Neues Sensorkonzept Start-up lässt Roboter ohne Sensoren fühlen
Das Start-up Rovi Robot Vision macht derzeit mit einer neuen Technologie von sich reden: Das Sensorkonzept soll komplexe hardwarebasierte Sensorsysteme ersetzen und so Robotern das Fühlen per Sehen ermöglichen – und zwar kostengünstig.
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Roboterstaubsauger, die für die taktile Kartierung permanent absichtlich gegen Hindernisse stoßen, hatten ihn inspiriert: Für seine Doktorarbeit entwickelte Dr. Ing. Nicolas Alt einen taktilen Sensor für mobile Roboterplattformen – aus einem einfachen Schaumstoffbalken, der von einer bereits vorhandenen Kamera am Roboter beobachtet wird und gleichzeitig als weicher Stoßfänger dient. Im Team mit Dr. Clemens Schuwerk und Stefan Lochbrunner reifte die Idee zu einer Technologie. Dem Trio ist es offenbar weltweit erstmals gelungen, traditionelle und teure elektronische Sensoren durch eine neue Software und gängige Kameras zu ersetzen.
Mit ihrem Start-up Rovi Robot Vision wollen die drei Forscher der TU München nun die Hardware für Roboter jeglicher Art deutlich vereinfachen. Drei Sensorkonzepte sind bereits patentiert oder zum Patent angemeldet.
Mit bisherigen Lösungen der industriellen Bildverarbeitung erkennen Roboter nur den Raum um sich herum oder Gegenstände, die sie greifen oder bearbeiten sollen. Mit der industriellen Bildverarbeitung von Rovi nehmen Roboter nun auch ihre Körperteile selber wahr. Das Grundprinzip: Die Sensorsoftware ersetzt komplexe hardwarebasierte Sensorsysteme und ermöglicht Robotern quasi das Fühlen durch Sehen.
Die technische Innovation umfasst die robuste Messung von Gelenkstellungen, Positionen, Greifkräften, Kontaktprofilen und anderen taktilen beziehungsweise haptischen Kontaktinformationen.
Neues Sensorkonzept ähnelt menschlicher Wahrnehmung
Wie das neuartige Sensorkonzept funktioniert, erklärt Rovi mit einer Analogie: Mit geschlossenen Augen kann ein Mensch seinen Arm nur ungenau positionieren, da unsere Wahrnehmung der Position unserer Gliedmaßen und deren Gelenkstellungen wenig präzise ist. Klassische Industrieroboter arbeiten in der Regel zwar „blind“, nutzen im Gegensatz zum Menschen jedoch eine hochgenaue Sensorik in Verbindung mit einer steifen Konstruktion, um trotzdem eine hochgenaue Positionierung des Endeffektors zu erreichen. Der Mensch dagegen nutzt zusätzlich seine visuelle Wahrnehmung, um eine präzise Manipulation von Objekten zu ermöglichen.
Auf ähnliche Weise werden mit der softwarebasierten Sensorik von Rovi sowie mit gängigen Kameras Gelenkstellungen eines Roboterarms sowie Positionen und Greifkräfte erfasst. Das ermöglicht eine präzise und autonome Interaktion des Roboters mit Objekten.
Zur Vermessung von Positionen und Bewegungen werden am Roboter aufgedruckte visuelle Muster verwendet. Die Rovi-Software berechnet damit mittels intelligenter Bildanalyse die Position des Roboters im Raum sowie dessen Bewegungen und Gelenkstellungen. Kräfte und Momente werden ebenfalls mittels einfacher, passiver Elemente wie beispielsweise Schaumstoff oder Federn gemessen.
Die Kontaktkräfte des Greifers oder des Roboters führen zu charakteristischen Verformungen dieser Elemente. Die Rovi-Software misst diese Verformungen mit Bildanalysealgorithmen und berechnet daraus die Kontaktkräfte. Die dabei für Industrie 4.0 anfallenden Daten der Roboter und ihrer Einsätze werden von Rovi vor Ort oder in der Cloud verarbeitet und ausgewertet.
Software-Konzept für mobile Roboterplattformen
Die Sensorsoftware ist anwendbar auf komplette Robotersysteme, Roboterarme, Greifer oder mobile Roboterplattformen und ermöglicht die intelligente Steuerung dieser Systeme. Damit Roboter sicher und autonom mit ihrer Umgebung interagieren können, sind zum Beispiel an Roboterarmen oft über 20 einzelne elektronische Sensormodule verbaut. Dies führt zu hohen Hardware-, Integrations- und Wartungskosten, die durch Rovi deutlich reduziert werden könnten, heißt es bei dem Start-up.
Zudem sind viele Robotersysteme etwa in der Industrie aufwendig abgestimmte Spezialisten und daher recht unflexibel im Einsatz. Das zeigte sich auch beim Prototyping. Für das intelligente Greifsystem mit integriertem Stereo-Kamerasystem und kamerabasierter Sensorik wurde der Zweibacken-Greifer MPLM1630HAN von Gimatic eingesetzt.
Zum einen passt dieser gut zu den Anwendungen der aktuellen Baugröße zur Kommissionierung von Kleinteilen. „Vor allem aber konnten wir keinen alternativen Greifer am Markt finden, der uns eine direkte Ansteuerung des Motors erlaubt“, sagt Dr. Clemens Schuwerk, Control Engineering, Marketing and Sales bei Rovi. „Diese Schnittstelle ist wichtig, damit die Sensordaten aus der Software dazu verwendet werden können, den Greifprozess intelligent zu steuern und zu überwachen. Es gibt nur eine sehr begrenzte Verfügbarkeit von offener und/oder modularer Hardware für die Robotik, was den Aufbau eines Demosystems erschwert hat. Genau aus diesem Grund haben wir uns für den Greifer von Gimatic entschieden, denn die offene Schnittstelle zum Motor gibt es sonst nicht am Markt.“
Wirtschaftlicher Einsatz bei kleinen Stückzahlen
Das Konzept von Rovi soll Robotern durch die reichhaltigen Sensordaten eine neue Vielseitigkeit und den wirtschaftlichen Einsatz bei kleinen Stückzahlen oder kurzzeitigen Einsätzen ermöglichen. So lassen sich Objekte unterschiedlicher Formen und Materialien mit einem einzigen Greifer mit sich selbst anpassenden Fingern handhaben. Die passiven Elemente können mit 3D-Druckern für einmalige Einsätze von Robotern, etwa in der Medizin oder im Umgang mit Lebensmitteln, kostengünstig und rasch hergestellt werden.
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Hackathon
Das war der erste Hackathon auf der SPS IPC Drives
„Mit unserer Technologie zielen wir nicht auf traditionelle Anwendungen der Automatisierungstechnik ab, wo sehr geringe Zykluszeiten für fest definierte bzw. vorprogrammierte Aufgaben benötigt werden. Unsere Sensorsoftware ermöglicht neuartige Roboterarme und -greifer, die sensitiv und autonom agieren, dabei aber technisch stark vereinfacht und deshalb sehr kostengünstig herstellbar sind“, erklärt Dr. Schuwerk die Vision. Damit zielt das Start-up Rovi auf Roboter-Applikationen ab, die sich bislang nicht rechneten, weil ein großer Preisdruck herrscht. [pf]
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