DC-Netz Gleichstrom – der Trend für zukünftige Fabriken

Von Ines Stotz

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Ein Gleichstrom-Forschungsprojekt erschafft das Energiesystem der Zukunft – ein gleichstrombasiertes Smart Grid für die Industrie. Damit wird die Energieversorgung zu einem bedeutsamen Element in der Automatisierung.

Der Einsatz von Gleichstrom hat viel Effizienzpotenzial in Produktion und Montage.
Der Einsatz von Gleichstrom hat viel Effizienzpotenzial in Produktion und Montage.
(Bild: Universität Stuttgart / Rainer Bez)

Deutschland ist laut des SAIDI-Index das Land mit den wenigsten Versorgungsunterbrechungen des öffentlichen Stromnetzes weltweit. Allerdings: Die Stromausfälle kürzer als drei Minuten, die die Statistik nicht erfasst, haben in vielen Regionen deutlich zugenommen. Sie sind zwar oft nur wenige Millisekunden lang, dennoch stören sie den Betriebsablauf produzierender Unternehmen und können elektronische Komponenten zerstören. – mit immensen Folgen. Stoppt etwa ein Roboter mitten beim Schweißen, kann das Teil Schrott sein – und im schlimmsten Fall der Roboter gleich dazu. Deshalb arbeiten immer mehr Firmen an Strategien, um die Energieversorgung auf eigene Beine zu stellen.

Gleichstromnetze haben viel Potenzial

Neben der Netzstabilität spielen aber auch die Energieeffizienz und Energieflexibilität eine entscheidende Rolle. Denn der kontinuierliche Fokus auf höhere Energieeffizienz und Nachhaltigkeit ist und bleibt eine wichtige Triebfeder für Innovationen im Maschinenbau und der Elektrotechnik. Resultierend aus den drei Aspekten, wird der Installation von intelligenten, offenen Gleichstromnetzen ein hohes Potenzial zugeschrieben, Betriebskosten zu reduzieren und regenerative Energiequellen zu nutzen. Gleichstromnetze sollen also in Zukunft die industrielle Produktion mit Strom versorgen, so energieeffizient und flexibel wie nie zuvor.

Gleichstrom ist jedoch noch nicht so gut erforscht wie Wechselstromtechnik, die wir ganz selbstverständlich für die Versorgung unserer Fabriken mit Strom verwenden – bis heute. „Nach einer mehr als hundertjährigen Dominanz der Wechselstromtechnik bei der Energieübertragung muss sich die Industrie nun den neuen Randbedingungen einer dezentralen, auf erneuerbaren Energien beruhenden Energieversorgung anpassen“, erklärt Prof. Alexander Sauer, Leiter des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart und des entsprechenden Forschungsbereichs am Fraunhofer IPA.

Projekt DC Industrie – geht in die zweite Runde

Deshalb startete Anfang Oktober 2019 das vom Bundeswirtschaftsministerium mit etwa 13 Mio. Euro geförderte Forschungsprojekt „DC Industrie 2“, in dem die Potenziale der Gleichstromtechnik für industrielle Produktionsanlagen untersucht werden. „Damit gehen wir nun den zweiten Schritt auf dem Weg zur Revolutionierung der Energieversorgung in der Fabrik“, so Prof. Sauer.

Mit 35 Industriepartnern, fünf Forschungsinstituten sowie dem ZVEI ist das eines der größten Verbundforschungsprojekte in Deutschland. Das DC-Netz-Konzept wird bis Ende 2022 zu einem intelligenten DC-Versorgungssystem ausgeweitet, das geeignet ist, eine Produktionshalle oder prozesstechnische Großanlage günstig mit Energie zu versorgen.

Im Rahmen des Vorgängerprojektes „DC Industrie“ war von 2016 bis 2019 ein umfangreiches Systemkonzept erarbeitet und an Modellanlagen erprobt worden. Im Durchschnitt bis zu 10 % Einsparpotenziale wurden bereits nachgewiesen. Es soll nun im Nachfolgeprojekt für größere Anlagen bis hin zu Fabrikhallen erweitert werden, mit dem Ziel einer sicheren, robusten, hochverfügbaren und netzdienlichen dezentralen Versorgung. Damit sollen auch die Kosten für den Strom deutlich reduziert werden.

Fokus von DC Industrie 2 ist also die Gleichstromversorgung einer gesamten Produktionshalle, nachdem in DC Industrie bereits die Gleichstromversorgung einer Produktionszelle erforscht wurde. Insgesamt sind sechs Modellanlagen und Transferzentren bei verschiedenen Partnern geplant.

Standardisierung ist ein Muss
Gleichstrom

Der Trend geht weg von reinen Wechselstrom- hin zur mehr Gleichstrom-Versorgung. Hersteller in der Industrie sind überzeugt davon, dass sich in den nächsten Jahren ein deutlicher Wandel bei der Energieübertragung und -nutzung zeigen wird. Enorme Effizienzgewinne in der Produktion sprechen für einen Umstieg. Wir baten Jörg Kreiling, Abteilungsleiter Power Distribution bei Rittal, um eine Einschätzung aus der Sicht des Schaltanlagenbaus.

Jörg Kreiling, Abteilungsleiter Power Distribution bei Rittal: „Wichtig ist jetzt zuerst die Festlegung einer einheitlichen Spannung bei DC-Systemen – also eine Standardisierung.“
Jörg Kreiling, Abteilungsleiter Power Distribution bei Rittal: „Wichtig ist jetzt zuerst die Festlegung einer einheitlichen Spannung bei DC-Systemen – also eine Standardisierung.“
(Bild: Rittal)

Herr Kreiling, wird sich der Trend hin zur Gleichstromversorgung in der Produktion durchsetzen?

Ein aktueller Trend in der Gleichstromfertigung sind große Gleichstromzwischenkreise für Inverter – also die elektrische Versorgung von Antrieben. Dort werden etwa Sammelschienensysteme zur Gleichstromverteilung verwendet. Weiter werden immer mehr regenerative Energien wie Photovoltaik oder auch Energiespeicher in den Fertigungen integriert. So werden dort auch heute schon im Testbetrieb Gleichstrom-Kühlgeräte von Rittal eingesetzt. Mein Fazit ist: DC wird in Teilbereichen ein Thema werden. Denn die Vorteile liegen auf der Hand.

Welche Vorteile sind das konkret?

Einer der großen Vorteile ist, dass durch weniger AC/DC- und DC/AC-Wandlungsverluste weniger Effizienzverluste entstehen. Ein weiterer sehr großer Vorteil ist die leichte Integration von Photovoltaik und Photovoltaik in Kombination mit Batterie-Energiespeichersystemen (BESS), die als Backup und/oder als Peak Shaving zum Einsatz kommen. Damit einher geht die teilweise Unabhängigkeit von der Netzeinspeisung. Gerade beim Peak Shaving – also dem Versorgen der Lastspitzen aus Speichersystemen – können bei großen Leistungen enorme Einsparungen generiert werden. Weitere Punkte sind Netzstabilisierung und Notstrom.

Welche Hindernisse gibt es noch auf dem Weg zu DC?

Bei AC sind 690/400/230V/50Hz-Systeme im IEC-Umfeld standardisiert. Bei DC hat diese Standardisierung noch nicht stattgefunden. Photovoltaik-Anlagen arbeiten mit bis zu 1500 V DC, wobei man sich bei Industrie-DC für Inverter in Richtung 800 V DC bewegt. Zum Beispiel laufen Kühlgeräte von Rittal aktuell mit 600 V. Eine zentrale Anforderung ist, dass Stromverteilungssysteme nach IEC 61439 bauartgeprüft sein müssen. Bei DC-Systemen kommen insgesamt andere Testkriterien zum Einsatz als bei herkömmlichen AC-Systemen.

Welche Schritte müssen zuerst erfolgen?

Wichtig ist zuerst die Festlegung einer einheitlichen Spannung bei DC-Systemen – also eine Standardisierung. Bei Überstromschutzsysteme muss sich auch noch einiges tun, da die Schaltlichtbogenlöschung im Kurzschlussfall bei DC anspruchsvoller ist als bei AC. Das Schalten von DC-Strömen oder Lasten ist wesentlich anspruchsvoller. Hier fehlen zum Teil noch Produkte. Derzeit kommen oft hybride Systeme – eine Mischung aus einer Elektronik und einem Relaiskontakt – zum Einsatz. Eine Standardisierung bei der Infrastruktur in Fertigungen zum Beispiel bei Backup oder Peak Shaving, bei Batterie-Energiespeichersystemen, bei der Integration von Photovoltaik würde einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung bedeuten.

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