Krisenintervention Robotik-Ideen sagen Corona-Pandemie den Kampf an

Redakteur: Karin Pfeiffer

Flexible Produktion? Bislang eher ein Konzept für die smarte Fabrik von morgen. In der Corona-Krise kann sich die Automatisierungs- und Robotikbranche jetzt schon beweisen. Etliche Technologiefirmen tun das auch, wie kurzfristig realisierte Lösungen zeigen.

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3D-Druck-Plattform: Siemens stellt seine Additive Manufacturing Network zur Bewältigung der Corona-Krise zur Verfügung.
3D-Druck-Plattform: Siemens stellt seine Additive Manufacturing Network zur Bewältigung der Corona-Krise zur Verfügung.
(Bild: Siemens)

Sie springen ein, wenn Fertigungslinien in der Krisenintervention blitzschnell umgerüstet und genauso rasant hochgefahren werden, schulen um von Automobil auf Corona-Testverfahren und desinfizieren Krankenhäuser ebenso akkurat wie Flughäfen oder Werkshallen: Roboter helfen weltweit aktiv im Kampf gegen das Coronavirus, und das kommt nicht von ungefähr. Schließlich erledigen sie nicht nur unermüdlich Routinejobs, sondern werden smarter, lernen dazu und arbeiten noch dazu immer besser mit Menschen zusammen. „Das Potenzial der Roboter, uns bei der aktuell schweren Corona-Pandemie zu unterstützen, ist enorm“, sagt Dr. Susanne Bieller, Generalsekretärin der IFR International Federation of Robotics.

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„Roboter-, Montage- und Fertigungs-Experten rüsten aktuell im Eilverfahren industrielle Produktionslinien um“, berichtet der VDMA. Ziel sei, dabei zu helfen, die Corona-Pandemie erfolgreich zu bewältigen. Neue Ideen kommen dabei in Rekordzeit zum Einsatz: So werden beispielsweise die Engpässe bei Atemschutzmasken vielerorts in Eigenregie verringert. Und wo immer möglich, arbeiten die Robotik- und Automatisierungsspezialisten daran, die Menschen mit smarter Maschinenpower zu unterstützen.

Krisenkonzepte: Eine kräftige Brise Gründerspirit

„Die Hilfsbereitschaft und Kreativität der Betriebe hat uns überwältigt“, sagt Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Robotik + Automation. „Von allen Seiten kommen Initiativen und neue Ideen, um Automatisierungstechnik für die Bewältigung der Corona-Krise einzusetzen. Dabei legen die Unternehmen eine atemberaubende Geschwindigkeit an den Tag: Es weht uns gerade eine kräftige Brise Gründerspirit um die Ohren.“ In Zeiten, wo die Flexibilisierung der Produktion buchstäblich überlebenswichtig geworden ist, sind Automatisierungs- und Robotik-Spezialisten besonders gefragt. Erfahrung aus der Highspeed-Montageproduktion etwa, um die Produktion von Atemschutzmasken dringend auf hohe Volumen hochzufahren.

Stillgelegte Produktionslinien automatisiert beleben

Dazu zählt der VDMA zum Beispiel den Maschinenbauer PIA Automation aus Amberg. Normalerweise fertigt das Unternehmen vollautomatische Produktionsanlagen für den Automobilbau, zählt aber auch Medizintechnik-Firmen zu seinen Kunden. Innerhalb weniger Wochen nach Ausbruch der Krise nahm PIA zunächst am Standort in China zwei stillgelegte Produktionslinien wieder in Betrieb und rüstete auf die vollautomatische Fertigung von bis zu 150.000 Schutzmasken um. Das Know-how aus dem Pilotprojekt steckt bereits in etlichen Folgeaufträgen, und die Franken stellen zudem selbst neue Montagelinien in Deutschland her. Damit lassen sich pro Tag mehr als 1 Mio. Atemschutzmasken fertigen.

Kein Einzelfall: Der Maschinenbauer Ruhlamat aus Marksuhl in Thüringen hat ebenfalls mit großem Tempo eine Produktionslinie für chirurgische Einwegmasken entwickelt. Das Filtermaterial für den Atemschutz lässt sich flexibel verarbeiten, je nach benötigtem Sicherheitslevel.

In Norditalien drucken Roboter Kopfhalterungen für Gesichtsschutzschilder bei Caracol-AM, der seine Erfahrung auf dem Feld der additiven Fertigung genutzt und kurzerhand automatisierte 3D-Druck-Lösungen mit Kuka-Robotern und Industriedruckern entwickelt hat. Mehr als 1.000 der Schutz-Komponenten kommen so täglich während des italienischen Covid-19-Notstands zusammen.

Rettende Plattform-Idee: Schutzausrüstung drucken

Siemens stellte Ende März bereits seine 3D-Druck-Plattform Additive Manufacturing Network (AM Network) zur Bewältigung der Corona-Krise zur Verfügung und schließt seine Anlagen an, um bei Bedarf und Eignung benötigte Komponenten zu drucken. Auch Designer und Ingenieure von Siemens sind über das AM Network verfügbar und helfen, designte Teile in druckbare Dateien umzuwandeln. Hier macht sich also auch der Plattform-Gedanke nützlich.

In nur einer Woche hat Siemens zudem gemeinsam mit Aucma von der Idee bis zum Prototyp einen intelligenten Desinfektionsroboter entwickelt, der die Desinfektion in Bereichen mit hohem Infektionsrisiko übernimmt. Ein Spezialistenteam rund um den Initiator Yu Qi, Leiter der Forschungsgruppe Advanced Manufacturing Automotion von Siemens in Qingdao, befasst sich dort mit der Entwicklung von Spezialrobotern, fahrerlosen Fahrzeugen, Industrierobotern und intelligenter Ausrüstung. Der Desinfektionsprototyp ist mit einer Kameraplattform bestückt und überträgt Bilddaten und Infos in Echtzeit. Kombiniert mit einem Bilderkennungs-Algorithmus lassen sich infektiöse Bereiche per Fernbedienung ansteuern.

Automatisierter Putztrupp: Roboter desinfizieren alles

Der dänische Desinfektionsroboter UVD wiederum wird inzwischen in über 40 Ländern zur Bekämpfung von Coronaviren und anderen schädlichen Mikroorganismen genutzt. Chinesische Krankenhäuser etwa sollen mehr als 2.000 der Bewegungsmaschinen beim dänischen Hersteller Blue Ocean Robotics bestellt haben. Denn der UVD-Roboter fährt autonom durch Operationssäle und Patientenzimmer und bestrahlt dem IFR zufolge alle kritischen Oberflächen mit der optimalen Menge an UV-C-Licht, um Viren und Bakterien abzutöten. Aus Sicherheitsgründen arbeiten die Geräte in den Räumen selbstständig und schalten das UV-C-Licht ab, sobald jemand den Raum betritt. Die Technologie funktioniert nicht nur in Krankenhäusern, was die Nachfrage nach dem dänischen Desinfektionsroboter künftig womöglich weiter anziehen lässt.

Stichwort Mensch-Maschine-Kollaboration: Hier zeigt die Robotik gerade im realen Einsatz, was Trendprognosen schon lange signalisieren – Roboter könnten Lücken in der Pflege kompensieren. Roboter James etwa hilft aktuell bei Besuchsverboten im Seniorenheim. Robshare, ein Unternehmen der Hahn Group Rheinböllen, unterstützt die Bewohner von Pflegeheimen konkret, während der Besuchsverbote Kontakt mit ihren Familienmitgliedern zu halten. Der Roboter besucht die Menschen in den unter Quarantäne stehenden Räumen und schaltet Familienmitglieder einfach per Videokonferenz zusammen.

Robotik-Industrie sagt Covid-19 den Kampf an

Anderes Beispiel: Medizinroboter, die von Haus aus bei der Prüfung und Herstellung von Medikamenten, Impfstoffen und anderen medizinischen Aufgaben unterstützen. So verteilt der mobile Roboter Phollower von Photoneo nun Krankenhausmaterial in Quarantänezonen – ohne menschlichen Kontakt. Auch MIR bringt seine Expertise in puncto mobile Roboter in der Krise ein. „Sie ermöglichen Social Distancing bei gleichbleibender Produktivität“, erklärt es MIR.

„Im Gegensatz zum medizinischen Personal sind Roboter immun gegen Pandemien“, heißt es in einer Presseinformation des VDMA. Die Erkenntnis nutzt der Industrie-Dienstleisters BoKa Automatisierung aus Unterfranken mit einer vollautomatischen Anlage für Corona-Tests, die an ein Drive-Through-Schnellrestaurant erinnert. Über ein Tablet identifiziert sich der Autofahrer durch das Seitenfenster seines Fahrzeugs, und ein Roboterarm überreicht das Teströhrchen. Ein Video leitet die Probenentnahme an. Das Teströhrchen wird danach wieder automatisiert zurückgenommen. Im Anschluss wird jeder Testteilnehmer telefonisch über das Ergebnis einer möglichen Coronavirus-Infektion informiert.

Auch im Labor greifen ad hoc die Automatisierungskonzepte der Industrie: Bekanntlich erfordert der sprunghafte Anstieg von Covid-19-Testreihen die Durchführung zahlreicher Bluttests. Dieser Prozess wird traditionell von Laboranten in Kliniken händisch durchgeführt, was eine zeitaufwendige und monotone Arbeit ist.

„Also ein idealer Prozess, um automatisiert zu werden“, so der VDMA. Im Universitätsklinikum Aalborg in Dänemark gibt es bereits ein Labor, das schon vor der Corona-Krise von der Automatisierung profitierte. Täglich werden dort bis zu 3.000 Blutproben im größten Krankenhaus Nordjütlands von zwei Kuka-Robotern sorgfältig sortiert. Das entlastet die Mitarbeiter von ihrem hohen Arbeitsaufwand, sie könnten sich auf die Anforderungen abseits solcher Routineaufgaben konzentrieren.

Konstruktionspläne im Notstand teilen

Viele Automatisierer erkennen in den sichtbar gewordenen Versorgungsengpässen ein Handlungsfeld für ihre Kernkompetenz: „Wo immer möglich, wollen wir unser Know-how in die Anstrengungen zur Eindämmung der Pandemie einbringen, etwa mit unserem neu entwickelten Covid-19-Schnelltest und unserem Analysegerät Vivalytic“, erklärte Dr. Volkmer Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH kürzlich anlässlich der Bilanzpressekonferenz. Bosch will noch dieses Jahr mehr als 1 Mio. Schnelltests produzieren, 2021 sollen es 3 Mio. sein. Das Analysegerät soll ergänzend zu den bisherigen Labortests zunächst in Krankenhäusern und Arztpraxen vor allem zum Schutz des medizinischen Personals eingesetzt werden.

„Was wir hier schaffen, folgt ganz unserem Leitmotiv Technik fürs Leben“, so Denner. Bosch hat zudem die Fertigung von Mund- und Nasenmasken aufgenommen, in 13 Werken in neun Ländern werden sie für den lokalen Bedarf produziert, zum Schutz der Mitarbeiter weltweit. Die Konstruktionspläne für vollautomatische Fertigungslinien hat Bosch übrigens nach eigenen Angaben auch anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt – und zwar kostenfrei.

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