Automatisierung „Wir werden unsere Plattform auf ein neues Level heben“
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Nachhaltigkeit und Energieeffizienz vorantreiben und dem Fachkräftemangel begegnen, sind die zukünftigen Aufgaben des Maschinenbaus. Cobots sind dabei ein Teil des Puzzles. Welche Technologien außerdem nötig sind, weiß Pierre Bürkle von Schneider Electrics Risikofond SE Ventures.

Vor welchen Herausforderungen steht die Industrie in den kommenden Jahren?
Pierre Bürkle: Es gilt natürlich, Technologien auszubauen. Aber wir stehen auch vor wirtschaftlichen Herausforderungen, die der Ukraine-Krieg noch einmal verstärkt hat. Insbesondere meine ich hier die gestiegenen Energiepreise. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie sich Wirtschaftlichkeit, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit miteinander verbinden lassen. Dabei müssen sich Unternehmen fragen, wie sich die gesamte Produktion nachhaltig gestalten lässt? Das betrifft sowohl Scope 1, 2, als auch 3, und zwar für alle Zulieferer. Ich bin überzeugt davon, dass auch wir als Zulieferer in Zukunft eine transparente, nachhaltige Lieferkette nachweisen müssen. Das erwartet der Endkunde. Um Nachhaltigkeit und Transparenz in Zukunft miteinander zu kombinieren, benötigen wir jedoch digitale Lösungen, auf Excel-Basis wird das nicht funktionieren. Diese Mammut-Aufgabe wird uns alle die nächsten zehn Jahre beschäftigen.
Von welchen Herausforderungen ist vor allem der Maschinenbau betroffen?
Im Maschinenbau ist der Fachkräftemangel eine der größten Herausforderungen. Die Zahl der Maschinenbau -Absolventen geht deutlich zurück. In der Elektrotechnik wächst sie zwar leicht, allerdings steigt der Bedarf an Fachkräften in diesem Bereich auch extrem. Das erfordert ein Umdenken bei Konstruktion und Bedienkonzepten von Maschinen. Mit dem Ziel, in Zukunft sowohl für den Entwicklungsprozess als auch die Bedienung von Maschinen weniger Fachkräfte einsetzen zu müssen. Maschinen müssen zum einen autarker werden, zum anderen müssen Entscheidungen so vorbereitet werden, dass sie auch ohne Fachkenntnisse getroffen werden können.
Lässt sich dem Fachkräftemangel mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz begegnen?
Künstliche Intelligenz wird eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Fachkräftemangel einnehmen. Mit Chat-GPT hatten viele Menschen das erste Mal direkt mit künstlicher Intelligenz zu tun. Davon werden wir in Zukunft mehr und mehr sehen – eine Riesenchance für uns. Ein Beispiel ist die Steuerungstechnik. Eine Steuerung zu programmieren ist komplex, lässt sich aber in Zukunft sicherlich mit künstlicher Intelligenz (KI) unterstützen und vereinfachen. Gleichzeitig benötigen wir aber auch Leitplanken, um potentielle Gefahren einzugrenzen.
Der Einsatz künstlicher Intelligenz ist für uns ein Brennpunktthema.
Beschäftigt sich Schneider Electric mit dem Einsatz von Chat-GPT?
Konkret mit Chat-GPT beschäftigen wir uns nicht, aber der Einsatz künstlicher Intelligenz ist für uns ein Brennpunktthema. So haben wir einen eigenen Bereich dafür aufgebaut, um das Thema auf unterschiedlichen Ebenen sowohl bei uns intern als auch in Kundenfunktionen einzubringen. Darüber hinaus haben wir ein Venture Capital mit einem Volumen von einer Milliarde Euro bereitgestellt. SE Ventures ist unser global tätiger Risikokapitalfond mit Sitz in den USA. Es handelt sich dabei um eine der weltweit größten auf Nachhaltigkeitstechnologien spezialisierten Fondsgesellschaften. Auf diese Weise möchten wir jungen Unternehmen die Gelegenheit geben, mit unserer Unterstützung zu skalieren.
Eine weitere Maßnahme, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist der Einsatz von Cobots. Schneider Electric hat zur Hannover Messe 2023 einen Cobot vorgestellt – welchen Mehrwert bietet er Anwendern?
Für Cobots sehen wir ein Riesenpotential im Maschinenbau, aber auch für Produktionsprozesse ganz allgemein, angefangen bei der Elektroproduktion über die Automobilproduktion hin bis zu Bäckereien und Apotheken. Im Gegensatz zu herkömmlichen Industrierobotern können Cobots nämlich in direkter Nachbarschaft mit ihren menschlichen Kollegen tätig sein. Dadurch ist es möglich, mit ihnen bisher nicht-automatisierbare Abläufen zu automatisieren. Und das ist in Zeiten des Fachkräftemangels eine große Hilfe. Mit unserem Cobot ist es uns darüber hinaus gelungen – über intuitive Teaching-Funktionen – das Programmieren stark zu vereinfachen. So lässt sich der Cobot sehr einfach steuern, das kann auch jemand ohne spezielles Fachwissen erledigen.
Können Sie ein Beispiel für den gelungenen Einsatz eines Cobots geben?
Der Einsatz beim Vertical Farming ist ein schönes Beispiel. In Zusammenarbeit mit dem Start-up V-Greens haben wir den Cobot für die Erdbeerernte in einer vollautomatsierten Vertical Farm eingesetzt und dadurch den Pflückprozess optimiert. Automatisiert ist das ganze System mit unserem Ecostruxure Automation Expert. In diesem läuft auch die KI zur Bewertung der Erdbeeren. In Kombination mit einer Kamera wird der Cobot in die Lage versetzt, reife Beeren zu erkennen und zu pflücken. Auf diese Weise kann der körperlich anstrengende Prozess automatisiert und die Personalkosten gesenkt werden.
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Kollaborative Roboter
Mit Cobots intelligent Prozesse automatisieren
Mit welchen weiteren Entwicklungen will Schneider Electric die Automatisierung voranbringen?
Für uns ist ganz klar die herstellerunabhängige und softwarezentrierte Automatisierung nach IEC61499 ein wichtiges Thema. Von uns und der herstellerunabhängige Nutzerorganisation Universal Automation.org vorangetrieben, gewinnt sie zunehmend an Dynamik. Implementiert werden immer mehr Anwendungen in Zusammenarbeit sowohl mit unseren Partnern als auch mit unseren Kunden. Genutzt wird dabei in der Regel unser Engineering-Tool Ecostruxure Automation Expert. Zu den erfolgreichen Projekten gehören die Zusammenarbeit mit Wilo oder GEA. In beiden Fällen ist es uns gelungen, Konzepte zu entwickeln, die skalierbar sind und auch für den Mittelstand eine gute Lösung bieten. Hier sind es die Offenheit als auch die Herstellerunabhängigkeit, von denen Anwender profitieren. Ihnen steht damit eine Software-Plattform zur Verfügung, die – losgelöst von den Produkten einzelner Hersteller – unendlich viele Möglichkeiten bietet. Das ist ein großer Vorteil gerade in einer Krise, wie wir in den letzten ein, zwei Jahren gemerkt haben.
Darüber hinaus bietet unsere Softwaretochter Aveva eine steuerungsunabhängige und cloudbasierte Softwareplattform, auf der Unternehmen kooperieren und Daten austauschen können. Kern ist eine Digital-Twin-Applikation, der das Konzept des industriellen Metaversums zugrunde liegt. Hier sehen wir ein großes Potential. Mit dem Daten-Update steht jetzt eine Plattform zur Verfügung, an die alle Services in Zukunft angedockt werden können – sowohl unsere eigenen als auch externe.
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Technologieplattform
IIoT verwirklichen geht nur offen, wirklich offen
Dann ist die Bedeutung der Datendurchgängigkeit im Maschinenbau angekommen?
Wir haben dieses Thema – Daten und Plattformen – in der Vergangenheit vor allem im Maschinenbau vorangetrieben. Der Maschinenbau hat die große Herausforderung, dafür das Vertrauen des Endkunden gewinnen zu müssen. Bei der Akquisition von Aveva und mit der Plattform für die Vernetzung verschiedener IT-Systeme sind wir jedoch auf eine große Offenheit beim Endkunden gestoßen. Der Endkunde scheint eine genaue Vorstellung von offenen Plattformen im Maschinenbau entwickelt zu haben. Das hat in den letzten ein, zwei Jahren deutlich an Dynamik gewonnen.
Welche Vorteile bietet solche Plattformen und Softwarelösungen im Hinblick auf Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in der Industrie, zwei Ziele, die für Schneider Electric höchste Priorität haben?
Es gelingt uns damit sogar, den Wirkungsgrad eingespielter Prozesse zu erhöhen, ohne den Prozess komplett neu aufzusetzen. Dafür gibt es eine schöne Anwendung bei Henkel. Hier haben wir mithilfe des Prozessleitsystems Plant IT von Proleit, ebenfalls eine Tochter von Schneider Electric, und Aveva Advanced Process Control den Prozess der Sprühtrocknung bei der Waschmittelherstellung optimiert. Dazu gleicht die Aveva-Software reale Prozess-Parameter mit dem hinterlegtem, idealen Parametern ab und passt sie gegebenenfalls an. Auf diese Weise konnte der Energieverbrauch um fünf Prozent gesenkt werden. Das bedeutet gerade bei so energieintensiven Prozessen deutlich geringere Betriebskosten.
Ist das Industrial Metaverse für Schneider Electric ein Thema?
Ja, damit beschäftigen wir uns intensiv. In erster Linie geht es darum, die Maschine, die Prozesse sowie alle Schaltschrankkomponenten als virtuellen Zwilling zu digitalisieren, unsere Basis bildet für das Industrial Metaverse. Natürlich ist das aber aktuell noch ein schwieriger Begriff. Ein Beispiel lässt aber ahnen, in welche Richtung es geht: Wenn etwa ein Feuerwehrmann in Zukunft weiß, noch bevor er ein Gebäude betritt, wie es drinnen aussieht, dann macht das Sinn.
Mit den digitalen Zwillingen der Maschinen, die jetzt entstehen, werden wir in Zukunft auch eine Plattform haben, die es möglich macht, durch die Produktion zu laufen. Dadurch lässt sich diese Produktion auch schon vor der Inbetriebnahme optimieren und testen.
Auf welche Produktentwicklungen legt Schneider Electric den Fokus in den kommenden Monaten?
Wir werden uns zur SPS (Smart Product Solutions) 2023 vor allem auf Robotics konzentrieren. Es wird einen neuen Scara geben, der unsere Plattform erweitert. Schon vor einiger Zeit haben wir darüber hinaus das Transportsystem Lexium MC 12 Multi Carrier vorgestellt. Der Multi Carrier verändert die Konstruktion von Maschinen, weil damit lineare Bewegungsprofile möglich werden. Hier integrieren wir verschiedene neue Technologien, darunter smarte Carrier, die mit Intelligenz und eigener Energieversorgung ausgestattet sein werden.
Und natürlich werden wir für den Automation Expert neue Partner vorstellen, neue Anwendungsbeispiele zeigen und neue Antriebe integrieren. Außerdem werden wir unsere Automatisierungsplattform erweitern. In den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir unsere gesamte Plattform noch einmal auf ein neues Level heben.
Wie sieht die Vision von Schneider Electric für die Zukunft der Automatisierung aus und welche Rolle wird Schneider Electric dabei spielen?
Ich möchte nicht von Goldgräberstimmung sprechen, aber die Automatisierung erlebt gerade eine sehr schöne Phase. Nehmen wir das Thema Energie. Energie wird in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Wir werden mehr und mehr den Prosumer-Ansatz sehen, auch in der Industrie. Das bedeutet, Energieverbraucher werden also in Zukunft auch Energieerzeuger sein. Damit dies möglich wird, sind wir auf Automatisierungstechnologie angewiesen, die diese dezentral erzeugte Energie verwaltet.
Aufgrund des Fachkräftemangels muss gleichzeitig mehr und mehr automatisiert werden. Viele Produktionen kommen aus Südostasien zurück nach Europa oder nach Nordamerika. Das funktioniert nur, wenn wir einen hohen Automatisierungsgrad haben. Den erreichen wir sowohl mit Automatisierungstechnik als auch mit Robotik. Dafür bietet unsere Automatisierungsplattform Ecostruxure Automation Expert eine optimale Voraussetzung.
Vielen Dank Pierre Bürkle.
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