Industrielle Kommunikation Single-Pair-Ethernet: Warum bei Datenleitungen weniger mehr sein kann
Für viele Anwendungsfelder in der vernetzten Fabrik sind nicht immer große Datenübertragungsraten gefragt, eher geringer Platzbedarf und günstige Kosten. Ein Grund, weshalb Single-Pair-Ethernet-Leitungen im Kommen sind.
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Wir sind bereits mittendrin in der vierten industriellen Revolution, kurz Industrie 4.0. Sie ist unter anderem gekennzeichnet von der Digitalisierung unzähliger Produktions- und Geschäftsprozesse. Und davon, dass immer mehr Maschinen, Anlagen und Geräte miteinander vernetzt werden und weitgehend automatisiert kommunizieren. Die physische Welt verschmilzt mit der digitalen. Das Ziel: die sich selbst organisierende Fabrik. Ihr wichtigster Rohstoff: Daten.
Der Vernetzungsboom lässt die Bedeutung von Industrial Ethernet rasant steigen. Und erfordert neue Lösungen. Denn unzählige Sensoren in der vernetzten Fabrik senden nur kleine Datenmengen – Druck- und Temperaturwerte etwa oder ähnliches. Eine schnelle Ethernet-Leitung, konzipiert für einen Datendurchsatz bis zu 10 Gigabit pro Sekunde ist für solche Anwendungen klar überdimensioniert.
Zahl der Verbindungen wächst explosionsartig
Hinzu kommt: Wenn jedes „Ding“ mit jedem anderen kommuniziert, wächst die Zahl der Verbindungen geradezu explosionsartig, und die Anforderungen an ihre Qualität und Verfügbarkeit steigen. Nicht jedoch der Bedarf an hohen Datenübertragungsraten. Während eine schnelle Ethernet-Leitung für die Anbindung von Hochgeschwindigkeitskameras zur Qualitätskontrolle sinnvoll sein kann, reicht für die Übertragung von Sensorsignalen meist deutlich weniger Bandbreite.
Damit ist die Anforderung klar. Sie heißt „Downsizing bei Ethernet-Datenleitungen“ – ein Trend, der einher geht mit dem Aufbau der vernetzten Fabrik und sich nach Einschätzung von Branchenkennern in den kommenden Jahren etablieren wird. Die so genannten Single-Pair-Ethernet (SPE)-Leitungen haben nur ein Aderpaar statt der sonst üblichen vier. Damit lassen sich bis zu einem Gigabit/s übertragen. Das ist schnell genug für viele Anwendungen im IoT-Umfeld.
Nicht zu vergessen: Logischerweise sind Single-Pair-Datenleitungen wesentlich dünner als herkömmliche Ethernet-Kabel, sie punkten also mit geringerem Platzbedarf. Gerade in Maschinen, in denen es eng zugeht und die mit vielen Sensoren bestückt werden sollen, kann dies eine deutliche Erleichterung für den Techniker sein. Ganz abgesehen davon, dass sie natürlich weniger kosten als Kabel mit mehreren Aderpaaren und sie lassen sich auch schneller anschließen.
SPE-Leitungen: Reichweite bis zu 1 km
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass solche abgespeckten Leitungen auch länger sein können. Für Verbindungen mit Ethernet-Leitungen gilt eine Längenbeschränkung auf 100 m. Bei größeren Distanzen nehmen die Störungen zu und es kann zu Datenfehlern kommen. Durch neue Entwicklungen bei Halbleiter Chips aus der Automobilindustrie lassen sich inzwischen viele dieser Störungen korrigieren und damit höhere Reichweiten von bis zu 1 km erreichen.
Industrial Ethernet wächst derzeit mit 22 % pro Jahr, Feldbus-Systeme legen nur noch mit 6 % zu. 2018 übertraf die Zahl der installierten Industrial Ethernet Systeme in Fabriken erstmals die von Feldbussen. Neue Konzepte wie Single Pair Ethernet profitieren davon.
Die Automobilindustrie setzt bereits ähnliche Leitungen in Fahrzeugen ein. Auch Lapp hat bereits SPE-Leitungen im Programm und kündigt in Kürze auch noch einen entsprechenden Stecker an.
Hybridkabel verstärkt gefragt
Ein anderer Trend steht nur scheinbar im Widerspruch zum Downsizing: die zunehmende Nachfrage nach Hybridkabeln. Hier geht es nicht um Kabel mit möglichst wenig Adern, sondern im Gegenteil darum, möglichst viele Leitungen in einen Mantel zu packen. Solche Hybridleitungen, bekannt auch als Ein-Kabel-Lösungen, vereinen unterschiedliche Funktionen in einem Mantel. In der Regel sind dies Anschlussleitungen für Servoantriebe plus Feedbackleitungen zur Abfrage der Sensoren.
Im Vergleich zu mehreren separaten Leitungen mit jeweils separaten Steckern sparen Ein-Kabel-Lösungen viel Platz – insofern kann man auch bei ihnen von Downsizing sprechen. Lapp bietet Hybridleitungen zum Beispiel für das Hiperface DSL Motor-Feedback-System von Sick oder für Acurolink von Hengstler.
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Interview mit Lapp
So werden Energie und Daten in Zukunft transportiert
Lapp-Produkte auf die Anwendung zugeschnitten
Für die Vernetzung mittels Industrial Ethernet bietet das Stuttgarter Unternehmen generell ein umfangreiches Portfolio – von den Kabeln über Stecker bis hin zu einbaufertig konfektionierten Leitungen aus dem Ölflex Connect Programm. Zu den Highlights gehört beispielsweise die Etherline PN Cat.6A FC mit 10 Gbit/s bei 500 MHz Bandbreite. Dank Innenmantel und Trennkreuz ist sie fast-connect-fähig, lässt sich also schnell und sicher konfektionieren. Die Leitung ist überdies zertifiziert für den nordamerikanischen Markt.
Dazu passt unter anderem das Epic MH Gigabit Datenmodul, Bestandteil des modularen Rechteckstecker-Systems Epic MH. Oder die robusten Etherline Access Switches zur Datenverteilung im rauen Industrieeinsatz.
„Unsere Produkte sind herstellerneutral und immer auf die Anwendung zugeschnitten“, betont Guido Ege, Leiter Produktmanagement und -entwicklung bei Lapp: „Die Produktlinie Ölflex Connect zum Beispiel – mit Fertigkonfektionen von Servoleitungen bis zu vollbestückten Schleppkettensystemen – ist entstanden, weil Kunden sich zunehmend auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren wollen. Von unseren Experten bekommen sie Beratung, Produkte und Service aus einer Hand, was ihrem Bedarf entgegenkommt.“
Drahtlos oder kabelgebunden
Die Frage stellt sich immer wieder: Wenn Ethernet-Leitungen immer dünner werden – könnte man sie nicht irgendwann komplett ersetzen, zum Beispiel durch Funktechnologien? Immerhin wächst der Markt für Drahtlostechnologien in der Fabrikvernetzung derzeit mit 32 % pro Jahr, wenn auch noch auf niedrigem Niveau – ihr Marktanteil liegt aktuell bei gerade mal 6 %.
Die Antwort von Guido Ege: „Es kommt auf die Anwendung an. WLAN, Bluetooth oder Mobilfunk haben dort Vorteile, wo es auf Flexibilität ankommt – beim Anschluss von Sensoren in großen Anlagen etwa in der Chemieindustrie oder natürlich bei mobilen Anwendungen.“ Allerdings seien leitungsgebundene Techniken den Funklösungen in vielen Fällen auch auf lange Sicht überlegen. Zum Beispiel, wenn der Anforderungs-Schwerpunkt auf Reichweite, robuster Datenverbindung und/oder Energieeffizienz liegt. Nicht zu vergessen die Verzögerung der Informationsübertragung (Latenz), die für manches Anwendungs-Szenario schlicht inakzeptabel ist.
Im Übrigen sind Kabel weniger anfällig für mutwillige Störungen oder Angriffe von Hackern. Das wird sich auch mit neuen Standards wie 5G nicht ändern. Guido Ege ist sicher: „Wireless hat seine Berechtigung, ist aber keine Bedrohung für leitungsgebundene Systeme, sondern eine Ergänzung bei speziellen Anforderungen.“
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Kabel & Stecker
Quo vadis Ethernet?
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