Kommunikationstechnologien Es kann nicht nur eine geben

Von Eike Lyczkowski, Andreas Wanjek und Christian Sauer*

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Die Zunahme mobiler Systeme und die Wandlung von statischen Produktionsanlagen hin zu einem modularisierten Fabrikaufbau begünstigen den Einsatz drahtloser Kommunikationstechnologien. Ist gut beraten, wer sich in Zukunft allein auf 5G verlässt?

Mobile Systeme von SEW-Eurodrive, Nachfolger der klassischen FTS, ermöglichen innovative Lösungen in Produktion und Logistik für alle Branchen.
Mobile Systeme von SEW-Eurodrive, Nachfolger der klassischen FTS, ermöglichen innovative Lösungen in Produktion und Logistik für alle Branchen.
(Bild: SEW)

Die Fabrikautomatisierung verlagert sich aktuell in Richtung intelligenter und vernetzter Smart Factory, unterstützt durch die Digitalisierung, kurz Industrie 4.0. Die Vision ist eine Fabrik der Zukunft, die extrem flexibel ist und sich an verschiedene Herausforderungen anpassen lässt, einschließlich einer großen Produktvielfalt und Flexibilität bis zur Losgröße 1. In einer solchen Umgebung nimmt die Notwendigkeit von Mobilität zu, beispielsweise über fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF). Die Kooperation zwischen Mensch und Maschine (z. B. intelligente Logistiklösungen) helfen, die Produktionsanlagen von morgen flexibler und effizienter zu gestalten. Dazu gehört auch eine engmaschige Kommunikation, die all diese Systeme miteinander verbindet. Letztlich ist es erforderlich, die gesamte Wertschöpfungskette nahtlos in das Kommunikationsnetz der Fabrik zu integrieren. Aktuell verfügbare drahtlose Kommunikationssysteme sind jedoch oft nicht dafür ausgelegt, die technischen Anforderungen in der Smart Factory der Zukunft zu erfüllen.

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Mobile Systeme von SEW- Eurodrive – fahrerlose Transportfahrzeuge, englisch: Automated Guided Vehicle (AGV) – sind heute hauptsächlich per WLAN vernetzt. Aber WLAN wird nicht in der Lage sein, künftige FTF-Anwendungsfälle in einer flexiblen Produktionsumgebung zu ermöglichen. Mobile Roboter, massive drahtlose Sensornetzwerke und mobile Bedienpanels mit Sicherheitsfunktionen sind Beispiele für Anwendungen, deren Kommunikationsanforderungen WLAN nicht stemmen kann.

Matrix-Produktion als künftiger Standard

Matrix-Produktion ist ein mögliches Konzept für die Fabrik der Zukunft. Sie teilt die automatisierte Produktion von Waren in die für die Herstellung erforderlichen Schritte auf und weist diese Produktionszellen (PZ) zu. Werkstücke werden einer Produktionszelle zugeführt, wo sie einem bestimmten Prozess (Umbau, Zusammenbau, Prüfung) unterzogen werden. Anschließend verlässt das modifizierte Werkstück die Zelle. Verändert man den Weg des Werkstücks durch die Fabrik, lässt sich ein anderes Produkt herstellen. Diese ausgesprochen flexible Idee erfordert eine präzise Orchestrierung aller Prozesse.

Für die Warenbewegung zwischen den Produktionszellen sorgen Mobile Assistenten (MA) und intelligente Logistiksysteme. Als weiterentwickelte Versionen des klassischen FTF sind sie in der Lage, die hohen Anforderungen des Matrix-Produktions-Konzeptes zu erfüllen. Dabei übernehmen sie verschiedene Aufgaben wie den Transport, die Bearbeitung von Waren oder die direkte Unterstützung des Menschen.

1.000 Teilnehmer in 100 Zellen auf 10.000 m2

In einer beispielhaften Matrix-Produktion müssen bis zu 1.000 mobile Teilnehmer und 100 Produktionszellen auf einer Fläche von 10.000 m² an die drahtlose Kommunikation angebunden werden. Anwendungsfälle in der Fabrik der Zukunft sind daher sehr vielfältig und haben unterschiedliche Ziele. Ein drahtloses Sensornetzwerk beispielsweise überträgt wenige Informationen, benötigt jedoch eine Kommunikationsmethode mit geringem Energiebedarf. Bedienpanels erzeugen unvorhersehbare Datenraten. Übertragen lassen sich E-Mails, Videos oder Dokumente.

Das genutzte Kommunikationsmedium muss mit diesen unterschiedlichen Beanspruchungen effizient umgehen. Auch die Kommunikation der mobilen Assistenten kann sehr heterogen sein. Als Beispiel soll hier die Fernsteuerung durch einen Operator dienen. Von dem mobilen Assistenten zum Operator müssen Sensordaten übertragen werden, die einen hohen Durchsatz benötigen, z. B. ein Live-Video. In entgegengesetzter Richtung überträgt der Operator Bewegungsbefehle an den mobilen Assistenten, wobei es nicht zu Paketverlusten kommen darf. Für Up- und Down-Link wird eine geringe Latenz benötigt, damit der Operator den mobilen Assistenten steuern kann.

Aktuell verfügbare Kommunikationstechnologien
Drahtlose Kommunikation

Weil eine drahtlose Kommunikationstechnologie allein nicht ausreicht, um alle Anforderungen zu erfüllen, sind zusätzliche Kommunikationstechnologien und freies Spektrum für datenintensive oder latenz- und zuverlässigkeitskritische Anwendungen erforderlich. Außerdem wird durch jede zusätzliche Technologie, sofern sie ein Gerät auch nutzt, die Redundanz erhöht.

IEEE 802-Standards

IEEE 802.11 (WLAN) ist die derzeit am meisten verwendete drahtlose Kommunikationstechnologie für mobile Roboter im industriellen Umfeld. Für viele Anwendungsfälle wird dies auch in Zukunft der Fall bleiben. In Spezialfällen können auch Standards wie Bluetooth und ZigBee effektiv eingesetzt werden.

Induktive Kommunikation

Standards wie NFC und RFID ermöglichen einen Datenaustausch über kurze Distanzen. Durch die kurze Reichweite kommt es auch kaum zu Interferenzen mit anderen Kommunikationsstandards. Proprietäre Lösungen können zusätzlich genügend Energie liefern, um akkubetriebene mobile Systeme aufzuladen.

Visible Light Communication

Visible Light Communication (VLC) ist ein drahtloses Peer-to-Peer Kommunikationssystem, das für die Datenübertragung das sichtbare (oder nahezu sichtbare) Licht nutzt. Angesichts ihrer hohen Zuverlässigkeit und geringen Störungsanfälligkeit ist diese Art der Kommunikation für den Anwendungsfall des kooperativen Fahrens interessant.

Radarkommunikation

Die Kostenreduktion bei Radarsensoren macht sie für Anwendungen im Bereich der Fa- brikautomation interessant. Ihre Hauptfunktionen sind Objekterkennung und Entfernungsmessung, aber es ist auch möglich, Daten auf das gesendete Signal zu modulieren. Diese Technologie befindet sich noch in der Experimentierphase, aber das breite Frequenzband lässt erwarten, dass hohe Datenraten erreichbar sein werden.

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Grenzen heutiger Kommunikationstechnologien

Die Herausforderungen, die ein Anwendungsfall an das Kommunikationssystem stellt, hängen von der Gesamtheit seiner Eigenschaften ab. Somit stellt das drahtlose Sensornetzwerk keine Herausforderung aufgrund der Datenrate dar, sondern vielmehr aufgrund der Anzahl der Geräte, wobei nur für eine Teilmenge der Knoten niedrige Latenzzeiten und genaue Taktzeiten erforderlich sind.

Bei den mobilen Bedienpanels gibt es eine andere Herausforderung: Innerhalb eines Gerätes kann es sowohl datenintensive als auch latenz- und zuverlässigkeitskritische Anwendungen geben. Hier vermittelt ein Gleichzeitigkeitsfaktor einen guten Eindruck von der durchschnittlichen Datenrate, aber es werden auch Spitzenwerte auftreten. Dasselbe gilt für den Gleichzeitigkeitsfaktor in Anwendungsfällen mit Mobilen Assistenten. Oft ist semi-persistentes Scheduling nötig, um geringe Latenzen für manche Anforderungen zu sichern. Bei Nicht-Nutzung führt dies jedoch zu nicht oder ineffizient genutzten Ressourcen.

Begriffserklärungen
  • NFC/RFID (Near Field Communication/Radio-Frequency IDentification) – berührungsloser Datenaustausch mit sehr geringer Datenrate über sehr geringe Distanzen
  • Peer-to-Peer – Datenaustausch unter gleichberechtigten Kommunikationspartnern, ohne dedizierte Netzwerk-Infrastruktur
  • (Semi-)persistentes Scheduling – Variante der Ressourcenplanung, bei der für längere Zeiträume zyklisch Ressourcen vergeben werden
  • VLC (Visible Light Communication) – drahtloses Peer-to-Peer-Kommunikationssystem für kurze Reichweiten im Frequenzbereich 400-800 THz (750-375 nm); wenig störanfällig
  • ZigBee – Energie-effizientes Kommunikationsprotokoll für drahtlose Netzwerke kurzer Reichweite (bis 100 m) mit geringem Datenaufkommen

Unter Berücksichtigung aktueller Feldversuche kann die 5. Mobilfunkgeneration nur knapp die Anforderungen unserer Beispiel-Fa- brik mit 10.000 m² erfüllen. Geht man sogar von Spitzenlasten im Netzwerk aus, reichen die Ressourcen nicht aus. Zukünftige Feldversuche und die Leistung von Release 16 und 17 des 5G-Standards sind in diesem Zusammenhang von großem Interesse.

5G zieht schon jetzt viel Aufmerksamkeit auf sich. Die ersten Implementierungen in Fabrikhallen laufen an. Die generelle Frage nach Wahl der richtigen Technologie für jeden Anwendungsfall muss immer einzeln beantwortet werden. Die Lösungen der Zukunft können nur durch eine enge Kooperation zwischen Industrie und Forschung entstehen.

[1] Website Schaufensterfabrik

[2] Umfassendere Veröffentlichung zum gleichen Thema (in Englisch)

* Eike Lyczkowski, Andreas Wanjek und Christian Sauer sind Mitarbeiter des Fachkreises „Funk und Navigation“ bei SEW-Eurodrive in Bruchsal. Die Autoren danken Prof. Dr. Wolfgang Kiess von der Hochschule Koblenz für die Unterstützung.

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