichern und Sicherheit unter minimalen Verkabelungsaufwand über ein und denselben Bus,“ sagt der für die elektrische Ausrüstung bei Winergy verantwortliche Projektleiter Günter Hellerhof.
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Der grundsätzliche Aufbau der Prüfstände von Winergy ist für alle Leistungsklassen nahezu identisch. Die zu testenden Getriebe werden im „Back-to-Back“-Verfahren eingespannt, um bei jedem Prüflauf jeweils zwei (hier mechanisch über Hilfsgetriebe) verspannte, gegeneinander arbeitende Getriebe gleichzeitig zu prüfen. Das allein setzt bereits die doppelte Nennleistung entsprechender Einzelprüfstände voraus. Für jeden Getriebetyp wird ein spezifischer Prüfablauf festgelegt, in dem die Last stufenweise bis zum Teil weit über die eigentliche Nennlast hinaus erhöht wird. Prototypengetriebe prüft der Hersteller sogar bei der doppelten Nennleistung. Mit einer Prüfleistung von 14 MW und Getriebegrößen von derzeit rund 5 MW hat sich der Hersteller reichliche Reserven für künftigen Entwicklungen geschaffen. Sinn und Zweck der Prüfung ist es, die Tragbilder der Verzahnungen zu kontrollieren und deren Entwicklung über den Belastungsbereich zu protokollieren. Parallel dazu laufen diverse Schwingungs-, Geräusch- und Temperaturmessungen, deren Ergebnisse ebenfalls aufgezeichnet, archiviert und ausgewertet werden können.
Schnelles Regelverhalten dank Software
Zu den Kernaufgaben der Buskommunikation zählt die Koordination der Steuerungen mehrerer externer Gewerke mit der zentralen Kopfsteuerung des Prüfstands, einer Simatic S7 300 mit fehlersicherer CPU 315F 2PN/DP. Angebunden sind zwei separate Schmiermittelanlagen zur Aufbereitung (Kühlung/Filterung) des Hydrauliköls, das diese bereitstellende Tanklager sowie das Herzstück des Prüfstands, das Hydrauliksystem mit mehreren Druckspeichern.
„Die schnellen Regelungsaufgaben, eine Kombination aus Drehmomentenregelung mit zwei untergeordneten Lagereglern zur synchronen Positionierung zweier Hydraulikzylinder,“ so Hellerhoff, „ließen sich sehr einfach und elegant mit den Softwarereglern der schnellen CPU 317 2 DP aus dem S7-Spektrum umsetzen.“ Damit kann man beliebige Drehmomente, Sollwertsprünge (um plötzliche Windböen zu simulieren) oder Sollwertkurven fahren.
Alle externen Steuerungen sind über Kommunikationsprozessoren Simatic CP343 1 Lean an Profinet gekoppelt. Auf diesem schnellen Weg lassen sich die externen Anlagenteile wahlweise lokal vor Ort oder zentral vom Prüfstand bzw. von der Warte aus bedienen und beobachten. Unabhängig davon ermöglicht der durchgängige Bus sehr komfortable Diagnosen über das Gesamtsystem hinweg, bei Bedarf auch aus der Ferne, über Intranet oder Internet. Zweite wesentliche Bestimmung der Automatisierung ist das Erfassen, Zwischenspeichern und Visualisieren sowohl der Betriebsdaten des Gesamtsystems (insbesondere Drücke und Temperaturen), als auch der Messwerte, darunter Drehzahlen, Drehmomente und Leistungen in den verschiedenen Laststufen und separat für jeden der beiden Prüflinge. Dazu sind vor Ort am Prüfstand und in einer abgesetzten Warte je ein Simatic Panel PC 677 installiert.
Auf beiden Industrierechnern läuft das Visualisierungssystem Simatic WinCC flexible, das über die Option Sm@rtAccess eine einfache Möglichkeit bietet, um sämtliche Gewerke des Prüfstands von der Warte aus zu bedienen und zu beobachten. Dies ist beim Prüfen auf Überlastbeständigkeit aus Sicherheitsgründen zwingend vorgeschrieben. Zur endgültigen Archivierung werden die erfassten Daten wiederum über Profinet an externe Datenbanksysteme übertragen.
Safety integriert, flexibel und durchgängig
Dritte über den neuen industriellen Kommunikationsstandard gelöste Aufgabe ist die Anlagensicherheit, erstmals nicht konventionell, sondern ebenfalls SPS-basiert realisiert. So steuert/überwacht die fehlersichere Simatic S7 300F neben dem normalen Ablauf auch die sicherheitsrelevanten Einrichtungen des Prüfstands – darunter mehrere Not-Aus-Kreise und das situationsbedingte, definierte Abschalten (Ausbremsen bzw. Austrudeln) beim Überschreiten zulässiger Schwingungsgrenzwerte, die über Sensoren an neun Stellen überwacht werden. Zur Erfassung der sicherheitsgerichteten wie der „normalen“ Signale dienen dezentrale Peripheriebaugruppen Simatic ET200S, die mit der zentralen F CPU über das Profisafe-Profil kommunizieren. Das ist sehr viel flexibler als herkömmliche Sicherheitstechnik, die selbst bei kleineren Veränderungen – ein zusätzlicher Not-Halt-Taster hier, eine weitere Schutztür oder Lichtschranke da – oft immensen Verdrahtungsaufwand nach sich zieht. Mit in die Simatic-Welt integrierter Sicherheit („Safety Integrated“) ist dies so schnell und einfach realisierbar wie eine Änderung im Ablaufprogramm, mit der einzigen Ausnahme, dass das geänderte Programm die Abnahme erneut durchlaufen muss. Hinzu kommt, dass auch das Engineering für beide Teile unter der gemeinsamen Plattform des Simatic Managers und Step7 erfolgt. Dazu ist lediglich die Software-Bibliothek Distributed Safety einzubinden, und der Anwender kann bereits vorgefertigte, TÜV-zertifizierte Funktionsbausteine für Sicherheitsfunktionen nutzen. Das Look & Feel ist dann identisch, was die Einarbeitung wesentlich vereinfacht und verkürzt. Produkte und Protokolle sind geprüft und zertifiziert für den Einsatz bis SIL3 (IEC 61508) bzw. Kat. 4 (EN 954 1).
Security ist einfach konfigurierbar
Für Sicherheit (Security) vor unautorisierten Zugriffen oder gar mutwilliger Manipulation von außen sorgt ein für den industriellen Einsatz konzipiertes Security Module Scalance S602 von Siemens. Die „Stateful Inspection Firewall“ aus dem Simatic-Net-Programm ist einfach konfigurierbar (u.a. über symbolische Bezeichner) und übernimmt dank integriertem DHCP-Server (Dynamic Host Configuration Protocol) die automatische Adressenvergabe sowie die Adressenumsetzung (NAT/NATP). NAT (Network Address Translation) ermöglicht die Verwendung privater IP-Adressen im internen Netz, indem öffentliche auf private IP-Adressen umgesetzt werden. NAPT (Network Address and Port Translation) ermöglicht die Verwendung privater IP-Adressen im internen Netz, indem Telegramme je nach verwendetem Kommunikationsport auf private IP-Adressen umgesetzt werden. Damit sind alle Voraussetzungen für den komfortablen und sicheren Zugriff auf den Prüfstand zu Service- und Diagnosezwecken von außen gegeben. (klu)
Seit über 25 Jahren hart am Wind: Winergy
Die Winergy AG, eine Tochtergesellschaft der A. Friedr. Flender AG (Bocholt) gilt als der einzige Anbieter kompletter Antriebssysteme für Windkraftanlagen weltweit. Das Unternehmen hat sich als anerkannter Markt- und Qualitätsführer etabliert. Am Hauptsitz in Voerde/Friedrichsfeld sind derzeit rund 300 Mitarbeiter beschäftigt. Das Produktportfolio umfasst aktuell vier Getriebetypen, die in verschiedenen Größen ein Leistungsspektrum von 600 kW bis über 5 MW abdecken. Rund um den Globus sind über 35000 Winergy-Getriebe im Einsatz, was einem Marktanteil von annähernd 45% entspricht.

Günter Hellerhof, Projektleiter, Winergy:
Günter Hellerhof, Projektleiter, Winergy:
„Für den Einsatz von Automatisierungskomponenten aus dem Haus Siemens haben wir uns schon lang vor der Übernahme der Flender AG durch den Weltmarktführer entschieden. Unsere Hauptargumente sind neben der Funktionalität, die Verfügbarkeit und die Bandbreite der Produktpalette sowie Mengenvorteile bei der Beschaffung. Und auch der Support ist vorbildlich. Wir haben, wo immer es nötig war, schnell umfassende Unterstützung von Siemens erhalten. Wobei es für die Durchgängigkeit der Simatic-Technik spricht, dass wir diese für uns erste Applikation mit Profinet und Safety Integrated in der gebotenen Zeit überwiegend in eigener Regie realisieren konnten.“
Dipl.-Ing. Eckhard Zimmermann, Fachberater Siemens AG A&D, Essen
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