Hohe Schutzart machen Stringer-Bohranlage kompakter

Autor / Redakteur: Karl-Heinz Gauglitz / Ines Stotz

Bei einer neuen Bohranlage für Stringer, das sind die Längsversteifungsstreben im Flugzeugbau, setzt man auf dezentrale Motorstarter. Die Maschine lässt sich somit sichtlich kompakter gestalten durch dezentralen Anlagenaufbau mit Energieverteilung und Datenbus.

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Wer viel nietet, der muss auch viel bohren. Flugzeugbauer wie Airbus wissen das. Besonders, wenn Stringer – das sind abgewinkelte Halbzeuge aus Aluminium zum Versteifen der Flugzeugstruktur – an den Innenseiten der Rumpfhalbschalen anzubringen sind, wird kräftig genietet. Wenn im Jahr 2008 das Großraumflugzeug A 380 an den Start geht, muss man entsprechend viele Bohrungen setzen. Für die zu erwartende Steigerung der Produktionsleistung hat die Peters Technologies GmbH eine neue Stringer-Bohranlage beim Vareler Werk von Airbus bestellt.

Und weil zu Bohranlagen auch immer Schaltschränke gehören, sah eine erste Planung vor, diese in gewisser Entfernung zur Maschine zu platzieren. Doch im Verlauf der Konstruktion wählte der Elektrotechnikausrüster RESA Systems, Saarwellingen, alternativ zu den gängigen Ausführungen dezentrale Motorstarter. Die Folge: ein kleinerer Schaltschrank, der sich direkt neben der Maschine aufstellen lässt. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass die kürzeren 400-V-Motorzuleitungen die Anlage in Bezug auf elektromagnetische Verträglichkeit weniger belasten. RESA-Projektleiter Udo Kipp erinnert sich: „Durch die hohe Schutzart IP 65/67 der dezentralen Peripherie Simatic ET 200pro von Siemens und der Möglichkeit, Motorstarter zu integrieren, konnten wir die Stationen sogar direkt auf der Maschine aufbauen.“

Starter mit direkter Bremsansteuerung

So verkleinerte sich der Schaltschrank erheblich, er ließ sich 2 bis 3 m entfernt zur Maschine aufstellen. Dank des modularen Aufbaus der dezentralen Peripherie kann man vollkommen frei die entsprechenden Trägerplatten bestücken. An eine Kopfbaugruppe (Interface-Modul) lassen sich bis zu acht Motorstarter auf eine Gesamtlänge von 1 m anreihen. In Kombination mit Ein-/Ausgangsmodulen, Pneumatikinseln und Anschaltungen für Moby-RFID-Identifizierung entstehen Subsysteme, die sogar sichere Signale verarbeiten können. Um die einzelnen Stationen fehlerfrei planen und dokumentieren zu können, gibt es einen Konfigurator.

Zwei solcher Stationen kommen in der Stringer-Bohranlage für den individuellen Betrieb der Drehstrom-Asynchronmotoren zum Einsatz: zwei Motoren für die Entgrateinheiten, zwei Sägeeinheiten, zwei Motoren für die Höhenverstellung der Auflageständer sowie fünf Bohrspindelantriebe. Die Motorstarter ET 200pro lassen sich bis zu einer Motorleistung von 5,5 kW einsetzen. Dabei decken zwei Starterbaugrößen den gesamten Bereich ab, nämlich bis 2 und bis 12 A. „Das vereinfacht die Auswahl und die Handhabung dieser Niederspannungs-Schaltgeräte enorm, und der Endkunde kann dadurch die Lagerkosten aufgrund der geringen Varianz niedrig halten“, kommentiert RESA-Mann Udo Kipp.

Warnt schon, bevor der Ausfall kommt

Dezentrale Peripherie hat den Vorteil, dass sowohl die Bestückung als auch die Kommunikation äußerst flexibel ausführbar ist, und für nahezu jeden Bedarf optimal anpassbar. Während für Spindeln und Sägen Direktstarter vorhanden sind, sorgen bei Entgratbürsten und Hubauflagen Wendestarter für Bewegung. Die beim Reversierbetrieb notwendige mechanische Bremse ist dabei direkt über den Starter ansteuerbar. Die Motorstarter mit einem geschalteten Ausgang für 400 V Drehstrom aktivieren die mechanische Bremse. Die Bremsansteuerung lässt sich zusätzlich mit einer Zeitfunktion für das Starten und die Haltezeit der Bremse beim Stoppen parametrieren.

Zukunftssicherheit der verwendeten Niederspannungs-Schaltgeräte, das war ein wichtiges Kriterium für das Airbus-Werk Varel, warum die Wahl auf die ET 200pro fiel. Zum Hintergrund: Diese Motorstarter in hoher Schutzart bauen auf den bekannten Ecofast-Lösungen von Siemens auf. Ecofast, das steht für Energy and Communication Field Installation System, ein dezentrales Anlagenaufbausystem mit Energieversorgung und Datenbus über ein Kabel. Diese Geräte haben beispielsweise die gleiche Bitbelegung zum Ansteuern und für die Diagnose, was der einfachen Kommunikation oder Programmierung und Parametrierung zugute kommt. „Im Grunde genommen sind die Motorstarter der ET 200pro schnell parametriert“, erklärt David Geib, Programmierer bei RESA. Denn eigentlich muss man nur den Nennstrom des angeschlossenen Motors einstellen, um eine Überlast zu verhindern. Ansonsten wäre der Motor bald zerstört. „Denn im Gegensatz zu früher, als Motoren schon mal aufgrund einer unpassenden oder vergessenen Voreinstellung überlastet werden konnten, sind diese Motorstarter standardmäßig auf den Minimalwert eingestellt“, ergänzt Udo Kipp.

Im Motorstarter selbst sind wichtige Funktionalitäten integriert: so das Erfassen der prozentualen Motorerwärmung. Und die funktioniert wie folgt: Anhand des Stromflusses in Verbindung mit einem hinterlegten thermischen Motormodell findet eine Auswertung statt, die die Motortemperatur errechnet. Voraussetzung des optimalen Schutzes ist, dass keine außergewöhnlichen Umgebungsbedingungen vorherrschen, z.B. schlechtere Motorkühlung durch Verschmutzung. Die High-Feature-Geräte erfassen auch Netzunsymmetrien und warnen bei Überschreiten des eingestellten Wertes. Weitere Eigenschaften dieser Motorstarter sind in kritischen Produktionsanlagen und der Prozessindustrie gefragt. So kann z.B. per Schlüsselschalter der Antrieb selbst nach ausgelöster Überlast über die Funktion „Not-Start“ weiterlaufen. Denn es gibt Anwendungsfälle, in denen das Ersetzen eines zerstörten Motors erheblich günstiger kommt als das Beheben von Prozessschäden oder Ausfällen in Produktionsanlagen. Zudem bieten die High-Feature-Starter die Möglichkeit, beim Überschreiten eines eingestellten Prozentwertes der Motorerwärmung (Vorwarngrenzwert Motorerwärmung) und/oder einer Zeit vor dem Auslösen des Motorschutzes (Vorwarngrenzwert zeitliche Auslösereserve) noch zu warnen. Damit ist es erstmalig möglich, vor Ausfall einer Anlage eine Warnmeldung zu erhalten. Interessant auch: die Funktion des Logbuchs, wie sie die Motorstarter bieten. Mit bis zu 60 Einträgen lässt sich die Historie auslesen, und bei Störungen kann man so die Ursachen nachhaltig erforschen.

Systemdurchgängigkeit erleichtert Parametrieren

Eine CNC-Steuerung Sinumerik 840 D Powerline von Siemens steuert die gesamte Stringer-Bohranlage. Sie hat eine S7-Umgebung integriert, sodass das Parametrieren der gesamten Hardware über STEP7 machbar ist. „Die Parametrierung erfolgt sehr einfach über den Menüpunkt ‚Hardwarekonfiguration‘ im Simatic-Manager von STEP7“, erklärt David Geib. Die stetige Entwicklung der Systemdurchgängigkeit, wie sie Siemens mit Totally Integrated Automation (TIA) betreibt, vereinfacht das Parametrieren erheblich, wie Udo Kipp vom Elektrotechnikausrüster Resa bestätigt: „Während wir die eingesetzte Hardware noch über GSD-Dateien, den Gerätestammdaten, in die Steuerung eingespielt haben, können inzwischen durch ein Hardware-Update über einen Internetzugang neue Gerätetypen schnell in die Hardware Config von STEP7 integriert werden. Damit ist die Integration neuer Geräte und Versionen erheblich vereinfacht worden! Das nenne ich verwirklichte Totally Integrated Automation – freie Wahl der Kommunikation.“

Der Betreiber der Anlage kann unterschiedliche Wege zum Ansteuern, Parametrieren und Diagnostizieren der dezentralen Peripherie beschreiten. Die Steuerung kommuniziert per Profibus-DP mit der jeweiligen Station. Zur Online-Diagnose und -Parametrierung kann er mit einem Programmiergerät von einem beliebigen Punkt im Profibus-Netz durch die DPV1-Funktionalität (azyklische Dienste) auf die Motorstarter im laufenden Betrieb zugreifen, und zwar bereits mit der Standardstationsanschaltung IM 154. Wer vor Ort parametrieren oder diagnostizieren möchte, kann dies über IR-Schnittstelle an den Motorstartern tun. Dafür gibt es ein zusätzliches Adapterkabel, das die IR-Signale auf eine COM1-Schnittstelle umsetzt. Der dritte Weg führt über ein Remote-Access-fähiges Netzwerk von einem zentralen Leitsystem über die Steuerung bis in den Motorstarter. Damit sind z.B. von einem zentralen Leitsystem oder Wartungsterminal alle Daten und Zustände eines Motorstarters einsehbar. Dies ermöglicht bei Störmeldungen eine zentrale Diagnose und zielgerichteten Einsatz der Instandhaltungsmitarbeiter. Alternativ kann die ET 200pro durch Einsatz des entsprechenden Interface-Moduls bereits auch mit dem zukunftsweisenden Profinet eingesetzt werden.

Fazit: Mit der neuen Stringer-Bohranlage von Airbus in Varel, die in Buxtehude bei der Claudius Peters Technologies GmbH produziert, hat die dezentrale Peripherie Simatic ET 200pro ihren Praxisnutzen ein weiteres Mal unter Beweis gestellt: Im Zusammenspiel mit hoher Schutzart und den vielseitigen Möglichkeiten zum Antreiben, Steuern und Diagnostizieren ist sie flexibel einsetzbar.

Motorstarter: High-Feature-vs-Standard

Das das Bessere der Feind des Guten ist, das gilt einmal mehr für Motorstarter. So haben die High-Feature-Versionen gegenüber den Standardausführungen erweiterte Steuerungs- und Diagnosedaten sowie vier zusätzliche Eingänge. Damit lassen sich z.B. Schnellstoppfunktionen, wie man sie in der Logistik beim genauen Stoppen, Sortieren oder Ausschleusen benötigt, realisieren. Die Steuerungslogik ist dabei direkt im Motorstarter hinterlegt und schaltet den Motor direkt ab, ohne zusätzliche Bus- und Steuerungszykluszeiten. Dass Siemens intensiv dezentrale Lösungen entwickelt, zeigt sich an den Besonderheiten der Kopfstation mit einer integrierten CPU 315-2 PN/DP (IM154-8 CPU). Damit ist es möglich, autark arbeitende Subsysteme aufzubauen, die die übergeordnete Steuerung entlasten. Seit Kurzem wurden die Möglichkeiten der ET-200pro-Stationen mit elektronischen Startern für hohe Einschalthäufigkeiten oder Sanftstartfunktionen bis 5,5 kW sowie Frequenzumrichter bis 1,5 kW mit integrierter Vektorregelung und Safety-Funktionen erweitert. Ein weiteres Plus: Die Frequenzumrichter sind netzrückspeisefähig, sodass sich der Anwender keine Gedanken über eventuell notwendige Bremschopper und Bremswiderstände machen muss, die im generatorischen Betrieb Energie vernichten würden.

Karl-Heinz Gauglitz, Promotor dezentrale Systemtechnik, Siemens AG, Mannheim.

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