Automatisiertes Fahren Ein Fahrlehrer für automatisiertes Fahren

Redakteur: Juliana Pfeiffer

Ein Fahrsimulator am neu eröffneten Drive-Lab des Virtual Research Center untersucht die Wechselwirkung zwischen Fahrer, Fahrzeug und Verkehrsteilnehmern in komplexen Situationen, um Modelle für das menschliche Verhalten zu erstellen. Damit soll das autonome Fahren optimiert werden.

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AV-Instruktor - der „Fahrlehrer“ für autonome Fahrzeuge: Ziel ist es, eine Fahrstilbewertung zu entwickeln, die dem autonomen Fahrzeug ein nachvollziehbares Verhalten im Straßenverkehr „lehrt“ und somit Vertrauen in das System schafft.
AV-Instruktor - der „Fahrlehrer“ für autonome Fahrzeuge: Ziel ist es, eine Fahrstilbewertung zu entwickeln, die dem autonomen Fahrzeug ein nachvollziehbares Verhalten im Straßenverkehr „lehrt“ und somit Vertrauen in das System schafft.
(Bild: Virtual Vehicle)

Der „Human Centered Driving Simulator“, ein Fahrsimulator, am Drive-Lab wurde für Forschung und Entwicklung im Bereich des automatisierten Fahrens entwickelt. Mit ihm werden die Wechselwirkungen zwischen Fahrer, Insassen, Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern in komplexen Situationen untersucht, um daraus Prognose-Modelle für das menschliche Verhalten zu erstellen. Ziel ist es, das Verhalten automatisierter Fahrzeuge möglichst nahe an menschliche Verhaltens- und Reaktionsmuster anzunähern.

Der höchste Komplexitätsgrad wird durch die Möglichkeit erreicht, realistische Szenarien mit hunderten Fahrzeugen mit unterschiedlichen Fahrermodellen, Fahrdynamiken und Sensoren zu integrieren. Durch Multi-Ego Fahrzeuge können mehrere Verkehrsteilnehmer aufeinander reagieren. Hierzu wird daran gearbeitet, den Simulator mit anderen Fahrsimulatoren, mit Fußgängern via Augmented oder Virtual Reality, oder auch mit einem der Virtual Vehicle Automated Drive Forschungsfahrzeuge zu verbinden. Auf diese Weise kann künftig nahtlos „In-the-Loop“ eine Schleife zu realen Verkehrssituationen geschlossen werden.

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Brücke zwischen automatisierten Fahrmanövern und menschlichem Verhalten

„Stellen Sie sich vor, Sie nähern sich mit Ihrem Auto einer Kreuzung ohne Ampel und gleichzeitig nähert sich ein weiteres Fahrzeug aus einer anderen Richtung“, entwirft Dr. Bernhard Brandstätter, Abteilungsleiter Energy Efficiency & Human Centered Solutions am Virtual Vehicle, ein gängiges Szenario: „Menschen in dieser Situation werten viele Informationen innerhalb von Sekundenbruchteilen aus: eigene Geschwindigkeit, Geschwindigkeit des anderen Fahrzeugs, eventuell vorhandene Verkehrszeichen – und vor allem auch das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer, die vielleicht gerade abgelenkt sein könnten, mit dem Handy agieren oder nach einem Radiosender suchen. Wenn nun Ihr automatisiertes Fahrzeug einige, für Sie und andere vielleicht unerwartete, wenn auch sichere Manöver durchführen würde (z. B sehr starkes Beschleunigen, um sicher über die genannte Kreuzung zu kommen) – wäre das für Sie ein akzeptables Assistenz-System oder würden sie es vorsichtshalber deaktivieren? Mit Drive-Lab schlagen wir eine Brücke zwischen automatisierten Fahrmanövern und menschlichem Verhalten.“

Automatisiertes Fahren – eine Frage des Vertrauens

Sobald automatisierte Fahrzeuge auf ein komplexes Szenario mit gemischten automatisierten und nicht automatisierten Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern treffen, sind Vertrauen und damit auch die Akzeptanz aller Beteiligten der Schlüssel für eine Marktdurchdringung der autonomen Fahrzeuge.

Der Forschungsbereich Human Centered Solutions am Virtual Vehicle entwickelt gemeinsam mit seinen Forschungspartnern Systeme, die sich in komplexen Verkehrssituationen menschenähnlich verhalten, deren Verhalten also für den Menschen verständlich und nachvollziehbar ist. Unter dem Überbegriff Human-Like-Systems werden Fahrer zunächst unterschiedlichen Verkehrssituationen ausgesetzt, ihr psychophysischer Zustand und ihr Verhalten systematisch erfasst, um in weiterer Folge Modelle ableiten zu können, die dann in der Steuerung von automatisierten Fahrzeugen implementiert werden können. Für die Erfassung des psychophysischen Zustands des Fahrers wird Messtechnik verwendet, die vor allem die Aufmerksamkeit des Fahrers, aber auch seine Handlungen und Bewegungsabläufe erfassen kann.

Folgende Messtechnik wird eingesetzt:

  • Eye-Tracker
  • Time-of-flight Kameras, die die Pulsfrequenz berührungslos messen,
  • Kameras
  • Wearables
  • Mikrofone

Damit kann festgestellt werden, ob sich der Fahrer gerade im Gespräch befindet, welche Bewegungsabläufe er gerade vollzieht oder ob gerade laute Musik läuft und seine Aufmerksamkeit eingeschränkt ist.

„Drive-Lab implementiert menschenzentrierte Entwicklungsprozesse, um Sicherheit, Komfort und Vertrauen in der Automatisierung zu berücksichtigen. Damit ermöglichen wir die Entwicklung von menschenähnlichen automatisierten Fahrzeugen (human-like autonomous vehicles), deren Verhalten für den Menschen verständlich, vorhersehbar und daher akzeptabel ist“, erkärt Dr. Paolo Pretto, Forschungsleiter des Bereiches Human Factors & Driving Simulation.

Drei Bausteine für die Entwicklung menschenähnlicher Systeme

Das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit und Komfort in einer Umgebung, in der der Fahrer mit anderen Aktivitäten als nur dem Autofahren – also zum Beispiel Arbeiten, Entspannen oder Unterhalten – konfrontiert wird, ist nur in einem vollständig vertrauenswürdigen Umfeld denkbar. Menschenähnliche Systeme werden daher der Schlüssel sein, um Vertrauen und Akzeptanz zu schaffen.

Zudem ist auch die Schulung des Benutzers in der kontext- und situationsbezogenen Interaktion mit automatisierten Systemen ein weiterer wichtiger Baustein. Virtual Vehicle bietet drei im Drive-Lab Konzept integrierte Bausteine an, um eine Human-Like-System Entwicklung zu ermöglichen:

1. Der Driver Digital Twin: Das „Digitale Zwillingsmodell“ eines realen Fahrers bildet menschliche Verhaltensmodelle ab, die als Grundlage für alle künftigen kontextbasierten Steueraktionen dienen. Diese Modelle werden fortlaufend aktualisiert und gemäß den Messungen im Drive-Lab erweitert.

2. Fluid Interaction: Alle Interaktionen, wie die Berücksichtigung von Umweltinformationen (Wetter, Straßenzustand, andere Fahrzeuge, Kenntnis und Zustand anderer Fahrer und Fußgänger), des eigenen Fahrzeugzustands sowie der Verfassung des Fahrers, werden ganzheitlich erfasst. In diesem Kontext wird adaptiv die jeweils beste Möglichkeit bestimmt, den Fahrer zu warnen oder auf die nächste Aktion vorzubereiten.

3. AV-Instruktor – der „Fahrlehrer“ für autonome Fahrzeuge: Ziel ist es, eine Fahrstilbewertung zu entwickeln, die dem autonomen Fahrzeug ein nachvollziehbares Verhalten im Straßenverkehr „lehrt“ und somit Vertrauen in das System schafft. In der ersten Projektphase wird das Verhalten von manuell gefahrenen Fahrzeugen in simulierten Umgebungen gemessen und bewertet. In einem nächsten Schritt wird das Bewertungssystem anhand realer Verkehrsdaten verbessert und zum Training automatisierter Fahrzeuge verwendet, damit sie das Verhalten manueller Fahrzeuge bei zugleich höheren Sicherheitsreserven reproduzieren.

Das Ziel ist also ein zuverlässiges Bewertungssystem, das den aktuellen Fahrstil automatisierter Fahrzeuge in Echtzeit und in realen Szenarien evaluiert und Grundlagen zur laufenden Verbesserung liefert. Dies ist besonders relevant in Situationen mit hoher Verkehrsdichte und vielen Verkehrsteilnehmern, die sich auf unvorhersehbare Weise bewegen, wie z.B. Fußgänger und Radfahrer.

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